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2020-12-21 05:42:05, Jamal Tuschick

Die Handicap-Hypothese

„Nach der Handicap-Hypothese haben die Männchen mit den auffälligsten Farbtrachten schon deshalb gute Chancen bei den Weibchen, weil sie noch am Leben sind.“ Axel Buether

“The sight of a feather in a peacock’s tail, whenever I gaze at it, makes me sick.” Charles Darwin

Amotz und Avishag Zahavi beschreiben die Grundgedanken des Handicap-Prinzips als ‚ganz einfach: Vergeudung kann sinnvoll sein, weil man dadurch schlüssig zeigt, dass man mehr als genug besitzt ... Gerade der Aufwand … macht die Aussage zuverlässig.‘“ Wikipedia

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Am Beispiel der Pfauen.

„Weibchen haben im Allgemeinen mehr zu verlieren, wenn sie sich mit einem minderwertigen Männchen paaren, da ihre Gameten teurer sind als die des Männchens.“ Quelle

Die Hennen entscheiden sich (in einem Experiment) auch dann für den Hahn mit dem teuersten Gefieder, wenn der Schmuck einem Superhahn abgeknöpft und einem Durchschnittshahn angeklebt wurde. Das heißt, dass was sie für fälschungssicher halten, nämlich die Potenzpracht, bestimmt ihr Verhalten, ohne die Chance einer zweiten Evaluierung.
Das eröffnet den Täuschungsvirtuosen Tor und Tür.

Pfauenhennen ziehen es vor, sich mit solchen Hähnen zu paaren, die übertriebene Prachtzeichen schmücken. Sie sind offensichtlich gesünder und kräftiger als ihre Rivalen. Folglich erscheinen die Ornamente (Pfauenaugen) als Marker der Überlebensfähigkeit. Quelle

Dem Handicap-Prinzip wird widersprochen. Einige Experimente belegen, dass Pfauenhennen nicht unbedingt nach dem Klischee wählen, das den idealen Partner in der Mitte zwischen Fressfeind und Begehren platziert. Der überladene Hahn wird zum weichen Ziel für auf Pfauen abonnierte Greifer*innen. Der karge Konkurrent erscheint den Hennen zu dürftig.

Das ist der Allgemeinplatz. Dagegen sprechen Beobachtungen, die zeigen, dass ökologische Faktoren die Entscheidungen der Hennen beeinflussen, und sie unter Umständen keine Präferenzdifferenz zwischen den Potentiellen erkennen lassen.

Axel Buether, „Die geheimnisvolle Macht der Farben. Wie sie unser Verhalten und Empfinden beeinflussen“, Droemer Knaur, 306 Seiten, 25,-

Hochstapler*innen der Natur

Mimikry und Mimese ... Gute Tarnung wirkt sich positiv auf den Fortpflanzungsbetrieb aus, sagt der Fachmann im Video. Die Camouflage-Virtuos*innen konkurrieren mit den Hochleistungsnachahmer*innen. „Die Hainschwebfliege ahmt mit ihrer gelb-schwarzen Färbung eine wehrhafte Wespe nach, um sich gegen Fressfeinde zu schützen. Sie selbst hat keinen Stachel und ist völlig harmlos. In Deutschland gibt es insgesamt etwa 450 Schwebfliegenarten.“ Quelle

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Gelbe Jacke, schwarzer Bart (siehe Video) - So markiert und unterscheidet sich der Beste von allen anderen. Die Kombination Gelbschwarz lässt uns intuitiv zurückweichen, sagt Axel Buether. Harmlose Tiere nutzen solche Warneffekte. Große Flügelpunkte suggerieren aufgerissene Augen. Der Witz dabei: Fressfeinde fallen tatsächlich darauf herein.

„Die Imitation von Warntrachten wird in der Biologie als Mimikry bezeichnet.“

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Von der Mimikry zur Mimese

Wer zu schwach, zu langsam oder zu unflexibel ist, darf nicht erst flüchten müssen, sondern muss schon (vor jedem Angriff) geflohen sein. Eine totale Vulnerabilität erfordert die Minimierung der Angriffsflächen in Verstecken. Das Hochamt in dieser Kirche des Überlebens ist die Unsichtbarkeit bei voller Präsenz. Man sitzt da, kann vom Feind aber nicht wahrgenommen werden. Das passiert, wenn die Tarntracht mit ihrem Hintergrund verschmilzt. Dazu gehört „die hohe Kunst des Farbwechsels“. Menschen praktizieren den Farbwechsel mit ihrer Kleidung. Sie liefern ihrer Umwelt Aufstiegs- und Abstiegsmarken.

„Bei den Siegern von Hahnenkämpfen sorgen genetische Veränderungen in … kurzer Zeit für ein farbenprächtigeres Aussehen. Aus dem sub-dominanten wird ein dominanter Phänotyp.“

Die biologische Funktion von Schönheit/Klimmzüge der Vergeblichkeit

Schleicht sich eine Großkatze gegen den Wind an, auf ihrer Pirsch Sträucher und Unterholz als Deckung nutzend, bewirkt ein unregelmäßiges Fellmuster, dass die Gestalt in der Wahrnehmung des Opfers zerfällt. Umgekehrt bleibt die Auffassung des Opfers in den Jäger*innenaugen stabil. Folglich ist jene(r) Jäger(in), die/der sich schwerer erkennen lässt.

*

Einfallslose und lebensblasse Laubenvögel bilden keine abgesonderten Kolonien der Bescheidenheit. Vielmehr suchen sie die Nähe von Meistern des dekorativen Nestbaus.

„Der Ideenklau ist keine menschliche Erfindung.“

Erfolgreiche Künstler (unter den Laubenvögeln) paaren sich nach Belieben. Der Rest stirbt aus, nach ein paar Klimmzügen der Vergeblichkeit.

Warum sollen wir Kunstfertigkeiten nicht als Geschlechtsmerkmale begreifen? Was spricht dagegen? Die kulturelle Evolution folgt den Gesetzen der biologischen. Schöne Farben, kreative Lösungen: darum dreht sich die Spindel. Die Genetikerinnen Eva Jablonka und Marion Lamb stellen fest:

„Evolution findet heute nicht mehr noch auf der genetischen, sondern ebenso auch auf der epigenetischen, der kulturellen und der symbolischen Ebene statt.“

„Jablonka und Lamb wollen die Vorstellung, dass jede erbliche Variation spontan und blind für irgendwelche Funktion entsteht, durch ein neues Konzept ersetzen. Es schließt erbliche epigenetische Veränderungen ein, die weiterverbreitet sind als man noch vor wenigen Jahren dachte; hinzu kommen die Weitergabe von Information durch Verhaltensweisen und die symbolgestützte Vererbung. Vier Dimensionen - sie beschreiben eine viel umfassendere und differenziertere Theorie der Evolution, bei der die natürliche Selektion nicht nur unter den Genen auswählt.“ Quelle

Farbheimat

Wir teilen mit den Schimpansen die „Farbheimat“. Gemeinsam lieben wir Licht und Luft vor einem grünen Hintergrund.

„Mit dem Grün steigt die Lebensqualität.“

Grün ist die Farbe der Menschheit, rot die Farbe der Bekömmlichkeit. Färbt sich Fleisch grau, sinkt der Appetit des Carnivoren. Wir haben den Ekel im Blut. Er bewahrt uns vor toxischen Interventionen und Parasitenbefall. Das bemerkt Axel Buether.

„Farben sind der natürliche Ratgeber für eine gesunde Ernährung.“

Gelbschwarze Dominanzanzüge

Die Kombination Gelbschwarz lässt uns intuitiv zurückweichen. Es gibt viele, den Wespenalarm auslösende, gelbschwarze Aggro-Outfits und Dominanzkostüme. Ich habe mich manchmal gefragt, warum Gelb in den Kampfkünsten hohen Rängen vorbehalten bleibt, ich meine, wir denken doch als Normalos bei Gelb an verkleckertes Ei und die schlechten Umfragewerte der FDP. Jetzt weiß ich, warum gewisse Meister sich gelbgenial vom Fußvolk absetzen. Gelbschwarz suggeriert eine schmerzhafte Begegnung. Das veranlasst den Angesprochenen zu deutlich defensiveren Reaktionen als bei grünroten Auftritten. Die vorausschauende Vermeidung lässt den Tiger auf der Gegenseite besonders überlegen erscheinen.

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Farbbizarr

Warum erscheint die Natur so form- und farbbizarr? Was soll uns ein cyanblau gepunktetes Goldschuppenkleid sagen?

„Warum gibt es einen geleeartigen, zitronengelben Fisch, dessen Augenränder und Schwanzflossen neongrün leuchten?“

Fisher‘s Runaway Selection/Exklusives Schauspektrum/Weiblicher Schönheitssinn

Das exklusive Schauspektrum liefert „Orientierung in sozialen Systemen“. Bei den Buntbarschen, die sich in 1700 Arten verzweigen, hängt der Fortpflanzungsbetrieb von der weiblichen Wahrnehmung (nach überkommenen Begriffen, vom weiblichen Schönheitssinn) ab. Die Richtigen sind nicht unbedingt die Schönsten, behauptet aber Buether im Geist der Fisher‘s Runaway Selection.

Der Tiegel des Selektionsdrucks

Charles Darwin glaubte an einen Optimierungsswing von weiblichen Partnerwahlpräferenzen und männlichem Selektionsdruck. Der britische Statistiker und Evolutionstheoretiker Ronald Aylmer Fisher (1890 - 1962) griff Darwins Idee von der zwangsläufigen Verbesserung auf, um ihr zu widersprechen. Fisher etablierte die sexuelle Präferenz als Komplementärkategorie zur natürlichen Selektion. Die Bevorzugung von Merkmalen führt nach der Sexy Sons Hypothesis zur Durchsetzung von männlich konnotierten Farben und Formen. Interessant ist hier die Geringfügung eines Farbvorteils, der in evolutionären Prozessen mit aller Macht nach vorn getragen wird, ohne die Überlebenschancen der Merkmalträger zu verbessern. Fisher nannte den kuriosen Vorgang Runaway Process. Auf dieser Strecke werden Selektionsnachteile (wie etwa ein beschwerlicher Federschmuck) solange weitergegeben, bis vitale Beeinträchtigungen das Experiment stoppen.

So kann der weibliche Schönheitssinn in die Irre führen. Manche Vogel- und Fischweibchen favorisieren extrem auffällige Männchen, deren Performance auf optische und akustische Maximalreize ausgelegt ist. Die Präferenz einer Gefiederten für lange Schwanzfedern besorgt - mit paradoxen Folgen - die sogenannte positive Rückkopplung. „Der Koppelungsprozess führt in kurzer Zeit zu extremer Merkmalsausprägung.“ Überzogene Federschwanzlängen wirken sich bei Pfauen kostspielig aus. „Sie stellen einen deutlichen Überlebensnachteil dar (Energieverbrauch, Beeinträchtigung der Mobilität, usw.).“ Quelle

Man spricht von Selbstverstärkung. „Die Farbpräferenz des Weibchens sorgt für die Selektion der männlichen Gene, die darüber hinaus keine weiteren Vorteile bieten müssen (Axel Buether).“

Im Spektrum zwischen Gefahr und Fortpflanzung

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Die größten Bauwerke der Welt erschaffen Korallenpolypen. Sie betreiben Fotosynthese und beziehen Nährstoffe von mikroorganischen Nutznießer*innen ihrer Riffe. Hundertausende Arten leben „auf engstem Raum in Freundschaft und Feindschaft zusammen“.

Diese Umwelt ist zu komplex, um sie allein mit Nahsinnen (Tasten, Riechen, Schmecken) bis zur Übersichtlichkeit in den Griff zu bekommen. In der verdichteten Unterschiedlichkeit bietet das Gehör nicht genug Filter, um im Spektrum zwischen Gefahr und Fortpflanzung „identifizierbare Geräuschmuster“ zu entwickeln. Denken Sie an die Akustik in einer überfüllten Wartehalle. In jedem Gewimmel sorgen allein prägnante Farben für eine effektive Unterscheidung.

„Farbe ist das leistungsfähigste Orientierungssystem der Natur.“

Mit dieser Ansage eröffnet Axel Buether einen Reigen spannender Erklärungen. „Buntheit“ beweist Biodiversität. Sie indiziert Vielfalt.

Buether erwähnt die Funktionen von Farben in den sieben Kategorien „Orientierung, Gesundheit, Warnung, Tarnung, Werbung, Status und Verständigung“.

Aus der Ankündigung

Deutschlands führender Farb-Experte, Prof. Dr. Axel Buether, geht in diesem populären Sachbuch dem Geheimnis der Farben auf den Grund. Sie sind nicht nur schön, sondern erfüllen als Produkt der Evolution lebenswichtige Funktionen für Natur und Mensch. Unablässig kommunizieren wir mit unserer Umwelt durch die Sprache der Farben, die insgeheim großen Einfluss auf unser Gefühlsleben, unser soziales Verhalten und unsere Gesundheit hat. Öffnen wir die Augen, sehen wir – Farben! Die Welt ist bunt, Farben verleihen ihr Kontur und Form, aber nur zu einem Prozent verarbeiten wir sie bewusst. Axel Buether entlarvt sie als das größte Kommunikationssystem der Erde und erklärt, wie wir Menschen Farben wahrnehmen. Er beschreibt, wie sie unser Verhalten steuern, ohne dass wir es merken, und welche Rolle sie für unser Wohlbefinden, ja unsere Gesundheit spielen. Vor allem verrät er, wie Farben auf unsere Psyche wirken. Dazu nimmt sich Buether die 13 Grundfarben vor, spürt ihrer Symbolik in der Kulturgeschichte nach und schlüsselt ihre Effekte auf unsere Psyche auf. Ein informatives und spannendes Farb-Panorama, das uns Einblick in die neuesten Erkenntnisse der Farb-Forschung gewährt und zeigt, wie wir dieses Wissen auch für unseren Alltag nutzen können.

Prof. Dr. Axel Buether, 1967 geboren, studierte Architektur und promovierte im Grenzbereich von Neuropsychologie und Umweltgestaltung. 2006 wurde er Vorsitzender des Deutschen Farbenzentrum e.V. – Zentralinstitut für Farbe in Wissenschaft und Gestaltung, von 2006 bis 2012 lehrte er an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. Seit 2012 ist Buether Professor für Didaktik der Visuellen Kommunikation an der Bergischen Universität Wuppertal.