Didier Eribon erwähnt in seinen „Betrachtungen zur Schwulenfrage“ „homosexuelle Kodes“ in einem Kreis um Oscar Wilde. Man will sich aussprechen. Die Repression diktiert den Text. Gleichzeitig entsteht ein „Gegendiskurs“ zu einer Pathologisierung der Sexualität, in der die Homosexualität als Anlass zur Verfolgung sichtbar wurde. Nach Eribon bemächtigte sich die Psychiatrie „der Homosexuellen ebenso wie der Irren“, um sie gemeinsam als ein Paar aus „Narren und Wüstlingen“ auf ein infernalisches Zuschreibungskarussell zu setzen.
Didier Eribon, „Betrachtungen zur Schwulenfrage“, aus dem Französischen von Achim Russer und Bernd Schwibs, Suhrkamp, 622 Seiten, 38,-
Die auf Wilde reagierenden Autoren so wie Wilde selbst erfinden „Widerstandsgesten“ und schreiben sie ihren, so formuliert Eribon, „Wortmeldungen“ ein. Sie sind weit davon entfernt, gegenhegemonial zu wirken. Es geht ihnen nicht darum, eine Kraft aufzubauen, auch nicht darum, Gegenkräfte einzuschränken. Vielmehr nutzen sie die Dynamik aus den herrschenden Verhältnissen. Wie Surfer und Skiläufer berühren sie gewisse Grenzen im Tanz mit den Elementen. Das sieht schön aus. Die Gesellschaft verdaut die Strömung als L‘art pour l’art und ästhetischen Rigorismus. Die Akteure vermeiden es bereits, mit ihrer Sexualität „eine essentialistische Konzeption von Identität“ zu restaurieren; ein Vorwurf, dem sich Eribon ausgesetzt sieht.
Aus der Vorschau
Als Didier Eribons Betrachtungen zur Schwulenfrage 1999 in Frankreich erschienen, wurde das Werk als Ereignis gefeiert. Schnell etabliert sich das Buch als Klassiker und Gründungsdokument der Queer Studies. Eribon legt darin eine neue Analyse der Bildung von Minderheitenidentitäten vor, an deren Anfang die Beleidigung steht. Es geht um die Macht der Sprache und der Stigmatisierung, um die Gewalt verletzender Worte im Rahmen einer allgemeinen Theorie der Gesellschaft und der Mechanismen ihrer Reproduktion. Nun liegt das Werk erstmals in deutscher Übersetzung vor.
Eribons Analyse setzt ein mit einer fulminanten »Sozialanthropologie« der gelebten Erfahrung, in der zentrale Etappen der Konstitution einer homosexuellen Identität nachgezeichnet werden. Auf sie folgt eine historische Rekonstruktion der literarischen und intellektuellen Dissidenz sowie der »homosexuellen« Rede – von den Oxforder Hellenisten in der Mitte des 19. Jahrhunderts über Oscar Wilde und Marcel Proust bis zu André Gide im 20. Jahrhundert. Die Untersuchung mündet in einer Neuinterpretation von Michel Foucaults philosophischem Denken über Sexualität, Macht und Widerstand. In der brillanten Verknüpfung von Soziologie, Literatur und Philosophie bietet dieses große Buch mehr denn je Werkzeuge für all jene, die über Differenz und Emanzipation nachdenken wollen.