Alles läuft auf eine Zuspitzung hinaus. Dulcie Mainwarings Nichte Laurel zieht frohgemut zu ihrer Tante von Nirgendwo auf dem Land nach Irgendwo in London. Das heißt, es gibt bessere Adressen, wie der Nachkommenden wohl bewusst ist. Die Gastgeberin übt rituell Verzicht. Sie hat sich das innere Dauerlächeln schwachsinniger Milde verordnet. Vielleicht wurde sie auch dazu erzogen, wenn nicht sogar abgerichtet.
Barbara Pym, „In feiner Gesellschaft“, Roman, auf Deutsch von Sabine Roth, Dumont, 349 Seiten, 20,-
Gleichzeitig kommt Dulcies Schöpferin Barbara Pym mit einem tüchtigen Frauenbild zur Sache:
„Frauen schafften es oft, Dinge herbeizuführen, die ein Mann schlechterdings für unmöglich gehalten hätte.“
Dergleichen findet man an vielen Stellen in Pyms Werk. Die Autorin lässt trotzdem wie am Fließband schrullige Christie-Charaktere* aufmarschieren. Dulcies Spezialität ist das Erschnüffeln der Abortseite im Dasein ihr kaum bekannter Leute. Zu diesem Behuf steigt sie in die Keller der staatlichen Archive und konsultiert zum Beispiel Crockfords Klerikeralmanch.
*Barbara Pym hält, was Agatha Christie versprach. Sie liefert das britische Air, kostkolonial konserviert, superb eingetütet. Ihr hinreißend zickiges Personal geht sich gegenseitig bravourös auf den Senkel.
An trüben Orten trifft man trübe Typen, so wie die verklemmte Zwielichtigkeit im Plural; Bettelbriefschreiber, die sich die Adressen von wohltätigen Personen und Einrichtungen verschaffen; schmierige Leisetreter*innen, die nie ein Fettnäpfchen ausgelassen haben.
Die hochgemute Laurel empfindet sich als Bereicherung und Farbtupfer in der tristen Lebenslandschaft der ollen Tante. Sie denkt, man habe auch sie gewartet. In Wahrheit gehorcht Dulcie ihrem Familiensinn als einer Überich-Instanz eher schwergängig. Sie trauert kleinen Freiheiten nach. Späßen, die sie mit sich selbst zu machen beliebte. Als junger Mensch unterschätzt man die Sperrigkeit der ergrauten Eigenliebe.
Erste Chrysanthemen und verspätete Windernten
Laurel bemerkt im Garten vor ihrem Fenster erste Chrysanthemen in einem Fried aus vergammelndem, von Vögeln und Wespen angegangenem Fallobst. Sie akklimatisiert sich im endlosen Geplauder der Gemeindeaktivistinnen, diesem engagierten Kranz der Kratzbürstigkeiten.
Aus der Ankündigung
Dulcie Mainwaring ist stets zur Hilfe, wenn andere sie brauchen ? um sich selbst und ihre eigenen Bedürfnisse kümmert sie sich dagegen kaum. Die Verzweiflung nach dem unrühmlichen Abgang ihres Verlobten erträgt sie still und bewahrt, wie gewohnt, Contenance. Allein die Aussicht auf den Besuch einer wissenschaftlichen Konferenz erhellt Dulcies Gemüt. Denn lässt sich eine bessere Ablenkung von Liebeskummer denken als ein Haufen Akademiker ? zumeist vorgerückten Alters ?, deren Gespräche sich um wissenschaftliche Spitzfindigkeiten drehen, die dem Rest der Welt herzlich egal sind? Auf der Tagung lernt sie nicht nur die exaltierte Femme fatale Viola Stint kennen, sondern auch deren Schwarm Aylwin Forbes. Der Herausgeber einer Literaturzeitschrift ist überaus attraktiv, aber ein Aufschneider. Er ist egoistisch, unzuverlässig – und unwiderstehlich. So kommt es, dass Dulcie ebenfalls eine Faszination für den charmanten Akademiker entwickelt und ihm nachzustellen beginnt. Aber drei sind einer zu viel; und die Anreise von Dulcies achtzehnjähriger Nichte Laurel kompliziert die Situation nur noch weiter – ist es doch ausgerechnet Laurel, auf die Aylwin ein Auge wirft.
Ungelüftete Schossgeheimnisse
Viola Stint wurde gerade sitzengelassen. Jetzt sucht sie Trost bei dem angejahrten Muttersöhnchen Aylwin Forbes.
Ein Mann entbindet sich von einem Eheversprechen. Ihrem gebrochenen Herzen verordnet die Sitzengelassene die Kur einer Tagung. Die Unterbringung ist dann erschreckend dürftig, „eine elende Kammer“, eingerichtet für zwei Versprengte, die nichts besseres mit sich anzufangen wissen, als in einem Kreis fremder Leute Interesse an einem Thema weit weg von den eigenen Bedürfnissen zu heucheln.
„Sie hätte niemals hierherkommen dürfen.“
Das erkennt Viola Stint mit den „spitzen Fingern“ eines unbefestigten Snobismus sowie angesichts der Einrichtungstristesse „in einem Mädcheninternat in Derbyshire“, das als Tagungsstätte fungiert.
Zu Viola gesellt sich „eine biedere englische Jungfrau“. Viola erhebt sich leicht über Dulcie Mainwaring. Berechtigt findet sie ihren Stolz auf eine Kombination von britisch-blassem Teint und schwarzen Stoffen in der Manier einer formbewussten Trauersuggestion. Nun entert Aylwin Forbes die Bildfläche. Vorsorglich zieht er eine Flasche Gin „aus den Falten seines (kofferfein verpackten) Schlafanzugs“. Den Koffer könnte die Mutter gepackt haben, zu der sich Aylwin nach einem Ehedesaster in Sicherheit zu bringen die Geistesgegenwart besessen hat. Viola, die ihm einst als Assistentin inbrünstig zuarbeitete, strebt den ungelüfteten Geheimnissen seines Schosses entgegen; jedes Vergnügen verneinend.
„Die Frage ist nicht, ob ich etwas genieße … Mir geht es um ihn.“
Das ich & ihn erscheint kursiv.
Neue Nachbarn
Hier noch einmal meine Besprechung von Barbara Pyms Roman „Vortreffliche Frauen“, aus dem Englischen von Sabine Roth, Dumont, 349 Seiten, 22,-
Barbara Pym plaudert hinreißend aus dem Giftschränkchen & Nähkästchen einer Pastorentochter im zerschlagenen London Ende der 1940er Jahre.
Sie hat die Angriffe der deutschen Luftwaffe auf London erlebt. Wenige Jahre nach Kriegsende führt Mildred Lathbury ein Mauerblaukissendasein in der versehrten Kapitale des verdämmernden Empire. Ledig geblieben zu sein, ist ein Makel, dem die nun dreißigjährige Pfarrerstochter den Vorzug gibt. Sie empfindet „die Liebe als etwas Furchtbares“.
Ihrer Eitelkeit gestattet sie wenig. Gewiss könnte niemand noch weniger putzsüchtig sein, doch nutzt Mildred Anlässe, um ein bisschen Staat zu machen.
„Meine Kleidung eine Spur weniger trist.“
Barbara Pym erzählt das so, dass man es sich sehr gut vorstellen kann. Die Selbstdisziplin, die Einsamkeit, die vermodernden Gemeindehauswände, die Gerüche der Armut, die Nachrichten aus den überseeischen Kolonien, die Klatschgesellschaft „vortrefflicher Frauen“ im Dunstkreis der Kirche als ungenügender Trost für ein mit den besten Vorsätzen verfehltes Leben …
The road to hell is paved with good intentions.
Die Nachmittagsfreuden des Tees/ Zeitgenössische Buntglasbläser/ untergegangene Jahrgangsgenossinnen/ Strickereien & Stickereien spielen zusammen in einem Ensemble der Zurückhaltung.
„Also machte ich mich daran, das kleine Gästezimmer herzurichten, stellte eine Vase mit Narzissen auf den Kaminsims und holte die nutzlosen kleinen Gästehandtücher mit der Stickerei heraus.“
Monster der Vitalität
Nicht zurückhaltend sind Mildreds neue, den Erzählanlass stiftende Nachbarn. Diese Monster der Vitalität stoßen die Eingesessene mit unverblümten Meldungen aus der Fäkalsphäre vor den Kopf. Das Gediegene und Getragene ist ihnen fremd. Die Rede ist von der attraktiven Anthropologin Helena und dem charismatischen Offizier Rocky, den Mildred gegen ihren Willen anhimmelt.
Rocky entspricht einem Ideal. Dem Kampf gegen die Deutschen lieh sein Typus das Siegerimage. Man ist sich ziemlich sicher, dass er im Krieg ein Verhältnis mit einer Italienerin hatte.
Rocky schreckt vor nichts zurück. Er geht so weit, Mildred den Hof zu machen. In ihrer stillen Erregung versteigt sie sich zu Vergleichen von verblichenen Gatten mit Teekannen.
Man ersetzt einen Mann „so wie man eine neue Teekanne kauft, wenn einem die alte zerbricht.“
Rocky erkennt den Scharfsinn der Verschmähenden. Er lockt Mildred aus der Reserve und bringt sie aus der Fassung.
Ich bin hingerissen von Pyms Schilderungen post-viktorianischer Szenen im Abendglanz einer Epoche. Plötzlich hebt das Schwungrad des Lebens Mildred hoch. Sie bilanziert:
„Die Männer sind nicht annähernd so arm und hilflos wie wir uns das gern einbilden.“