Er liebt den Nebel, die Unschärfe, eine unklare Geografie. Jules Renard (1864 - 1910) führt das Leben eines Verstimmten. Früh wähnt er sich am Ende seiner Kräfte. Den Geburtsort Chitry-les-Mines macht der Schriftsteller beizeiten zum Schauplatz seiner Sommerfrische. So hält er eine ursprüngliche Erfahrung aktiv. Der Weiler an der Yonne, die durch das Pariser Becken fließt, duckt sich unter einem Burgunder Granitmassiv - dem Morvan.
„Ideen, in Tinte getaucht“ – Aus dem Tagebuch von Jules Renard, aus dem Französischen von Liselotte Ronte, Winkler Verlag
In der Ländlichkeit bemerkt Renard den „weißen Schaum … des Weißdorns“. Schaum, Traum, Nebel – Man weiß, wohin die Reise geht, wenn einer in Schaum, Traum, Nebel schwelgt und die eigene Verflüchtigungssehnsucht überhaupt nicht zu bemerken scheint.
Renard hält Talent „für eine Frage der Quantität“. Der Bereitschaft, jeden Fetzen Papier vollzuschreiben, Tintenfässer rapide zu leeren, und alle Federn zu ruinieren, misst er die entscheidende Bedeutung zu.
„Die Starken zögern nicht.“
„Das allein unterscheidet ... die Begabten von den Verzagten.“
An der Stelle waren wir gestern schon einmal. Adorno verspottete Epigonen, die ihr Ideal in der Heidegger‘schen Wald- und Wieseninnerlichkeit erkannten. Eine ihre Skrupel ausstellende, aufs Dämlichste das Wesentliche am Verwesen erheischende Empfindsamkeit sei ob ihrer Gedönshaftigkeit ungefähr so appetitlich wie ein Fußlappen.
Renard spekuliert auf seelische Transmigration, wenn er ordinäres Fernweh mit Landschaften zusammenspannt, „durch die wir in einem früheren Leben gereist sind“.
Ich zitiere aus Notizen aus dem Jahr 1887. Lesend migriere ich in eine Welt, die sich mir gerade so darstellt wie der Blechfuturismus in Illustrationen zu Romanen von Jules Verne. Im Jahr der Niederschrift trug sich die Schlacht bei Dogali zu, in der Schwarze Weiße schlugen. Das Ergebnis ließ sich Europäer:innen nicht objektiv vermitteln. Zeichnungen in französischen Magazinen zeigen den kaiserlichen Herrführer Menelik II. als Weißen im Strahlenkranz.
Der akademische Diskurs marginalisiert das historisch singuläre Ereignis bis heute. Äthiopische Truppen besiegten ein italienisches Expeditionsheer. Das Ereignis entfaltete Signalwirkung bis in die Karibik.
Es gab das kaiserliche Gelöbnis, eine Kathedrale zu bauen und sie dem heiligen Georg zu widmen im Fall des Sieges. Den Tabot weihte man auf einem Schlachtfeld. Italienische Kriegsgefangene übernahmen die Bauarbeiten. Wer weiß so etwas?
Die Italiener:innen hatten den Äthiopier:innen moderne Waffen geliefert. Sie begriffen Äthiopien als Reservoir der Hilfsbereitschaft im Kampf gegen alle möglichen Strömungen. Das Land bot ein festgefügtes, christlich-orthodox grundiertes Staatswesen. Ein europäischer Irrtum des 19. Jahrhunderts bestand eben darin, zu glauben, Jesus mit Afrika bekannt gemacht zu haben. Während er da längst angekommen war. Von Äthiopien gingen befreiungstheologische Impulse um die Welt. In die Schlacht von Adua führte Kaiser Menelik II. eine landesweit mobilisierte Miliz, die sich selbst versorgte, soweit sie nicht von ihren Anführern ausgestattet wurde. Mitunter kamen komplette Familien, die Frauen richteten Feldküchen ein und sangen Kampflieder. Sie trieben ihre Männer an, indem sie deren Tapferkeit rühmten. Freiwillige erschienen unbewaffnet auf dem Schlachtfeld, dabei sein war alles. Auf der anderen Seite gab der Tiroler Oreste Baratieri die Befehle. Das Scheitern der Invasion garantierte die äthiopische Unabhängigkeit als eine Sonderform der Regierung im kolonisierten Afrika.
Freiheitsbewegungen schöpften von daher Mut. Die Sache hatte einen Haken, der Haken hieß Eritrea. Die vormals äthiopische Provinz wurde zur Kolonie der gescheiterten Invasoren. Es bieten sich verschiedene Lesarten der Preisgabe Eritreas an, jedenfalls erlebte Italien die Niederlage von Adua als „nationale Schande”. Der afrikanische Sieg war ein Schock für Europa.