In seiner Ursprungsumgebung wallte sogar der Nebel elisabethanisch. Der Erzähler, er behauptet, adlig zu sein, nennt sich aber prosaisch William Wilson und so heißt auch die Geschichte, beschreibt seine Geburtsstätte als „traumhaften und der Seele schmeichelnden Ort“. Der Leser denkt sofort, traumatisch wäre passender. Die Häuser erschienen so knorrig wie die Bäume und alles sah vorzeitlich grau aus. Der „gotische Kirchturm“ gab dem Schauerensemble eine Spitze.
Edgar Allan Poes mit einem Pseudonym personalisierte Geschichte ist dem zeitlosen kulturellen Gedächtnis der Anglosphäre so eingeschrieben wie volkstümliche Nacherzählungen der Bibel dem angloamerikanischen 19. Jahrhundert eingeschrieben waren. Brudermord, Gottesfurcht, die Vertreibung aus dem Paradies, Evas Rolle bei dem Debakel sowie alle möglichen weiß-patriarchalen Weltannahmehilfen lieferten bis zum Aufkommen der Psychoanalyse die zentralen Begriffe. Die Dramen ergaben sich aus einem Ringen mit den Dingen, während über die Seele so gedacht wurde wie man über die Erde dachte, solange das Ptolemäische Weltbild galt. Die Berechnungsgrundlagen erachtete man als gesichert.
Deshalb war auch Horror etwas Äußerliches.
Edgar Allan Poe, „Neue unheimliche Geschichten“, herausgegeben von Charles Baudelaire, aus dem amerikanischen Englisch von Andreas Nohl, dtv, 392 Seiten, 30,-
Die Auswahl basiert auf den 1857 von Charles Baudelaire edierten Nouvelles Histoires extraordinaires. Liat Himmelheber übersetzte die Texte von Baudelaire.
Wilson entstammt einem Geschlecht von Phantasten – leicht erregbaren Grenzgänger*innen, die ihre Haltlosigkeit weitergaben und generationell Stabilität vermissen ließen. Im Akut einer miserablen Lage, die sich Wilson einzugestehen hat, gibt es nichts Tröstliches mehr.
Ein Mann legt Rechenschaft ab, bevor er abtritt: das ist der Gestus. Gleichzeitig verschwimmen die Erinnerungen zu einem „unterschiedslosen Heraufdämmern blasser Freuden und phantasmagorischer Qualen“.
Wilson lässt die drakonische Schulzeit Revue passieren. Der Rektor strafte ungerührt, verstimmt von seinem Amt. Er stand auch der Kirchengemeinde vor: in erschöpfter Omnipotenz.
In Gang hielt Wilson ein Rivale, der Ehrgeiz nur zu dem Zweck entwickelte, Wilson schlecht aussehen zu lassen. Er verhehlte sein Bestreben so geschickt, dass nur der Bearbeitete davon Wind bekam. Unbemerkt legte er sich mit seinem ganzen Gewicht auf Wilson und bedrückte ihn so mächtig. Er gab ihm aber auch Auftrieb und sorgte dafür, dass sich in Wilson die Spannung einer Feder aufbaute, während die Übrigen matt und unbeholfen ihre Hürden nahmen. Ihnen fehlte der Esprit, den zu beweisen, Wilsons unversöhnliche Interventionen erzwangen.
In der Handlungsgegenwart fehlt Wilson die Geistesgegenwart seiner Jugend. Das Gute hat sich verzogen, nur die Schwäche wohnt bei ihm als triste Heimsuchung.
Der Spross eines vermaledeiten Stammes ist für sich selbst zum Spuk geworden. Das war abzusehen. Die guten Beobachter sahen es bereits bei den heimlichen Internatsinitiationsgelagen. Eine exzessive Winkel- und Nischenarchitektur begünstigte das Klandestine. Die Knaben waren mit Renten ausgestattet, die reichsten „Grafen Großbritanniens“ überboten sich in Großkotzigkeiten.
„Durch solche Mittel dem Laster anheimgegeben, brach mein angeborenes Temperament mit doppelter Heftigkeit hervor.“
Bald mehr.