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2021-08-18 09:44:05, Jamal Tuschick

Mühsamer Anfang/Unter dem Tisch der Zeit - Erich Mühsam wurde in der DDR gründlich rezipiert

Was die editorische Sorgfalt gebietet

In den Anmerkungen zu der 1978 erstmals erschienenen Werkauswahl

Erich Mühsam, „Gedichte, Prosa, Stücke“, Verlag Volk und Welt

findet man Erklärungen zu Phänomenen, die unter den Tisch der Zeit gefallen sind. Ich führe drei Beispiele an.

1896 gründete sich eine „Freie Studentenschaft“ in Opposition zu korporierten Assoziationen. Man nannte sich „Finkenschafter“. Die Organisation erlitt noch vor dem I. Weltkrieg ein Sektenschicksal. Sie zerfiel zwischen den Polen politisch und religiös.

1915 erschien Karl Liebknechts Flugblatt Der Hauptfeind steht im eigenen Land. Es kam zu Unruhen und Streiks. Arbeiter:innen demonstrierten in Leipzig, Braunschweig und Koblenz „gegen Hunger, Wucher und Krieg“. Wer weiß so was noch?

Eine Erinnerung an das Marschlied der Zwölfjährigen; „gewidmet den Schülern der tapferen Jugendbildnerinnen Elsbeth Rupertus und Gertrud Metzner“.

Essayistischer Shot

Ein Klaus Mann unserer Tage wäre Aktivist ohne Ach und Krach. In seiner Korrespondenz antizipiert er das aktuelle Agitationsvokabular. Gern haut er den Leuten was vor den Kopf, um sich dann selbst vor den Kopf gestoßen zu fühlen, sobald die Blessierten indigniert reagieren. Ein Beispiel für den rüden Stil liefert ein Brief an Manuel Gasser aus dem Jahr 1934.

Ich zitiere aus Klaus Mann, „Briefe“, herausgegeben von Friedrich Albrecht, Aufbau Verlag

Klaus Mann empört sich. Er wirft Gasser vor, dass jener für die „Weltwoche“ schreibt. Der Zuchtmeister nennt den Adressaten „leichtsinnig und politisch ahnungslos“. Das ist die Peitsche. Es folgt das Begabtenbonbon.

„Du hättest es verdient, in eine bessere Sache zu rutschen.“

Klaus Mann verdonnert den Gerügten:

„Gib dir Mühe, meine Gereiztheit zu verstehen ... und meine (harsche) Reaktion natürlich (zu) finden.“

Ephebische Intensität

In einem Brief an den aus Kattowitz gebürtigen Juristen und Kritiker Franz Goldstein (1898 - 1982) unterscheidet Klaus Mann hierarchisch lyrische von gedanklicher Schönheit zum Nachteil der glücklichen Fügung und des gelungenen Wortes. Der Exilant reagiert am 15.05. 1936 in Sanary-sur-Mer auf ein Buch, dessen Erscheinen ihm eine Goldstein-Besprechung meldete. Er revanchiert sich mit einer privaten Rezension von hoher Warte.

Klaus Mann behauptet einen umfassenden Vorsprung. Er betont einen Abstand, um gleichzeitig weit ausholend die behauptete Ferne mit feuilletonistischer Fülle zu dementieren.

Klaus Mann widerspricht sich. Er verdeckt eine Kränkung. Offenbar wähnt er sich in Reichweite einer Anmaßung, die er Gert René Podbielski (1914 - 1989) unterstellt. Um dessen „Kindheit des Herzens“ geht es nicht nur. Klaus Mann bezichtigt Podbielski, einen zu hohen Rang zu beanspruchen.

Wie disst man auf hohem Niveau? So!

Podbielski dürfe sich mit keiner(m) Großen vergleichen. Sein Ton sei nicht neu; der Stil „gepflegt, oft hübsch“. Gelegentlich gleite die Manier (der Strich) direkt ab in die Gosse der „Geschmacklosigkeit“. Das Ganze ergäbe sich „sehr eklektisch“ und zusammengeschrieben. Klaus Mann ruft die „ephebische Intensität (und) das verspielte Pathos“ ins Feld.

So wie Podbielski im Jetzt einer harten Zeit habe man als Begabte(r) 1925 geschrieben.

„So darf man es nicht machen“, schreibt Klaus Mann. Man darf nicht wegen Hitler.

Klaus Mann schmälert Podbielski auf vielen Wegen und so auch im Wege der Kontaktschuld. Der Geschmähte publiziere „im Verlag Mussolinis“.

Klaus Mann gibt zu, verstimmt zu sein. Es ist nicht schwer, sich seine Lage klarzumachen. Er und die anderen Zuständigen verbergen sich in Verhauen der inneren und räumlich expansiven Emigration, während Mittelmäßige im entspannten Wettbewerb unter sich die aktuellen Genies ausloben.

Klaus Mann schreibt sich in Rage. Bald ist die Rede nur noch von einem „Produkt“, das die „Aufnahmewilligkeit“ des Rezensenten auf eine harte Probe stellt.