Edgar Allan Poes erste öffentlich gemachte Schauerschote lässt sich gut als Parodie auf das German Gothic-Genre lesen. Sie erlaubt ebenso ihre Wahrnehmung als ernsthafte Adaption. Der Debütant reichte den Text 1831 beim Philadelphia Saturday Courier als Wettbewerbsbeitrag ein.
Dynastischer Streit/Auslöschung im römischen Stil
Seine nachweislich erste honorierte Geschichte erzählte Edgar Allan Poe nach einer Mode des frühen 19. Jahrhunderts. Er konkretisierte die Vorgabe: „A Tale in Imitation of the German“. Mit „Metzengerstein“ debütierte er 1832 im Saturday Courier. Den Titel verstand man kontemporär als Verballhornung europäischer Namensgrandiosität. Folglich lässt sich ein belustigender Anstrich konstatieren, der mit Schwulst und fremdsprachlichem Trallala nicht so sehr koinzidiert, dass man in der Übertreibung schon erschöpfend das Prinzip und die Manier erkennt.
Edgar Allan Poe, „Die Erzählungen des Folio Club“, aus dem Englischen von Rainer Bunz, Manesse, 307 Seiten, 25,-
Der Fall liegt komplizierter. Verschiedene Lesarten finden ihre Häfen. Zunächst führt der Autor die Metempsychose als altweltlichen Aberglauben ein, der unter ungarischen Granden angeblich den Rang einer Geheimlehre einnimmt.
Zwei aristokratische, man könnte sagen, räumlich und seelisch verwandte Klans, namentlich die Metzengerstein und die Berlifitzing, hassen sich seit Generationen mit nicht nachlassender Intensität. In diesem Verhältnis geht es um Sein und Nichtsein. Sollte ein Stamm im dynastischen Streit unterliegen, wäre seine Auslöschung im römischen Stil (Damnatio memoriae) das nächste. Die finstere Aussicht stachelt die Parteien zum Äußersten auf. Im aktuellen Duell tritt der alte Graf von Berlifitzing, ein passionierter Jäger, gegen den im Saft stehenden, unendlich grausamen Baron von Metzengerstein an.
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Die Überzeitlichkeit des Grauens so wie aller Verhängnisse entlässt den Erzähler aus der Pflicht, seine Geschichte zu datieren. Er legt gleich los, nur um sich selbst mit einem Geständnis in Frage zu stellen. Er habe allerdings für seine verschleiernden Abkürzungen schlechtere Gründe als die Wahrheit.
Früh holte ihn ein hartes Los aus dem Gelege leiblicher Fürsorge. Edgar Allan Poe wuchs in der Sonderrolle des Ziehsohns heran. Ziehväterliche Strenge parierte er mit einer losen Art. Manche Rodomontade verdarb seine Jugend. Seine Umgebung wusste der Debütant mit der Idee in Erstaunen zu setzen, ein Einkommen aus schriftstellerischen Unternehmungen zu schlagen. Das Vorhaben fand man gewiss abenteuerlicher als alle Glass versus Grizzly-Geschichten, Digger-Diaries und Boone-Balladen. Für eine zünftige Go-West-Amerikaner:in des frühen 19. Jahrhunderts waren Poesie & Prosa altweltliche Gegenstände und zivilisatorischer Zierat. Gleichwohl gab es in der Keimzeit der Poe'schen Produktion bereits feuilletonistisch gefasste US-Literaturtermine.
Aus der Ankündigung
Der große Edgar Allan Poe als literarischer Stimmenimitator und Erzschelm: In seinem hier erstmals auf Deutsch erscheinenden Geschichtenreigen «Tales of the Folio Club» brilliert der US-Klassiker mit extravaganten Teufelsburlesken, schrägen Gothic Novels, spleenigen Piratenabenteuern und launigen Gruselmärchen.
Parodistisch nimmt der hochbegabte Jungautor sämtliche Schreibmoden seiner Zeit auf die Schippe und zettelt ein doppelbödiges, zwischen Hommage und Satire angesiedeltes Spiel an. Die bekanntesten «Opfer» seines jugendlich-genialen Übermuts sind die Größen der angloamerikanischen Literatur im frühen 19. Jahrhundert: Thomas Moore, ein Freund Lord Byrons, Washington Irving oder Samuel Taylor Coleridge. Und auch einen selbstironischen Cameo-Auftritt gönnt sich Mr. Poe. Dank Herausgeber Rainer Bunz, der die «Tales of the Folio Club» kundig rekonstruiert und kommentiert hat, lässt sich das Debüt des amerikanischen Kultautors in seinem Anspielungsreichtum erstmals auf Deutsch entdecken.