„Bei jedem Wettbewerb, den niemand gewinnen will, ist Mississippi der Sieger.“
Susan Neiman schreibt über Negativrekorde in Mississippi. Die meisten Lynchmorde (früher), die meisten Adipösen (heute). „Der höchste Krankenstand, der geringste Wohlstand, die mieseste Bildung“. Der US-Bundesstaat war zur Zeit des Sezessionskriegs reich und ist seitdem arm. Die Philosophin erklärt, warum die Repräsentanten der Mississippi-Gesellschaft immer weiter in der Geisterbahn einer fatalen Vergangenheit im Kreis fahren – in einem trostlosen Verbund mit Alabama und Louisiana.
Susan Neiman, „Von den Deutschen lernen“, übersetzt aus dem Englischen von Christiana Goldmann, Hanser Berlin, 569 Seiten, 28,-
Folgt man Neiman, dann nahm das Elend seinen Anfang und strikten Verlauf mit der Reconstruction (1865 – 1877) – einem Strukturprogramm der Washingtoner Zentralgewalt zur Bewältigung der Bürgerkriegsfolgen. Der Norden war entschlossen, den „beinah vier Millionen befreiten Afroamerikanern“ die Bürgerrechte mächtig zu garantieren. Dieses Demokratieverständnis stieß unter den Geschlagenen des rebellischen Südens auf granitharten Widerstand. Es begründete eine Fundamentalopposition, die sich bis in die tiefe Gegenwart lieber selbst lahmlegt, als den (Erben der) Bürgerkriegssiegern Zugeständnisse zu machen. „Alles, was aus Washington kommt“, erachtet man als „eine militärische Maßnahme der Yankees“.
Neiman vergleicht die Verheerungen im Postbellum South mit dem am Boden liegenden Deutschland nach der II. Weltkrieg. Nur, dass es für die überstimmten Konföderierten keinen Marshallplan gab, so Neiman.
„Vom Hass der Südstaatler auf die Yankees führt eine gerade Linie zum Widerstand der Südstaatler gegen jegliches Regierungsvorhaben.“
Da die Verlierer sich nicht offen zur Wehr setzen konnten, hintertrieben und unterliefen sie die amtlichen Maßnahmen mit allen Mitteln. Effektive Module der Obstruktion und der Subversion aus der Perspektive des Südens sollen, so Neiman, die Black Codes geboten haben. Mit diesen lokalen Erlassen und bundesstaatlichen Gesetzen: wurden von der Verfassung garantierte Bürgerrechte von hinten durch die Faust ins Auge kassiert.
Die Politik der Suprematie des minderen Rechts (Topping from the Bottom) entsprach einer älteren Praxis.
Hier zeigt sich wieder einmal, wie ein monochromer Anstrich eine böse Wahrheit tüncht. Black Codes vermindern im frühen 19. Jahrhundert zuerst in einigen Staaten des Nordens die Rechte von Schwarzen Reisenden und Ansiedlungswilligen zumal auf den Feldern der Vertragsfreiheit insbesondere des Erwerbs von Eigentum.
Indiana verabschiedete 1845 ein Gesetz gegen „Rassenvermischung“.
Es gab Bestrebungen, den Gesetzen Verfassungskraft auf bundesstaatlicher Ebene zu geben. Dies im Verein mit den Schwarzen auferlegten Verbot, ein Territorium auch nur zu betreten.
Nach dem Bürgerkrieg war der Süden eben nicht dazu in der Lage, Black Codes gegen die Interessen befreiter Sklaven durchzusetzen. Erst nach dem Ende der Reconstruction verabschiedete man wieder diskriminierende Gesetze, die vor allem für die Plantagenbesitzer vorteilhafte Schuldknechtschaftsverhältnisse sowie andere Bewegungseinschränkungen zum Nachteil der Befreiten begründeten.
Es ging nicht nur um Rassismus. Vielmehr suchte man juristische Schleichwege, um die Sklaverei abgedeckt fortführen zu können. Der Erfolg dieser Strategien beförderte den Niedergang der Baumwollstaaten. Sie verloren im ausgehenden 19. Jahrhundert den Anschluss an das Industriezeitalter, da geringe Produktionskosten den Innovationsdruck herabsetzten. Insofern schnitt sich der Süden mit seiner verkappten Herrenmenschlichkeit ins eigene Fleisch.
Lässt sich – politisch gesehen – etwas von den Deutschen lernen? Als Susan Neiman, eine jüdische Amerikanerin, in den 1980er-Jahren nach Berlin zog, stieß das viele ihrer Freunde vor den Kopf. Doch Neiman blieb in Berlin und erlebte hier, wie die Deutschen sich ernsthaft mit den eigenen Verbrechen auseinandersetzten: im Westen wie im Osten, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Als dann mit Donald Trump ein Mann Präsident der USA wurde, der dem Rassismus neuen Aufschwung verschaffte, beschloss sie, dorthin zurückzukehren, wo sie aufgewachsen war: in die amerikanischen Südstaaten, wo das Erbe der Sklaverei noch immer die Gegenwart bestimmt. Susan Neiman verknüpft persönliche Porträts mit philosophischer Reflexion und fragt: Wie sollten Gesellschaften mit dem Bösen der eigenen Geschichte umgehen?