Wer regelte 1971 in Hamburg den Verkehr für Monika Ertl, als sie (angeblich) Roberto Quintanilla Pereira mit drei Kopfschüssen hinrichtete? Sie nahm gekonnt Rache. Ihr Vater hatte in Bolivien eine Kunstschützin und Herrenreiterin aus ihr gemacht. Monika konnte auch Golf, sie pendelte zwischen Camouflage und Robe. Der Mord quittierte (nach einer Legende) eine von Pereira befohlene postume Entwürdigung Che Guevaras und die Ermordung des Guevara-Nachfolgers Inti Peredo, der Monika zum bewaffneten Kampf bekehrt hatte.
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„Wer tötete Che Guevaras Mörder? Eine Münchnerin war es vermutlich, die 1971 in Hamburg blutige Rache für den Commandante nahm.
Die Einschusslöcher markierten ein regelmäßiges Dreieck. Zufall? Oder stand es für V wie Victory?
Zwei Jahre später endete Monika Ertl wie ihr Idol - von Kugeln durchsiebt.“ Aus dem Spiegel vom 19.04.2009, Quelle
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Mit Régis Debray soll Monika Ertl die Entführung von Klaus Barbie aus Bolivien geplant haben.
Hans Ertl (1908 - 2000) trat unter anderem als Alpinist und Kameramann hervor. Er drehte für Luis Trenker, Erwin Rommel und Leni Riefenstahl. 1953 wanderte er mit seiner Familie nach Bolivien aus. Ertl bestieg Berge, „entdeckte“ Völker und erzählte moderne Märchen mit den Mitteln des Films. Hochbetagt starb er als eremitischer, mit der Welt hadernder Viehzüchter in der Gegend von Concepción, ursprünglich einer jesuitischen Reduktion.
Rodrigo Hasbún, „Die Affekte“, Roman, aus dem Spanischen von Christian Hansen, Suhrkamp
Rodrigo Hasbún erzählt die Geschichte von Ertls Tochter Monika (1937 – 1973). Der bolivianische Autor lässt Personen aus dem engsten Kreis um Monika fiktiv aussagen. Die älteste von vier Geschwistern sollte nach dem Willen des Vaters als Stammhalter zur Welt kommen. Der Vater prägte das Mädchen. Er formte es athletisch. Monika begleitete die Kolossalfigur auf Filmexpeditionen. Sie zeigte sich unerschrocken. Sie verkehrte in einer „Ersatzfamilie“ und erfüllte auch da die Erwartungen in einer Darstellung der Traumschwiegertochter. Der in gravierender Weise unzulängliche Gatte hielt Monika zu einem konventionellen Gesellschaftsleben an.
Der Rest ist Geschichte. Monika verliebte sich in Inti Peredo und wurde zur Protagonistin im lateinamerikanischen Befreiungskampf. Die Erscheinung der von einem kraftgenialen Vater zur Tat erzogenen Kombattantin verriet ihre Entschlossenheit nicht. Die engagierte Zeitgenossenschaft fand ihren Höhepunkt (vermutlich) im Attentat auf einen bolivianischen Geheimdienstoffizier, der in Hamburg den Diplomaten gab. In der Planungspipeline blieb die Entführung des unbehelligt in Bolivien lebenden Klaus Barbie; gemeinsam mit Régis Debray wollte Monika Ertl (angeblich) den „Schlächter von Lyon“ einem Prozess zuführen.
Hasbún führt den Leser auf Schleichwegen zu der historischen Dimension einer Geschichte, die sich ihm widersetzt. Seine Erfindungen sind zu blass, um der vulkanischen Biografie Farben zu geben. Der Autor bleibt vor der Tür seiner Erzählung wie ein Ausgeladener stehen.
Monika Ertl verlor sich angeblich in den Labyrinthen der Konspiration. 1973 starb sie verraten im bolivianischen Straßenkampf.
Aus der Ankündigung
Im Nachkriegsmünchen ist er verfemt, und so geht er mit Frau und den drei Töchtern nach Bolivien, der exzentrische Hans Ertl, einst Riefenstahls erster Kameramann und Rommels ›Leibphotograph‹. Doch auch das neue Leben ist reich an Spannungen, und für seine nächste Expedition, die Suche nach der verlorenen Inkastadt Paititi, muss die ganze Familie einen hohen Preis zahlen. Insbesondere Monika, die älteste Tochter und ihrem Vater frappierend ähnlich, scheint jeden Halt zu verlieren. Was als persönliche Sinnkrise beginnt, wird zu ihrer politischen Radikalisierung führen und sie zu immer extremeren Maßnahmen treiben.
Rodrigo Hasbún hat eine spektakuläre historische Episode zu einem hochexplosiven Kammerspiel verdichtet. Er erzählt von den Hoffnungen und Ernüchterungen einer deutschen Familie im südamerikanischen Exil und von den unentrinnbaren Fliehkräften der Geschichte.