Das Romangeschehen dreht sich um einen autobiografischen Kern. Ayesha Harruna Attah ist die Ururenkelin einer Sklavin. Die Ahne wurde in einer präkolonialen Gesellschaft zwischen Islam und Animismus auf dem Territorium des heutigen Ghana zur Leibeigenen einer Fürstin. Attahs Familiengeschichte überliefert den Statusverlust als chronischen Makel. Die Autorin kontrastiert das Schicksal der Erniedrigten namens Aminah mit einem aufschäumend-aristokratischen, aber nicht ungebrochenen Gegenentwurf. Einerseits läuft Wurche Sturm gegen überkommene Wertvorstellungen. Sie betrachtet den frauenfeindlichen Alltag im ausgehenden 19. Jahrhundert scharfsinnig unter emanzipatorischen Gesichtspunkten. In einer Kultur, die keine Amazonen kennt, ist sie waffentüchtig wie keine Zweite.
Ayesha Harruna Attah, „Die Frauen von Salaga“, Roman, aus dem Englischen von Christiane Burkhardt. Diana Verlag, 315 Seiten, 20,-
Andererseits fehlt Wurche mütterlicherseits die königliche Abstammung und folglich der Anspruch auf höchste Würden. Zwar lebt Wurche am Hof und im unparfümierten Dunst eines gnädigen Herrschervaters, aber sie unterliegt doch schmerzhaft degradierenden Beschränkungen.
Attah schildert Aminahs Gefangennahme als Auftaktveranstaltung einer Überfallserie, deren ohnmächtige, doch namhafte Zeugin das Grausamste erleidet. Aminahs Familie zerreißt in der Willkür oder einem unbegreiflichen Kalkül jener, die sich ihrer bemächtigt haben und nun ohne Raffinesse eine wachsende Menschenmenge vor sich hertreiben wie eine Viehherde.
Salaga - der Romantitel nennt eine Stadt, die Jahrhunderte ein Hotspot des Fernhandels war – Ziel, Ausgangs- und Knotenpunkt im Karawanenkontext. Das angestammte, jedoch inferiore Fürstentum Dagomba organisierte sich in tributpflichtiger Abhängigkeit vom Imperium der Aschanti. Die Unterworfenen unterwarfen im Auftrag ihrer Herren die Bevölkerung der Landkreise. Kriege wurden in wechselnden Allianzen wie am Fließband geführt.
Das ist die historische Basis, auf die Attah baut. In der Handlungsgegenwart vollzieht sich die Zerstörung Salagas mit dem Fazit:
„In Salaga gibt es nichts mehr anzuzünden.“
Aus einem Interview
Ayesha Harruna Attah wurde in Ghana geboren, studierte in den USA an der Columbia University und der NYU und lebt heute im Senegal. Über ihren Roman sagt sie: Die Frauen von Salaga … erzählt von Freiheit, Liebe und Vergebung. Aminah hat den Kopf in den Wolken. Sie ist kreativ, eine Tagträumerin und möchte gern mit den Händen arbeiten. Wurche ist ehrgeizig, hat einen starken Willen und wenig Geduld. Beide sind unabhängig und wollen Dinge tun, die ihnen ihre jeweilige Gesellschaft verwehrt. Was sie trennt, ist der Klassenunterscheid: Eine wird versklavt, die andere ihre Besitzerin.
Die beiden Frauen verbindet mehr als sie trennt. Beide ziehen ständig Pfeife aus den Köchern ihrer Weisheit. Beide vermeiden Abkürzungen zu Standorten der Verzweiflung. Der Klassenunterschied unterliegt der kulturellen Prägungsdominanz. Das zeigt sich in den Kontakten zu Weißen. In der Generalrelation stehen Aminah und Wurche gemeinsam auf einer Seite und …
Die Selbsterkenntnis eines Sklaventreibers
„Ich versuche wie ein anständiger Mensch zu klingen, weiß jedoch ganz genau, dass ich keiner bin.“
… und auf der anderen Seite sitzen die weißen Kolonialherren, erschöpft vom Müßiggang und einem unversöhnlichen Klima. Schwer atmend, baden sie in ihrem Schweiß.
Attah bezieht sich auf eine historische Konstellation. Zum Nachteil Salagas blühte eine vergleichsweise nah gelegene Universitätsstadt auf. Viele Entrepreneure der Salaga-Liga verlagerten ihren Geschäftsschwerpunkt nach Kete Krachi. Das Dorf auf einer Landzunge des Voltasees war eine Hochburg des Islam so wie indigener Religiosität. Es gehörte zu der deutschen Kolonie Togo, unterlag aber britischer Hegemonie.
Zeugnisse von und über „Frauen aus afrikanischen Königsfamilien wie Königin Aminah und Yaa Asantewaa in Ghana existieren“ zuhauf als Inspirationsquellen für Schriftstellerinnen. Hager ist die Faktenlage, wenn es um Biografien von Frauen aus dem Volk geht.
Attah erzählt von lauter Gegensätzen. Aufgewachsen in Verhältnissen, die von Weißen kaum worden waren, kollidieren Aminahs und Wurches naturnahen Weltbetrachtungen mit der eurozentrischen Perspektive. Attah vermeidet Darstellungen, die es erlauben, von Kulturschocks zu reden. Doch läuft es darauf hinaus.
Die Autorin sagte über die wichtigste Romankonstellation: „Aminah beneidet Wurche um ihre Freiheit.“
Sie empört sich, weil Wurche „über (sich) verfügen kann“.
Dabei muss sich auch Wurche eine Menge bieten lassen, angefangen bei einer arrangierten Ehe. Ein blasiert-indifferenter Gatte bietet Wurche selten die Gelegenheit, nicht genervt zu sein. Sie erlebt die Enttäuschung der Illoyalität im Verhältnis zu einem Liebhaber. Sie kämpft um ihren Stolz, der mit einer kodifizierten Traditionslinie verknüpft ist.