„No writer typified the American twentieth century like the mythologised and misunderstood, celebrated and lambasted Susan Sontag (1933-2004). No writer dealt with so many different worlds. Sontag wrote novels, diaries and essays about art and camp, porno and politics, feminism and homosexuality, fame and style, and fascism and communism. And no serious writer had so many exceptional lovers.“ Quelle
Amerikanisiertes Andenken
Die vernichtende Verfolgung der Armenier im Auflösungsterror des Osmanischen Reichs war noch in vollem Gang als man in Hollywood eine Zusatzchance zu der soeben erfundenen Wochenschau zu kapitalisieren begann. Das phantasievoll hochgezuckerte Echtzeitdrama als Doku-Soap ist eine Erfindung des frühen 20. Jahrhunderts. Im Entstehungsrahmen jeder neuen Kunstform ist sofort alles da. Wir liefern heute die Nachträge im ewigen Nachgang jener Moderne, die der Industriellen Revolution folgte und den Kulturkatechismus bis auf Weiteres immer noch vorgibt.
Benjamin Moser, Sontag Die Biografie, aus dem Amerikanischen von Hainer Kober, Penguin Verlag, 925 Seiten, 40,-
Im Sandbett eines im kalifornischen Winter verdunsteten Flusses fand man einen „idealen Drehort“, „um die grausamen Türken und Kurden zu filmen, wie sie die zerlumpte Schar von Armeniern … über Seitenwege“ in die Wüste trieb. Unter den Komparsen waren nicht wenige dem Genozid entronnen. Man bot echte Armenier auf und hing das Schild der Authentizität vor die Schaufenster eines Massenmords. Die Chronisten der Produktionskalamitäten von „Auktion der Seelen“ versäumten es nicht, die Szenen im posttraumatischen Stress kollabierende Überlebende als Nachschwenk mitzuliefern; dies als Schauspiel für picknickende Profis.
Und wieder weht ein Faulatem der Geschichte genau jene perverse Volte ins Geschehen, die wir, wäre sie nicht verbürgt, für erfunden halten müssten.
Anders als die Verkaufsbotschaft behauptet, sind „nicht alle Armenier im Film … Armenier“. Ein für Standfotos ausgewähltes Paar der Verzweiflung setzt sich aus der Jüdin Sarah Leah Jacobson und ihrer Tochter Mildred zusammen. Die Mutter stirbt bald. Zehn Jahre später bekommt Mildred eine Tochter von einem Mann, der sie umgehend zur Witwe macht. Sie nennt das Kind im amerikanisierten Andenken an Sarah Leah Susan Lee.
Während man „Auktion der Seelen“ auf einem historischen Vorsprung entstanden wähnte, „der an die (andauernde) Vergangenheit erinnern sollte“, zeigte der Film in Wahrheit das Gespenst der Zukunft. Leah-Lee sieht als Zwölfjährige zum ersten Mal „Fotos vom Holocaust“. Die Ansichten entwickeln Saugkraft. Sie lassen den Rockstar der Literatur nie mehr los.
Das erzählt Benjamin Moser in seiner Sontag-Biografie, die mich wochenlang begleiten wird.
Aus der Ankündigung
Susan Sontags glamouröse Erscheinung ist ebenso legendär wie ihr schneidender Verstand. Ihr Themenspektrum reichte von postabstrakter Malerei über Pornografie und Existenzialismus bis hin zu Krebs und Kriegsfotografie.
Sontag war schon ein intellektuelles Wunderkind – entsprechend fand sie Thomas Mann, als sie mit sechzehn Jahren seiner Einladung nach Pacific Palisades folgte, eher enttäuschend; während ihres Literatur- und Philosophiestudiums folgte mit siebzehn die Heirat mit dem Soziologen Philip Rieff. Geprägt von europäischen Kunst- und Denktraditionen, sollte sie, ob mit ihren Essays, ihrem erzählerischen Werk oder auch den Regiearbeiten, zur wegweisenden Mittlerin zwischen den Kulturen werden.
Benjamin Moser konnte erstmals unveröffentlichte private Aufzeichnungen auswerten, Lebensgefährten wie Annie Leibovitz befragen, und so ein tiefgründiges, auch intimes Porträt dieser ebenso bedeutenden wie zwiespältigen »öffentlichen Intellektuellen« zeichnen.
Mosers monumentale Biografie ist ein eindringliches Porträt Susan Sontags, das den geistigen Kosmos wie die intimen Lebensumstände dieser überragenden Literaturikone des 20. Jahrhunderts vermisst.