Die Autorin erzählt von einer behüteten Kindheit. Pariser Vorortgepflogenheiten der gehobenen Art arrondieren das Geschehen.
„Wir lebten in einem Haus mit Garten.“
Emilia Roig absolviert den Parcours für höhere Töchter in einer französischen Spielweise. Trotzdem ist sie gleichsam von Geburt eine Social Justice Warrior* par excellence.
„Seit meiner Kindheit haben mich Armut und soziale Ungleichheit beschäftigt.“
Der Gerechtigkeitssinn bezieht Nahrung und Unterstützung aus den Erzählungen, der mit harten Bandagen auf Martinique sozialisierten Mutter. Mangel regierte den Alltag. Rachitis und Wachstumsverzögerungen waren Folgen der Unterversorgung. In Frankreich erlebte die Familie „extrem viel Rassismus“ und zwar in jedem gesellschaftlichen Sektor.
Emilia Roig, „Why we matter. Das Ende der Unterdrückung“, Aufbau Verlag, 397 Seiten, 22,-
Die Tochter reagiert auf die Leiderfahrungen mit Schuldgefühlen. Sie stellt ihr Glück in Frage und hält es für unverdient.
Heute weiß die Expertin, in welchem Ausmaß wir in einem Regime der Fremdzuschreibungen existieren. Andere definieren unseren Radius mit ihren Vorstellungen von uns. Das muss aufhören. Wir brauchen nicht nur einen Klimawandel, sondern auch einen Shift in Consciousness.
„Die Ungerechtigkeit wirkt manchmal überwältigend.“
Die Varianten der Diskriminierung schaukeln sich wie Wellen auf und erzeugen ein sich selbst verstärkendes System.
Die Schwarze Kriegerin
Nicht nur die weiße Geschichtsschreibung unterschlägt den Widerstand Schwarzer Frauen in der US-amerikanischen Sklavenhaltergesellschaft. Das erläutert Angela Davis in dem 1971 unter Haftbedingungen entstandenen Aufsatz „Reflexionen über die Rolle der Schwarzen Frau* in der versklavten Community“. Davis leuchtet kurz in das Verhältnis von Herrschaft und Deutungshoheit. Sie verzichtet darauf, die genretypischen Darstellungen verschleppter und versklavter Frauen als schicksalsergebene Trägerinnen enormer Lasten, als Duldungsmaschinen und Muttertiere zu decouvrieren. Davis zitiert kaum aus den Poesiealben des Terrors unter den Vorzeichen fatalistischer Geschichtsbegriffe. Knapp bestimmt sie die Grundfläche jener Arena, in der sich die Entrechtung im Geleit psychologischer und physischer Zersetzungsmethoden vollzog.
In der alten pyramidalen Unterwerfungsarchitektur, die kaum je ein archäologisches Interesse fand, sank die versklavte Frau unter den versklavten Mann und wurde von einer sadistischen Freiheit verschlungen. Sie suchte Zuflucht bei Jesus und verlegte ihre Interessen ins Jenseits. Solche Deutungen entsprachen Ermordungen auf dem Papier – Vernichtungen eines wahrhaftigen Andenkens im römischen Geist der Damnatio memoriae. Davis setzt sie keiner Kritik aus, sie übergeht den Herrschaftstext. Ihre postumen Heroisierungen fallen dezent aus. Im Grunde geht es ihr nur darum, die offizielle Lesart und Schreibweise facettenreicher zu gestalten, um dem Stolz nachkommender Aktivistinnen Motive zu liefern.
Die in Ketten der Fremdbestimmung geschlagene Revolutionärin schafft das Narrativ der Schwarzen Kriegerin. Sie schildert ihre Ahninnen als Garantinnen des Partisanenmuts in prekären Maroon-Gemeinschaften, die sich mitunter jahrelang gegen eine Übermacht hielten und sich schließlich lieber bis auf die letzte Frau niedermachen ließen als sich für einen Galgentod zu ergeben. Diese Neubeschriftungen alter Flächen gipfeln in mythischen Geflüchteten-Republiken, deren Bürger*innen (am besten auf einer Insel) eine freundliche Zukunft politisch unglaublich einsichtig vorwegnehmen.
Davis beschreibt Folgen der Leugnung Schwarzer Tapferkeit. Eine falsche Berichterstattung hilft Herrschenden die Mutlosigkeit jener zu fördern, die sie zu fürchten haben. Vor allem jedoch korrigiert Davis das Bild von der Schwarzen Frau auf der letzten Hierarchiestufe. Die Arbeitsbedingungen auf den Plantagen bewirkten eine negative Gleichstellung der Versklavten. In vielen Gemeinschaften ließ sich weibliche Dominanz beobachten. Die Matriarchin war eine bestimmende Figur.
Davis betreibt im Verein mit anderen Aktivistinnen eine Dekonstruktion der Matriarchin, die ihre Position einer Mitwirkung an der eigenen Unterdrückung verdankte.
Ich setze an einer anderen Stelle an.
Brillante Perlen
Was man verinnerlicht hat, weiß man überhaupt erst, wenn man es veräußerlicht hat. Ein Merkmal der Absonderung ist Genauigkeit. Außenseiter*innen überleben ihre Gefährdungen als Beobachter*innen. Audre Lorde schreibt:
„Eine Überlebensstrategie für diejenigen von uns, für die Unterdrückungserfahrungen so US-amerikanisch sind wie Apfelkuchen, bestand darin, stets Beobachtende zu sein.“
Diese Position ergibt sich in einer Anspannung, die in Patricia Hill Collins‘ Aufsatz „Die Kraft der Selbstbestimmung“ zum Gegenstand wird. Schwarze Frauen bedienen sich „der Sprache und den Sitten der Täter*innen“ wie Hüllen, die sie verbergen sollen. Sie verwenden die Kodes ihrer Vorgesetzten, um etwas vorzutäuschen, dass abschirmend wirkt. Sie begreifen die Schliche der Anpassung als Schauspielerei.
„Wir sind die besten Schauspielerinnen der Welt.“
Collins bemerkt bei Schwarzen Hausangestellten ein „beeindruckendes Selbstbewusstsein“. Die Autorin exponiert „Geschicklichkeit“ in der Abwehr von Herabsetzungen und bei der Kreation „stärkender Identitäten“. – Dies in einem historischen Rückblick, der afroamerikanische Frauen an der Schwelle zum XX. Jahrhundert als „willensstarke Widerständige“ zeigt. Sie leb(t)en ihrer Gemeinde „etwas Wertvolles und Verdienstreiches“ vor. In der Idealisierung der mehrfach diskriminierten, gleichwohl haltungsstarken Arbeiterin stecken Ideen, über die zu sprechen sein wird.