„Selbst die sorgfältigste Übersetzung … ist, wenn sie nicht einer inneren Notwendigkeit entspringt, kein lebendiger Austausch … (vielmehr) hinterlässt sie eine sehr schädliche Spur in der unbewussten Werkstatt einer Sprache, verstellt ihr Wege, verdirbt ihr Gewissen, macht sie nachgiebig, ausweichend, versöhnlich, gesichtslos.“
Ossip Mandelstam mokiert sich über die unoriginelle Narration verbindender Sätze in den Discountromanen. Er kritisiert blinde Überbrückungen und eine Plausibilitätserzeugungsmonotonie mit dem Charme zusammengehauener Bretterbuden. Es wäre albern, hervorzuheben, wie modern die Einwände gegen Plattitüdenverbreitung vorgetragen werden; wie unvergilbt Mandelstam sich dem Jetzt präsentiert. Mandelstam ist noch als Toter lebendiger als viele Leute zu Lebzeiten es vermögen zu sein.
Lesen Sie Mandelstam!
Ossip Mandelstam, „Gespräch über Dante, Gesammelte Essays II 1925-1935“, herausgegeben von Ralph Dutli, Ammann Verlag 1991
In „Jacques wurde geboren und starb“ befasst er sich mit der Krux von Übersetzungen aus der Massenproduktion.
Mandelstam stochert in Massengräbern des Geistes und entdeckt eine „Wortwelt aus Pappe“.
Er erkennt: es ist alles vollkommen egal. Wer? Von wem? Was? Woraus? Ist egal. Das Dutzendgedöns schreibender Eintagsfliegen braucht kein Mensch. Er braucht es weder im Original noch in einer Übersetzung. Mandelstam rekapituliert die Stadien eines Niedergangs.
„Der Verfall begann … als der … falsche Begriff geistiger Schmutzarbeit, intellektueller Tagelöhnerei aufkam ... Damals kamen die Spinnen in den Buchläden dahinter, dass sich mit billigem Gehirn Geld machen ließ.“
Genie und Genre
In den 1920er Jahren bespricht Ossip Mandelstam Filme, Inszenierungen, Bücher und Tendenzen. Er analysiert literarische Moden. Er knöpft sich den Unanimismus um Jules Romains vor.
Das Genie nimmt das Genre der Rezension auf die leichte Schulter. Er macht die kleinen Sachen mit links; schüttelt den Text aus dem Gelenk. Als Fachperson in der Rolle eines Verspäteten bin ich ganz Freude auf dem zugigen Bahnhof der Zeit.
Mandelstam macht sich lustig über den Dilettantismus unter der Kunsthaube. Das ukrainische Theater beschreibt er als eine Angelegenheit, die „dem Willen des Zufalls … und der Willkür des Einzeltalents unterworfen“ sei. Man agiere „auf gut Glück“.
Der freundlichen Vernichtung lässt sich nichts hinzufügen. Mandelstam beweist sich als Meister verdeckter Haken. Er fintiert unter Aufsicht. Chefin im Ring ist die sowjetische Zensur. Mandelstam trägt nicht schwer an den Bleiplatten der Dummheit. Das unter Kuratel gestellte Talent unterläuft die zähe Staatlichkeit. Es spielt die Muntere.
Mandelstam verschweigt den Druck, der auf ihm lastet. Er kennt die Schliche der Eigensicherung. Den übelsten Zurschaustellungen sagt er Wundersames nach. Ein Wort für Schund: „urtümliche Theatralik“.
Das ist reiner Hohn:
„... dass in der Ukraine mit der Revolution eine Generation kolossalen, von der Tradition unbelasteten Theatertalents heranreifte - ein Theater ohne Literatur, ohne Psychologie.“
Manchen Verwerfungen der sowjetischen Kulturrevolution begegnet Mandelstam mit bellizistischer Verve, um Aplomb zu behaupten vielleicht (nicht) nur.
Niemand kann mehr so schreiben wie er. Mandelstam übertrifft Benjamin, da er keine Grille nährt. Er dreht keine Locken auf Glatzen. Irgendwo sagt Heiner Müller, totalitäre Systeme hülfen der Literatur auf ihre Weise. Mandelstam bestätigt die Einschätzung. Ihm schmerzen die Augen bei all der antibürgerlichen Abtrittsaufbrauserei in primär ideologisch beglaubigten Verhältnissen. Die nachtragenden Formulierungen sind Zauberformeln eines subversiven, pausenlos Distanzierungen provozierenden Qualitätsbewusstseins, das sich in einer trüben Praxis zuspitzt.
„Noch eine Eigenart des Beresil: Keinen Moment lang verliert es den Kontakt zum revolutionären Straßenkarneval.“