Lernen ist Zeitvertreib, Lesen eine Universallösung. Sie liest Nietzsche auf dem Klo und betitelt die Szene (als Regisseurin ihres Lebens): Marokkanisches (?) Mädchen liest Nietzsche auf dem Klo. Das Fragezeichen deutet eine Migrationsspaltung an, die in ihrer Geläufigkeit zunächst kaum der Rede wert zu sein scheint. Fast alles ist möglich und spielt doch keine Rolle in der Diaspora.
Dann erzwingt die Hochzeit im Rahmen einer arrangierten Ehe „Wochen der Verstellung“ in der mütterlichen Ursprungsgesellschaft.
Najat El Hachmi, „Eine fremde Tochter“, aus dem Katalanischen von Michael Ebmeyer, Orlanda, 232 Seiten, 22,-
Wochen der Verstellung
Die belesene, im Kosmos der deutschen Philosophie geistig, in Katalonien leiblich beheimatete Ich-Erzählerin erfüllt die Erwartungen unter lauter Analphabetinnen. Sie gibt sich „zurückhaltend und keusch“. Sie kehrt zu den Ausläufern eines Lebens zurück, das ohne sie weiterging.
Rippenbogendesign
Sie möchte den zurückgebliebenen Verwandten gefallen.
Ihr fehlen die europäischen Freiheiten, eine ungestörte Besinnlichkeit vor dem Einschlafen, der tägliche Dauerlauf und die Gewichtskontrolle; ein allgemein gültiges Schönheitsversprechen, das (die Haut aufspannende) den Rumpf definierende Rippenbögen idealisiert.
„Kriegt ihr in Europa nichts zu essen?“ wird sie gefragt.
Das sind natürlich Nebenschauplätze der Differenz. Vom westlichen Kanon empowert, stößt es die Braut ab, nur als Werkzeug ihres Mannes betrachtet zu werden. Sie soll ihm Europa aufschließen und ihn in Spanien etablieren.
Pressetext
Geboren in Marokko, aufgewachsen in Katalonien – die junge Frau in Najat El Hachmis »Eine fremde Tochter« ist hin- und hergerissen zwischen ihrer Herkunftskultur und der Kultur im Ankunftsland. Ständig muss sie sich entscheiden: Zwischen den Sprachen, der Tradition und Moderne, ihrem eigenen Glück und den Erwartungen ihrer Mutter.
Denn die, eng mit der traditionellen marokkanischen Lebensweise und der muslimischen Religion verbunden, hat sehr klare Vorstellungen von der Zukunft ihrer Tochter. Zunächst beugt die junge Frau sich auch dem Willen der Mutter und stimmt einer arrangierten Ehe zu, obwohl es da einen anderen Mann gibt, zu dem sie sich hingezogen fühlt.
Doch diese Entscheidung hebt den (inneren) Konflikt nicht auf. Im Gegenteil, er macht die beidseitige Verbundenheit zwischen Mutter und Tochter und zugleich ihre doppelte Fremdheit noch spürbarer.
Es dauert lange, aber schließlich gelingt es der jungen Frau, die Bande zu zerreißen und ihren eigenen, selbstbestimmten Weg zu gehen.
Dieser Roman schildert mutig und eindringlich den Konflikt, den junge Migrantinnen oft austragen müssen. Ein mitreißendes, interkulturelles Lesererlebnis.