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2020-03-16 06:42:56, Jamal Tuschick

Nachdenken über Hannah Arendt - Bei Piper erscheint heute »Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert«. Der Band begleitet die gleichnamige Ausstellung im Deutschen Historischen Museum Berlin, die am 27. März beginnt.

Mit Beiträgen von Micha Brumlik, Ursula Ludz, Marie Luise Knott, Jerome Kohn, Wolfram Eilenberger, Norbert Frei, Barbara Hahn, Thomas Meyer, Ingeborg Nordmann und Liliane Weissberg. Dorlis Blume, Monika Boll, Raphael Gross (Hrsg.)

1941 erreicht Hannah Arendt New York. Sie fasst sofort Fuß und steht bald beidbeinig als Journalistin und Wissenschaftlerin im Berufsleben.

Arendt befasst sich mit „Flucht, Staatenlosigkeit und Minderheitenrechten“. Sie titelt: „We Refugees“. Historische Ereignisse beschränken „jüdische Lebensformen auf die Rollen von Flüchtlingen und Opfern“. Die Autorin hält sich mit der zum Genre gewordenen Tatenlosigkeit vor dem Exil auf. Sie leitet von ihrer Lage ab und streift das Allgemeine. Sie wurde/man wird zur Flucht gezwungen, ohne Dissident*in (gewesen) zu sein. Zur Tatenlosigkeit kommt Mittellosigkeit. Die Ohnmacht grassiert.

Arendt wird immer bewusst bleiben und in dieser Sache auch juristische Hebel einsetzen, dass ihr eine Karriere verwehrt wurde, auf die sie Anspruch hatte. Auch wenn die Feststellung unausgezeichnet bleibt, erlebt sie ihre Exilverhältnisse (zunächst zumindest) als Verminderung im Vergleich mit einer deutschen Professur.

Ihr Plural verbindet die in die Flucht getriebene Juden. Das hebt Thomas Meyer in seinem Aufsatz hervor. Der Antisemitismus zwingt die Denkerin in eine bestimmte Richtung. Er raubt ihr die Freiheit und macht sie zum Sprachrohr. Er konfiguriert sie.

Arendt empört sich kaum, findet es aber doch immer wieder notwendig, die zerfetzte Fahne ihres säkularen Anfangs neben den jüdischen Bannern der Not- und Hoffnungssolidarität aufzupflanzen.

Die jüdische Ablehnung des Jüdischen als Folge einer 150-jährigen Geschichte der Assimilation

Die Gewissheit, Subjekte grauenhafter Prozesse (Zielpersonen in den Augen von Vernichtern) zu sein, raubt den Geretteten in der Neuen Welt das unbewusste Vertrauen in die amerikanische Verkehrssicherheit. Das begreift Arendt als psychologische Kippfigur. Die Kodes echter Harmlosigkeit/Zugänglichkeit erschließen sich den Traumatisierten nicht zwanglos. Der Holocaust unterbricht die Bereitschaft zur Annahme gültiger Normen und bewirkt Falschadaptionen.

„Folglich (bemerken) die Flüchtlinge erst durch Zurechtweisung, dass es gerade die ungeschriebenen Regeln sind, die das Leben bestimmen.“

Darin spiegelt sich die „heute (aus der Warte von 1943) so verdächtige Loyalität … der deutschen Juden“ gegenüber den Gepflogenheiten der mehrheitsdeutschen Gesellschaft. In der allgemeinen Tragik schwimmt der dicke Hund einer obsoleten Bereitschaft mit, die nicht assimilierten Juden durch Filter mehrheitsdeutscher Ablehnung zu betrachten.

Das muss sich ändern. Auch an dieser Stelle der Arendt’schen Analyse erkennt man Motive der Politisierung einer aus dem Elfenbeinturm gezogenen Philosophin. Arendt postuliert die Klärung „der gegenwärtigen Situation des Judentums – auch um den Preis der sozialen und intellektuellen Isolierung“.