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2019-05-18 08:53:25, Jamal Tuschick

Im Frühjahr und Sommer 2014 schilderte Amos Oz der Lektorin Shira Hadad Stadien seines Lebenslaufs in sechs Gesprächen, die unter dem Titel „Was ist ein Apfel“ soeben erschienen sind.

Die Emissionen des Todes

Die Mutter war so, dass Männer ihr zu gefallen suchten. Sie sprach nicht gern, doch fand jedes Wort aus ihrem Mund die größte Aufmerksamkeit. Amos Oz schildert seiner Lektorin Shira Hadad zuerst im Frühjahr 2014, während der Arbeit an Judas, Stadien seines Lebenslaufs. Nach der Veröffentlichung entdecken beide, „dass ihr Gespräch noch nicht abgeschlossen war“. Man trifft sich weiter bei Oz daheim, der Schriftsteller bekennt, als Knaben über „Indianer“ mehr gewusst zu haben als über Mädchen, die ihm wie Aliens erschienen seien.

Amos Oz/Shira Hadad, „Was ist ein Apfel?“, Gespräche, aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer, Suhrkamp, 174 Seiten, 20,-

Man vernimmt den Sound eines starken erotischen Motors.

„Mein Leib wurde zu einem sadistischen Feind, der mich Tag und Nacht quälte.“

Das Interesse an diesen Dingen zieht den Autor auch noch in Todesnähe auf die Flirtspur. Hadad steigt hochmotiviert ein und bewährt sich als Entbindungsspezialistin später Einfälle. Oz selbst spricht von Entbindung und Gebären im Zusammenhang mit der Textentstehung.

Der tägliche Schreiber war nie blockiert, doch stets groß im Verwerfen. Er befreite jede Geschichte von ihrem Fett. Obwohl er 1967 im Sechstagekrieg und 1973 im Jom-Kippur-Krieg an Kampfhandlungen beteiligt war, gelang Oz nie eine Schlachtbeschreibung. Er behauptet, die Größten müssen sich Versager nennen lassen, wo es um gewaltige Treffen geht. Niemand hatte je ein Vokabular für den Schlachtfeldgestank. Die Emissionen des Todes ergeben sich in einem toxischen Cocktail aus Kot und Schmauch. Explodierende Munition, leerlaufende Motoren. In einer Angriffsformation auf dem Golan fehlt dem späteren Hauptmann der israelischen Friedensbewegung die musikalische Untermalung wie in Kriegsfilmen.

Oz war ein typischer, zugleich überragender Vertreter der israelischen Aufbaugeneration. Versessen auf alles Neue sowie auf Stärke - in einer Gemeinschaft vom Grauen beflügelter, so leidensfähiger wie lebensfroher Frontiers. Aber natürlich lebte Oz über seine Kohorte hinaus. Er wusste vom Lachen der Steine in der Negev und konnte sogar die Wüste lachen hören.

Geboren 1939 als Sohn des Literaturwissenschaftlers Yehuda Klausner, verweigerte er früh und entschlossen die Gelehrtenexistenz. Er suchte das tätige Dasein in einem Kibbuz.

„Der Kibbuz … ist die vielleicht beste Universität, um die Natur des Menschen zu studieren.“

Oz zog das Land der Stadt vor und wählte seinen Kampfnamen in der Hoffnung, zu Lebzeiten niemals aus der Gnade der Kraft entlassen zu werden. Eine seiner Devisen lautete:

Hope is action.

Oz war ein extremer Frühaufsteher. Er kultivierte den Spaziergang vor Anbruch des Tages. Jahrzehnte begleitete ihn die Dauerglut des Kettenrauchers. Zu schreiben, ohne zu rauchen, schien undenkbar.

Mit sechszehn liest Oz das Neue Testament, um die Renaissance besser zu verstehen. Er betrachtet Bilder, auf denen die Jünger wie Musterarier erscheinen, mit einer Ausnahme. Judas sah „vierhundert Jahre vor Goebbels schon aus wie eine Stürmer-Karikatur“. Oz begreift, dass die jüdische Katastrophe einen Ankerpunkt an der Stelle hat, wo man nicht in der Lage war, „Jesus als jüdischen Reformer“ gleichsam laufen zu lassen. Oz kürzt den Zusammenhang in der Ableitung: Ohne die Vergöttlichung Jesus‘ kein Christentum, ohne Christentum keine Kirche und keine Verfolgung der Juden.

Er beschreibt Judas als wohlhabenden Gesandten der Jerusalemer Priesterschaft, der ursprünglich einen „affektierten Schwindler“ entlarven sollte, und für den Gegenwert eines Sklaven keinen Verrat nötig hatte.

Das gelobte Land war ein Eldorado des Wahnsinns. Es wimmelten von Charismatikern aller Schattierungen.

Hadad lektoriert das Judas-Manuskript, sie kommt mit dem „Erzähler Israels“ massiv ins Gespräch. Oz zeigt sich so konziliant wie konzentriert. Er nutzt die Gelegenheit, in der Gegenwart einer anziehenden, ihm ganz gewogenen Person, sich noch einmal zur Sprache zu bringen. Er erinnert sich an die Zeit „prophetischen Zorns“, als er „Aufsätze mit Feuer und Schwefel“ schrieb.