Da gab es diese Preisverleihung. Der Laudator vergriff sich im Register und machte einen Text nieder, für den Daniela Dröscher gerade geehrt wurde. Die Ratlosigkeit der Autorin endete, sobald sie den Ursprung des Ressentiments im Regelbruch entdeckt hatte.
„Mein Preisredner lebt in einem Kaff und veröffentlichte in einem kleinen Verlag. Ich lebe in Berlin und veröffentliche in einem großen Verlag.“
Manchmal ist es so einfach.
*
Der Titel spielt auf Beuys Installation Zeige deine Wunde an. Daniela Dröscher erzählt in „Zeige deine Klasse“ „die Geschichte ihrer sozialen Herkunft“. Gestern stellte sie gemeinsam mit Deniz Utlu das Buch im Berliner Acud vor.
Daniela Dröscher, „Zeige deine Klasse – Die Geschichte meiner sozialen Herkunft“, Hoffmann und Campe, 243 Seiten, 15.95,-
Didier Eribon habe in ihrem Denken eine Tür aufgestoßen, erklärte Dröscher. Die Herkunftsscham des Soziologen als ein (in der „Rückkehr nach Reims“) ausgestellter biografischer Fund sei zum Schlüssel des Begreifens geworden.
„Ich hielt mich stets für privilegiert“, eingehegt von den Jägerzäunen des Mittelstandes.
„Ich wähnte mich in der gesellschaftlichen Mitte, bis ich kapierte, dass ich ein Aufsteigerkind war, dass sich für seine Eltern schämte.“
Vermutlich kam der Trug aus dem Wunsch, mit möglichst wenig Abweichungen in einer ländlichen Umgebung aufwarten zu können. Dass Dröscher in den Augen der Anderen sehr wohl in einer Falle der negativen Exklusivität steckte, wusste sie wohl (sich selbst zu verschweigen).
„Lange lebte ich in der Gefangenschaft einer Scham“, ohne offensiv zu wissen, dass ich mich schämte. Drei Ds bestimmten Kindheit und Jugend: die dicke Mutter, der Dialekt und das Dorf. Dröscher setzte dagegen auch ihr „Normalgewicht“, als Kampfansage an die Bereitschaft der Mutter, so opulent aus dem Rahmen zu fallen.
„Der Körper ist der Ort, wo sich die Machtverhältnisse manifestieren.“
Das gilt für die Sprache genauso, die selbstverständlich vom Dialekt befreit wurde. So wie die ganze Erscheinung akademisch angehoben wurde.
Eine Generation westdeutscher Gesamtschüler*innen ist genauso vorgegangen wie Dröscher in dem nicht aufgehobenen Widerspruch:
„Ich habe meine soziale Herkunft nicht gesehen. Ich hielt mich für ein Mittelklassekind“ – und „Ich schämte mich.“
Ich finde das spannender als jeden Krimi. Dröschers Genauigkeit erzwingt das Nebeneinander von Behauptungen, die sich ausschließen und doch wahr sind. Auch Utlu fühlte sich auf der Bühne zur Identifikation eingeladen von Dröschers „Drama der Normalität“.
Der Vater „schielt nach oben“, arrestiert in einem auf halber Strecke zwischen Ausgängen stehengebliebenen sozialen Aufzug. Das Politische ist in seinem Milieu „weit weg“. „Man wird regiert.“
„Eine linke Tante“ agitiert die Autorin. Den Selbstentmündigungen der Eltern folgt die Selbstermächtigung der Tochter im Rausch universitärer Hausarbeit.
„Ich liebte Hausarbeiten. Ich wollte mich in Schrift verwandeln.“