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2021-11-16 10:16:32, Jamal Tuschick

Der frauenfeindliche Geist der Revolution

Im Juli 1971 gründet sich der Verein Choisir la cause des femmes, um das frauenfeindliche Abtreibungsrecht zu reformieren. Sieben Jahre treibt Choisir mit der Kampagne „100 Frauen für die Frauen“ einen Brückenkopf in die parlamentarische Repräsentationsantike. Die „Lüge der Republik“ offenbart sich in der Nationalversammlung, wo „ein paar einzelne Frauen in farbigen Kostümen“ in einem Meer schwarzer Anzüge Akzente setzen.

Annick Cojean, Gisèle Halimi, „Seid unbeugsam! Mein Leben für die Freiheit der Frauen“, auf Deutsch von Kirsten Gleinig, Aufbau Verlag, 20,-

„Was für eine Misere“, stellt Gisèle Halimi im Gespräch mit Annick Cojean fest.

„Hier wurde schonungslos die Lüge der Republik zur Schau gestellt.“

Halimi moniert den „frauenfeindlichen Geist der Revolution von 1789 ... der den Bürger für mündig erklärt hatte und die Bürgerin für politikunfähig.“

Als parteiungebundene, mit François Mitterands Sozialist:innen lediglich assoziierte Abgeordnete erlebt Halimi ihre alltägliche Demontage. Mitterand erscheint als Chauvinist alter Schule, charmant und herablassend.

Abenteuer Feminismus

„Wie soll man einen Prozess aus seinem Kontext lösen: ohne Kultur und Politik eines Landes einzubeziehen? Und warum nicht die Öffentlichkeit aufrütteln und Sitten und Bräuche infrage stellen? Genau! Die Gesellschaft erneuern.“ Gisèle Halimi

Le féminisme avec savoir-vivre

Simone de Beauvoir gab dem „großen Abenteuer Feminismus … ein theoretisches Fundament.“

Halimi begegnet der Bewunderten zum ersten Mal 1958 bei einem Gegner:innengipfel im Zusammenhang mit dem Référendum constitutionnel français de 1958. Bald diniert man gemeinsam in der Brasserie La Coupole.

"Founded in 1927, this place did not take long to attract the artists and personalities of the day. Picasso, Simone de Beauvoir and Jean-Paul Sartre, André Malraux, Jacques Prévert, Marc Chagall, Édith Piaf ... were to be found here." Quelle

Die Pionierinnen entlarven Parlamentarier und Medienmogule als Türsteher des Patriarchats.

Die Krux empowernder Büstenhalter

„Ergreife deine Chance, halte dein Glück fest und scheue kein Risiko.“ Unter diesem Motto (zitiert wird René Char) geht Annick Cojean in die Offensive. Sie moniert, dass „Unternehmen mit Feminismus Geld machen und plötzlich vieles, von BHs über Lippenstift bis hin zu Deodorants, als irgendwie ‚empowernd‘ beworben wird“.

Zur Vorgeschichte

Den ersten „feministischen Sieg“ verbucht Gisèle Halimi mit einem Hungerstreik im Elternhaus. So protestiert sie gegen die Vorrechte ihrer Brüder, die „wie kleine Paschas behandelt werden“, während die Tochter eine Zurücksetzung erlebt, deren konstitutiver Charakter sie auf die Palme bringt.

„Warum sollten die Jungen anders behandelt werden als die Mädchen? Wer machte diese unsinnigen Regeln?“

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„Unterhaltsam, lebhaft, resilient“, sei Halimi von jeher gewesen, erklärt Cojean. Die Anwältin legte Wert auf ein atypisches e am Ende von Advocat(e). Sie spielte nicht nach den Regeln der Zunft. In aufsehenerregenden Prozessen zeigte sie sich entschieden parteiisch. Gerichtssäle verwandelte sie in Foren gesellschaftlicher Debatten. Als einzige Anwältin unterzeichnete sie „1971 das Manifeste des 343, in dem 343 Frauen – darunter Berühmtheiten wie Françoise Sagan, Catherine Deneuve, Marguerite Duras und Jeanne Moreau – bekannten, illegal abgetrieben zu haben“.

Halimi ging es stets um das Große und Ganze. Sie legte sich mit den Mächtigen an und suchte die Konfrontation auch zur Darstellung grundsätzlicher Fragen der Geschlechtergerechtigkeit.

Aus dem Pressetext

Liebe Kolleg:innen, die Frauenrechtlerin und Anwältin Gisèle Halimi kämpfte ihr Leben lang leidenschaftlich für die Freiheit und die Gleichberechtigung der Frauen. Sie starb im Juli 2020 mit 93 Jahren in Paris. „Seid unbeugsam!“, ein Gesprächsbuch zusammen mit ihrer Freundin, der Journalistin Annick Cojean, ist ein bewegender Rückblick auf Gisèle Halimis wichtigste Stationen, Fälle und ein Appell an die Frauen, für ihre Unabhängigkeit zu kämpfen. In einer Zeit, in der Ungerechtigkeit nach wie vor und mehr denn je besteht.1927 als Tochter einer tunesisch-jüdischen Familie geboren, muss sich Gisèle Halimi schon früh gegen ihren Vater behaupten. Mit 16 verweigert Gisèle die für sie vorgesehene traditionelle Heirat und zieht stattdessen zum Jura-Studium nach Paris. Als Rechtsanwältin setzt sie sich u.a. für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in Frankreich ein. Ihre Freundin Simone Veil brachte das Gesetz als Gesundheitsministerin auf den Weg. Weltberühmt wurde Halimi durch ihren Einsatz für die algerische Freiheitskämpferin Djamila Boupacha an der Seite von Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre.

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»Unerbittlich, kämpferisch und leidenschaftlich bis zum Schluss.« Spiegel Online

Gisèle Halimi war eine entscheidende Wegbereiterin und Ikone der internationalen Frauenbewegung. Wofür hat sie gekämpft? Was hinterlässt sie uns? Im Gespräch mit Annick Cojean kehrt Gisèle Halimi zu den Schlüsselmomenten ihres Lebens zurück: Mit 16 verweigert sie die tunesisch-jüdische Heirat, geht zum Jura-Studium nach Paris und gehört zu den ersten Frauen am Gericht. Als Anwältin setzt sie sich unter anderem für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ein und für die Begnadigung der algerischen Aktivistin Djamila Boupacha. Simone de Beauvoir, Jean-Paul Sartre und Simone Veil unterstützen sie dabei mit allen Mitteln. Gisèle Halimi kämpfte für die Freiheit und die Rechte der Frauen - unerschrocken und mutig wie keine andere.

Ein bewegender Rückblick auf ein bewegtes Jahrhundertleben und der Appell an uns Frauen: »Seid unbeugsam!«