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2021-10-29 04:59:56, Jamal Tuschick

#DieWeltneudenken

„Ich (erlebte) jeden Tag meinen Teil an Ignoranz und Beleidigungen.“ Barack Obama über seine Kindheit auf Hawaii

„Mit einer Startauflage von 200.000 Exemplaren allein in Deutschland erschien vorgestern im Penguin Verlag sowie weltweit zeitgleich in 13 Sprachen der außergewöhnliche Gesprächs- und Bildband RENEGADES. Born in the USA von Barack Obama und Bruce Springsteen.“ Aus der Pressemitteilung Rock ’n’ Roll als Cultural Appropriation

Rock ’n’ Roll als Cultural Appropriation

Die Genese des Rock ’n’ Roll war ein Klimax der Cultural Appropriation. Weiße kaperten den Blues.

Ein Beispiel

„Hound Dog ist ein Rhythm-and-Blues-Song von Jerry Leiber und Mike Stoller, der für Big Mama Thornton geschrieben wurde und erstmals 1953 erschien. Am erfolgreichsten war die Rock ’n’ Roll-Interpretation von Elvis Presley aus dem Jahr 1956.“ Wikipedia

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Rust Belt Blues

1984 hymnisiert Bruce Springsteen seine Growing-Up-Smalltown-Prägung

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Ozeanisches Juwel

Die Großeltern sind „Iren alter Schule. Sehr provinziell“. Sie operieren mit rückwärtsgewandten Daseinsbegriffen und predigen einen Nähebegriff, den man auch als familiären Würgegriff erleben kann. So schildert Bruce Springsteen seine Herkunft. Barack Obama kontert mit einem verspielten Großvater, der seinen Enkel als Nachkommen des hawaiianischen Königs Kamehameha ausgab und dem Knirps so eine besondere Aufmerksamkeit bescherte. Der eine wächst in einer Kleinstadt an der US-Ostküste auf, der andere lernt die Welt in Honolulu kennen. Obama bezeichnet den Schauplatz seiner Kindheit als ozeanisches Juwel.
Beide Ikonen erzählen gern von ihren ersten Schritten auf den Alltagsbühnen; von ihren Currywursterlebnissen im Rahmen einer Normalität, die es für sie schon lange nicht mehr gibt.
Springsteen betont die Übereinstimmung:
„Als Kind in einer Kleinstadt tauchst du komplett in sie ein.“ - Obama erinnert erste Differenzerfahrungen: „Die anderen sehen alle ... anders aus als ich.“

Springsteen beschreibt den Sog der Paraden und Aufmärsche in einem ganzjährigen patriotischen Karneval.

„Wir waren die Guten.“

Barack Obama, Bruce Springsteen, „Renegades: Born in the USA. Träume, Mythen, Musik“, besonders hochwertige Ausstattung mit exklusiven Fotos aus den Privatarchiven der Autoren, auf Deutsch von Stephan Kleiner, Henriette Zeltner-Shane, Penguin Verlag, 318 Seiten, 42,-

1984 hymnisiert Springsteen seine Growing-Up-Smalltown-Prägung. Er wähnt sich eingespeist in einen Geschichtsprozess. Er begreift die Kleinstadt seiner Herkunft als Schicksalsschauplatz. Gebunden fühlt er sich an „die guten und die schlechten Dinge“. Springsteen solidarisiert sich postum mit den Akteuren der Newark-Riots von 1967. Damals titelte die Zeit: „N...aufstand in Newark Schwarzes Elend hinter weißer Fassade“.

Springsteen spricht von ungelösten Problemen. Barack Obama steigt ein. Er kehrt den Bürgerrechtler heraus, wenn er sagt: „Das (weiße) Wesen der Stadt (Städte) blieb unversehrt.“ Er lässt Springsteen nicht vom Haken, bis klar ist:

Die Genese des Rock ’n’ Roll war ein Klimax der Cultural Appropriation. Weiße kaperten den Blues.

Obama und der Boss

Es gibt diese schöne Geschichte über Barack Obama und Bruce Springsteen, bei der Obama 2009 bei einem Treffen im Weißen Haus zu Springsteen in Anspielung auf dessen Spitznamen sagt: „Ich bin Präsident, doch er ist der Boss!“ („I’m the President, but he’s The Boss“).

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"Everybody has a reason to begin again." Bruce Springsteen

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Automatische Zustimmungsguillotine

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Gleich zu Beginn der prominenten Konversation stellt Obama fest: „Gute Gespräche folgen keinem Drehbuch.“ Als dem historisch Bedeutenderen obliegt es ihm, Springsteen einen Rang zuzuweisen, der keinen Gedanken an ein Gefälle aufkommen lässt.

Sie sind Akteure der amerikanischen Geschichte und, jeder für sich, viel mehr als eine Story. Springsteen zählt zu den wenigen weltweit sichtbaren Überlebenden der Dinosauriergeneration, wenn man die Welt mit den Augen junger Leute betrachtet. Zugleich ist er ein Erzähler des ewig jungen Amerikas in den Farben der weißen Arbeiterklasse, mit der man heute vor allem den Rost Belt assoziiert; die aber in Springsteens Keimzeit noch eine vitale Größe darstellte.

Barack und Bruce begegnen sich einmal im „Haus der tausend Gitarren“. Obama zeigt sich schwer interessiert am Equipment für eine Weltmarktproduktion. Er wiederholt eine kumpeleske Anrede, obwohl man offenbar noch gar nicht so vertraut miteinander ist.

Beide treten als auktoriale Erzähler auf, indem sie übergeordnete Standpunkte einnehmen, um Szenen zu arrondieren, die für das Publikum nicht einfach zu verstehen sind. Sie definieren sich in einer historisch dimensionierten Matrix, in der lauter positive Verbindungen möglich sind. Obama verrät, dass er Jay-Z um „familienfreundliche Versionen“ zu bitten sich veranlasst sah. Springsteen übergeht das und erklärt Einigkeit in „einer gemeinsamen Sprache“ aus dem im Gospel beschworenen Glauben.

Man erkennt an solchen Interferenzen, dass der befruchtende Einwand einer automatischen Zustimmungsguillotine zum Opfer fällt. In anderen Konstellationen könnte man von Konsenskasperei, einem guten Willen aus der Dose und Discount-Empowerment sprechen. Aber in dieser visionären Wasser-zu-Wein-Allianz ist zu Recht alles bloß Predigt und Schwur (der Gemeinsamkeit).