Hier noch mal der Text
Dilşad Budak-Sarıoğlu brachte ihre Lebensgeschichte gemeinsam mit Ilgıt Uçum unter dem Titel „Türkland“ auch auf die Bühne des Fabriktheaters Moabit. Türkland entstand in Kooperation mit dem Theater Entropi Sahne sowie mit MAVIBLAU.
Dilşad Budak-Sarıoğlu kam im türkischen Untergrund auf die Welt. Ihre Eltern waren Sozialisten. Sie glühten im politischen Glaubenseifer und verfolgten den Passionsweg der Genossen. Er führte ins Gefängnis und ins Exil.
Dilşad Budak-Sarıoğlu erinnert sich:
„Mein Vater war links und meine Mutter kannte keine Furcht.“
Nach einem Militärputsch lernte die Familie 1980 das Exil zuerst in Paris kennen. Von da zog sie weiter ins Ruhrgebiet. Eine Kleinstadt am Rand der Welt, wenn man aus Istanbul und Paris kommt, wird zum Schauplatz der Kindheit. Da traf Diversität beschränkte Verhältnisse.
„Ich unterschied zwischen Kindern, deren Väter das Gefängnis kannten, und den anderen.“
„Ich unterschied zwischen Kindern, die so wie ich in Kommunen lebten, und solchen, die in Wohnungen aufwuchsen.“
„Da alle Genossen waren, dachte ich Genosse sei eine verwandtschaftliche Bezeichnung.“
Dilşad Budak-Sarıoğlu erzählt keine typische Geschichte aus den Labyrinthen der Migration. Vermutlich ist ihre Geschichte so noch nie erzählt worden. Sie hat dafür eine elegante Form gefunden. Sie performt zweisprachig im Einklang mit Ilgıt Uçum. Um es gleich zu sagen, ich habe noch nie eine intelligentere Kombination von Reflexion und Narration auf dem Feld der Migration beobachtet.
Das ist erstklassig. Budak-Sarıoğlu und Uçum verbinden biografische Stationen mit psychologischen und politischen Erwägungen. Sie wissen, Bildung ist der Schlüssel. Sie setzen Antonio Gramscis kulturelles Hegemonie Prinzip um. Sie produzieren zustimmungsfähige Ideen und bauen damit einen Vorhof der politischen Partizipation. Sie gehen von zwei Referenzgesellschaften aus, die gleichmäßig in Anspruch genommen und mit Forderungen überzogen werden. Zugleich bieten sie eine dritte Kultur an, die sich aus der deutschen und türkischen synthetisiert. Der Transit der Migration endet in einer Sphäre, in der Migration zur Qualifikation wird – im Zuge der Chancen doppelter und dreifacher kultureller Auswahl. Die Auffächerung und Ausdifferenzierung des Eigentümlichen ist da erst möglich, in der Abwendung vom vereinheitlichenden ben bir türküm. Budak-Sarıoğlus Mutters albanisch-sunnitischer Hintergrund bekommt da seine Farben. Die alevitisch-anatolische Herkunft des Vaters wirkt da bereichernd. Zum Kapital von Minderheiten gehören sonderbare Erzählungen, die sich wie Gebirge über den Verflachungen und Vereinfachungen der Homogenitätsideologien erheben.
Budak-Sarıoğlu und Uçum tragen an einem Tisch vor, manchmal stehen sie auf. Es geschieht nicht viel im Raum und doch entsteht die Intensität von Kino.
Budak-Sarıoğlu kehrte als Erwachsene in die Türkei zurück. Sie beschreibt Anpassungsschwierigkeiten in der Herkunftsgesellschaft ihrer Eltern.
„Gleichzeitig kam ganz viel Ärger gegenüber Deutschland in mir hoch und der Schmerz der Diskriminierung, die ich dort erfahren habe. Und plötzlich habe ich mich beiden Ländern gegenüber sehr fremd gefühlt.“
Diese Melange machte die Autorin fruchtbar. Der Performancekern dreht sich um eine Liebesgeschichte. Die Deutschtürkin verliebt sich in einen Türkeitürken. Welten prallen aufeinander.