Als sich die höchst eigensinnig-unzuverlässige (verstörend-verstörte) Viola genötigt sieht, die unvertraute Nähe von Laurel und Dulcie aufzumischen, kommt es zu Störungen eines Gleichgewichts des Schreckens. Mich erinnert die Konstellation verschrägt an einen Film mit Mick Jagger und Anita Pallenberg – „Performance“.
We push the buttons, sagt Mick Jagger. Die Party ist aber schon so gut wie zu Ende. Die Wölfe der Depression schleichen sich in den Garten der Lüste. Der Sündenfall ist Altamont. Gewalt erobert die Szenen auf beiden Seiten des Atlantiks. Der 1968 gedrehte, aber erst 1970 in die Kinos gekommene Film nimmt das Verdunsten der Hippieness und das Ende des Summer of Love prophetisch vorweg. Als man ihn zu sehen bekommt, funktioniert er schon wie ein verfrühter Video-Clip. Gangster sickern in die Freiräume der voroffiziellen Kultur und verändern die Verhältnisse mit den Heißluftstrahlern der Brutalität. Ihre Unmittelbarkeit wirkt überwältigend. Im Augenblick schlucken sie Emanationen von etwas Überlebtem. Daraus ergibt sich eine Anziehungskraft. Jagger spielt einen ausgepowerten Bühnenbaron und erscheint in dieser Rolle wie ein Mann von gestern.
Aus dem Soundtrack: Ry Cooder, Get Away
Laurel und Dulcie sind Nichte und Tante. Für die Jüngere streiten sich in Dulcies Haus Jugendherbergsstimmungen mit dem Gefühl, auf einer Startrampe Gelassenheit zu üben.
Viola ist ihr Leben lang mit ungenauen Begriffen ausgekommen. Jetzt erschöpft sie die Aufgabe, präzise zu sein. In Dulcies duldsamen Haus bewegt sich Viola wie auf einer Bühne. Mit Theatralik täuscht sie Empfindungstiefe vor; die Gefühlswährung der Wohngemeinschaft.
Barbara Pym, „In feiner Gesellschaft“, Roman, auf Deutsch von Sabine Roth, Dumont, 349 Seiten, 20,-
Viola fühlt sich nicht richtig interpretiert. Das geht ihren Genossinnen genauso.
Was zuvor geschah/ Sich in einer Vorwärtsbewegung zurückziehen/ Mit angezogener Handbremse Gas geben
Dulcie öffnete ihr Haus einer Nichte vom Land namens Laurel und schließlich auch der in Engpässen flatternden Viola. Alle internen Konflikte bewegen sich auf einer Linie aus Punkten, an denen sich die Kontrahentinnen in Frage gestellt wahrnehmen.
In Dulcies heimischer Festung ist noch viel „nach dem Geschmack einer anderen Zeit“. Als Rezensentin der Familienschinken erkennt Viola einen verloren gegangenen Reichtum. Die polierende Wirkung der Konzentration auf Gegenstände bemerkt auch die eher prosaische Dulcie. Sie gesteht sich ihre Überforderung nicht ein. Sie will das alles nicht und findet doch kein Mittel gegen den Rummel auf den Schauplätzen ihres Refugiums.
Oft zieht sich Dulcie in einer Vorwärtsbewegung zurück. Sie erwägt die Einlagerung von Wein im Keller. Oder soll „sie Viola nicht doch lieber eigene heimliche Vorräte anlegen lassen?“
Was zuvor geschah: Viola Stint wurde gerade sitzengelassen. Jetzt sucht sie Trost bei dem angejahrten Muttersöhnchen Aylwin Forbes.
Ein Mann entbindet sich von einem Eheversprechen. Ihrem gebrochenen Herzen verordnet die Sitzengelassene die Kur einer Tagung. Die Unterbringung ist dann erschreckend dürftig, „eine elende Kammer“, eingerichtet für zwei Versprengte, die nichts besseres mit sich anzufangen wissen, als in einem Kreis fremder Leute Interesse an einem Thema weit weg von den eigenen Bedürfnissen zu heucheln.
„Sie hätte niemals hierherkommen dürfen.“
Das erkennt Viola Stint mit den „spitzen Fingern“ eines unbefestigten Snobismus sowie angesichts der Einrichtungstristesse „in einem Mädcheninternat in Derbyshire“, das als Tagungsstätte fungiert.
Zu Viola gesellt sich „eine biedere englische Jungfrau“. Viola erhebt sich leicht über Dulcie Mainwaring. Berechtigt findet sie ihren Stolz auf eine Kombination von britisch-blassem Teint und schwarzen Stoffen in der Manier einer formbewussten Trauersuggestion. Nun entert Aylwin Forbes die Bildfläche. Vorsorglich zieht er eine Flasche Gin „aus den Falten seines (kofferfein verpackten) Schlafanzugs“. Den Koffer könnte die Mutter gepackt haben, zu der sich Aylwin nach einem Ehedesaster in Sicherheit zu bringen die Geistesgegenwart besessen hat. Viola, die ihm einst als Assistentin inbrünstig zuarbeitete, strebt den ungelüfteten Geheimnissen seines Schosses entgegen; jedes Vergnügen verneinend.
„Die Frage ist nicht, ob ich etwas genieße … Mir geht es um ihn.“
Das ich & ihn erscheint kursiv.
Barbara Pym sagt: „Frauen schafften es oft, Dinge herbeizuführen, die ein Mann schlechterdings für unmöglich gehalten hätte.“
Alles läuft auf eine Zuspitzung hinaus. Dulcie Mainwarings Nichte Laurel zieht frohgemut zu ihrer Tante von Nirgendwo auf dem Land nach Irgendwo in London. Das heißt, es gibt bessere Adressen, wie der Nachkommenden wohl bewusst ist. Die Gastgeberin übt rituell den Verzicht. Sie hat sich das innere Dauerlächeln schwachsinniger Milde verordnet. Vielleicht wurde sie auch dazu erzogen, wenn nicht sogar abgerichtet.
Gleichzeitig kommt Dulcies Schöpferin Barbara Pym mit einem tüchtigen Frauenbild zur Sache:
„Frauen schafften es oft, Dinge herbeizuführen, die ein Mann schlechterdings für unmöglich gehalten hätte.“
Dergleichen findet man an vielen Stellen in Pyms Werk. Die Autorin lässt trotzdem wie am Fließband schrullige Christie-Charaktere* aufmarschieren. Dulcies Spezialität ist das Erschnüffeln der Abortseite im Dasein ihr kaum bekannter Leute. Zu diesem Behuf steigt sie in die Keller der staatlichen Archive und konsultiert zum Beispiel Crockfords Klerikeralmanch.
*Barbara Pym hält, was Agatha Christie versprach. Sie liefert das britische Air, kostkolonial konserviert, superb eingetütet. Ihr hinreißend zickiges Personal geht sich gegenseitig bravourös auf den Senkel.
An trüben Orten trifft man trübe Typen, so wie die verklemmte Zwielichtigkeit im Plural; Bettelbriefschreiber, die sich die Adressen von wohltätigen Personen und Einrichtungen verschaffen; schmierige Leisetreter*innen, die nie ein Fettnäpfchen ausgelassen haben.
Die hochgemute Laurel empfindet sich als Bereicherung und Farbtupfer in der tristen Lebenslandschaft der ollen Tante. Sie denkt, man habe auch sie gewartet. In Wahrheit gehorcht Dulcie ihrem Familiensinn als einer Überich-Instanz eher schwergängig. Sie trauert kleinen Freiheiten nach. Späßen, die sie mit sich selbst zu machen beliebte. Als junger Mensch unterschätzt man die Sperrigkeit der ergrauten Eigenliebe.
Erste Chrysanthemen und verspätete Windernten
Laurel bemerkt im Garten vor ihrem Fenster erste Chrysanthemen in einem Fried aus vergammelndem, von Vögeln und Wespen angegangenem Fallobst. Sie akklimatisiert sich im endlosen Geplauder der Gemeindeaktivistinnen, diesem engagierten Kranz der Kratzbürstigkeiten.