Peter Handke nannte die erste Inszenierung seines Nicht-Schauspiels Publikumsbeschimpfung von Claus Peymann im Frankfurter Theater am Turm (TAT) „einen schönen Scheiß“.
Der Revolver of Change steckte im Holster des kaum episodischen Auftakts. Vier „Sprecher“ streckten das konventionelle Theater nieder. Peymann war so durchtrieben, dass er Applaus vom Band einspielen ließ. Damals nahm man zum Klatschen noch die Hände des Nachbarn (ungefähr Wolfgang Deichsel, Anfang der Siebziger TAT-Direktoriumsmitglied).
Peymann erzählte den Schwank vor Jahren auf der Studiobühne seines Berliner Ensembles. Die richtige TAT-Aussprache isoliere jeden Buchstaben. Peymann sprach von einem „alliterativen Diebstahl“. Gestempelt wurde die Abbreviatur im Kartoffeldruckverfahren; zu Zeiten der „Brechtvergötterung“.
„Peter Stein, Jürgen Flimm und ich: alle (kamen vom Studententheater und) spielten Brecht … Wir hatten es sehr leicht. Unsere Gegner waren die Patriarchen … Ich bin Achtundsechzig noch einmal geboren worden … Wir waren natürlich blöd und hatten nur das Protestgefühl.“
Handke habe „außenseiterisch den Hauptstrom der Zeit subkutan erfasst“.
Nach der Publikumsbeschimpfungspremiere rannten alle ins Bahnhofsviertel und benahmen sich daneben. Siegfried Unseld musste deshalb mit dem Polizeipräsidenten reden. Peymann schwelgte auf Schäumen der Erinnerung, während Karlheinz Braun wie ein Buchhalter der Revolution der Fakten Strenge feierte.
Zum TAT
Sechsundsechzig buhten Leute im Theater, die den Krieg als Erwachsene erlebt hatten. Das Theater am (Eschenheimer) Turm war 1953 als Landesbühne Rhein-Main im Volksbildungsheim untergebracht worden. Kam die Rede darauf, ging Goethe immer voran.
Begab sich Goethe weiland zum Eschenheimer Turm, dann war hinter ihm die Stadt zu Ende. (Eine linksseitige Bebauung der bereits vor Goethe geschliffenen Wälle vereitelte das Wallservitut.) Das TAT begann als stationäres Wandertheater, es wurde politisches Volkstheater und Schauplatz der Avantgarde. Handkes Beschimpfung war Höhepunkt der „experimenta I”, einer kritischen Antwort auf die Theaterolympiade, mit der Westberlin als Frontstadt (im Jargon der Zeit) „stark gemacht“ wurde. Peymann blieb bis Neunundsechzig, dem Jahr der Einführung eines „haarsträubend törichten“ (Peymann) Mitbestimmungsmodells unter Hermann Treusch.
Anfang der Siebziger kam Fassbinder mit der „Family“. Der Regisseur scheiterte, es gelang nicht, das Stück Der Müll, die Stadt und der Tod, siehe Theaterskandal,(nach Gerhard Zwerenz’ Roman „Die Erde ist so unbewohnbar wie der Mond“) in Frankfurt auf die Bühne zu bringen. Die Geschichte ist oft erzählt worden. Die Rede war vom „subventionierten Antisemitismus“. Damals überlagerten die Modernitätsbehauptungen des Frankfurter Häuserkampfs den Vorwurf. Viele hielten linken und linksradikalen Antisemitismus für abwegig. Man hätte es schon besser wissen können.