Rossellini erzählt in „Rom – offene Stadt“ ein Märchen. In diesem Märchen erscheint Anna 'Pina' Magnani wie eine in Marsch gesetzte Freiheitsstatue.
Roberto Rossellinis „Rom – offene Stadt“ ist eine schwarzweiße Enttäuschung aus dem Jahr 1945. Der Zweite Weltkrieg ist noch nicht zu Ende, als der römische Regisseur Roberto Rossellini in seiner Stadt einen Film dreht, der den Faschismus einer fremden Macht zuordnet und die katholische Freiheitsliebe dem Volk am Tiber. Die Institutionen der italienischen Gesellschaft haben sich dem Dritten Reich ergeben. Die Übermacht wird repräsentiert von seiner Schutzstaffel und der Geheimen Staatspolizei. Die Bürger:innen Roms sind Partisan:innen im Kampf gegen Usurpator:innen. Dass sie bis eben Verbündete waren, spielt keine Rolle mehr.
„Rom – offene Stadt“ hatte im Land der Antagonisten lange Kassiber-Status. Der Film kam regulär erst 1961 in deutsche Kinos. Rossellini setzte auf Exkulpation und Verdrängung. Er übermalte die Geschichte. Die Kollaborateur:innen in seinem Film wirken so pervers und stumpf wie alle Okkupant:innen. Seine Freiheitskämpfer:innen sind Held:innen durch die Bank – dies zu einem frühen Höhepunkt des Neorealismus. Der Realismus beschränkt sich auf Ruinen- und Mietskasernen-Tristesse. Rossellini erzählt ein Märchen. Darin erscheint Pina wie eine in Marsch gesetzte Freiheitsstatue. Anna Magnani spielt die Witwe mit Sohn im antifaschistischen Widerstand. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund. Man muss sie zurückhalten, dass sich ihre Empörung nicht ständig entlädt in Eruptionen der Redlichkeit.
Konspirativ geht anders. Trotzdem funktioniert Pinas Milieu als logistische Türangel einer Partisan:innenorganisation. In der Gruppe werden die Gegensätze zwischen Katholizismus und Kommunismus überwunden. Der Kurzschluss gipfelt in Pinas Gläubigkeit. Ihr Gewährsmann für Gott ist der in Sanftmut unermüdliche Kiezpfarrer Don Pietro Pellegrini. Ihm dient sein Amt als Maske. Aldo Fabrizi spielt den Geistlichen wie im Vorgriff auf das bewaffnete Christentum der lateinamerikanischen Befreiungskirchen. Dass er dabei pausenlos kleine Jungen anfasst, hat gewiss nichts zu bedeuten, und wäre mir vor zwanzig Jahren nicht aufgefallen.
„Rom – offene Stadt“ spielt Anfang Vierundvierzig. Auf einer Bühne des Welttheaters gelangt ein Stück zur Aufführung, in dem aus Alliierten Herren, Vasallen und Feinde geworden sind. Der Titel erinnert an den Sonderstatus der Stadt. Rom soll frei gehalten werden von deutschen Truppen. Die Vereinbarung bleibt bestandslos, bei der Verwaltung verlässt sich der Statthalter auf Behörden vor Ort. Die Gestapo residiert in der Via Tasso. Ihr Chef, Sturmbannführer Bergmann (Harry Feist), sifft vor Tücke.
Bergmann ist kein Heydrich. Seine Attitüde schillert wie ein Kakadu. Rossellini gestattet ihm nicht mehr als Infamie und Travestie. Eine groteske Mischung. Der Regisseur zeigt keinen Charakter. Er denunziert bloß den Basistext des Herrenmenschen in der Variante des Casinotypen.
Bergmann sucht einen Kopf des Untergrunds. Der kommunistische Ingenieur Giorgio Manfredi (Marcello Pagliero) versteckt sich in dem verschworenen Haus der von seinem Freund Francesco (Francesco Grandjacquet) schwangeren Pina.
Pinas Sohn Marcello (Vito Annichiarico) gehört den Jungen Pionieren der Resistenza an. Der Nachwuchs übt Sabotage, das ruft italienische Polizei und deutsche Soldaten auf den Plan. Giorgio kann fliehen, Francesco wird verhaftet und Pina erschossen.
„Rom – offene Stadt“ führt in narrative Speakeasy’s. Giorgio flüchtet zu einer süchtigen Varieté-Künstlerin. Marina Mari (Maria Michi) wäre lieber eine ehrliche Frau. Doch weiß sie, dass nicht einmal Giorgio, dieses Ebenbild eines einwandfreien Menschen, sie dazu machen möchte.
Rossellini kreuzt Verworfenheit mit Unglück – Virginität ex negativo. Die Sucht korrumpiert Marina. Sie verrät Giorgio an eine intrigante Ingrid, Intima des Gestapo-Chef Brinkmann. Dem lockeren Vogel fehlt Pinas katholisch-kommunistische Festigkeit. Marina nimmt einen Pelz als Judaslohn, diese Geschichte in der Geschichte wird wie Teig gewalzt. Marina bricht zusammen, als man ihr die Konsequenzen des Verrats vor Augen führt, sie verliert dann auch wieder den Pelz. Am Ende sind alle Guten heroisch gestorben.
„Gut zu sterben, das ist leicht, gut zu leben ist schwer“, sagt Don Pietro auf dem Platz seiner Hinrichtung. Das italienische Exekutionskommando schießt vornehm vorbei. Ein deutscher Offizier liquidiert dann den Geistlichen im Stil des groben Holzschnitzers.