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2021-12-13 07:28:09, Jamal Tuschick

Jeder Bachmannleser kennt die Geschichte im Mantel des wiederholten Liebesscheiterns. 1958 begegnet die Schriftstellerin dem älteren Kollegen Max Frisch, den sie zunächst nur bewundert, der dann aber Paul Celan in der Rolle des Geliebten folgt. 1963 endet das Verhältnis. Die Trennung legalisiert eine frische Verbindung des Schriftstellers. Frisch beteiligt Bachmann am neuen Glück. Er verlangt geradezu ihr Einverständnis. Seine Beschreibungen der Verlassenen in Mein Name sei Gantenbein erleidet Bachmann als Entblößung, obwohl ihre tätige Aufmerksamkeit das Manuskript bis zur Publikationsreife begleitete. Bachmann sperrt sich im Schweigen. Sie wehrt sich mit Revenge Text. Das nicht fertig gewordene Buch Goldmann befestigt eine poröse Verteidigungslinie.

Kassiber der Zeit

Ich weiß nicht mehr, wie ich zum ersten Mal mit diesem „Bericht“ in Kontakt gekommen bin. In der Schule? „Homo faber“ wurde als Allgemeinplatz zwischen Buchdeckeln gehandelt. Die „Rollenprosa“ half den Halbgescheiten aus der Patsche. Irgendwas mussten auch sie gelesen haben. „Homo faber“ ging zur Not. Heute erkenne ich in dem Text die Kassiber der Zeit.

Max Frisch, „Homo faber“, Roman, Suhrkamp, 9,-

Frischs Held Walter Faber steckt voller Misogynie und Rassismus. In ihm dräut der Dreck der kolonialen Attitüde. Interessant und gewiss nicht von Frisch aufgedeckt ist jene Volte, nach der weiße Herren- und Damenmenschen nun als Helfer:innen in die Arena kommen. Sie bauen Straßen und Staudämme zum Frommen der Exploitierten, die auf den Schwellen zur Unabhängigkeit der weißen Anleitung bedürfen.

Der Schweizer Ingenieur Walter Faber leistet „technische Hilfe für unterentwickelte Völker“. Er verkörpert den Rationalisten, der das Leben für eine Gleichung hält.

Michel Serres bezeichnet die Mathematik als „Zweitwelt“, in der wir viel mehr entdecken als erfinden. Nach seinen Begriffen erschließen wir sie uns wie einen Kontinent, wenn auch ohne die Hybris der Kolonist:innen.

Faber ist so ein Entdecker, bis ihn im Unwahrscheinlichen die Ordnung des Chaos aufgeht. Am Ende könnte auch er, mit Einstein, sagen: Gott würfelt nicht.

Diese Schleife führt von der Mathematik zum Mystischen. Faber wähnt sich an den Grenzen der Rationalität auf den Klippen über seinem persönlichen Death Valley.

Er repräsentiert die patriarchale Perspektive. Er denunziert seine Retterin nach einem Zusammenbruch. Die Cleanerin, die ihm auf einer texanischen Flughafentoilette vielleicht das Leben rettet, beschreibt er übel in einem phantasmagorischen Aufrauschen. Faber rutscht über eine Assoziationsschräge in die Keller des Rassismus. Am Ende heißt es lapidar:

„Ich hatte ihr die Note einfach hingelegt, aber sie folgte mir noch auf die Treppe, wo sie als ... nicht weitergehen durfte, und zwang mir die ...“

Ich will gar nicht davon anfangen, wie selbstverständlich Frischs Faber den Herrenmenschen herauskehrt, der sich auch noch in einem Zustand absoluter Schwäche überlegen fühlt, da seine Retterin Schwarz ist.

Es wurde immer wieder herausgestellt, dass Frischs Homo Faber-Bericht Rollenprosa sei, die den Protagonisten in einen selbstentlarvenden Prozess zwinge; so dass er sich schließlich selbst den Prozess machen müsse.

*

Zunächst verspannt der Autor den Techniker plakativ mit Technik. Das Auftaktgeschehen vollzieht sich in einer Super Constellation. Als ein Propeller ausfällt, zeigt sich der gerade aufgewachte Faber erheitert. Er laboriert zwar an einem Albtraum, aber die Realität lässt ihn kalt.

Wieder kontrastiert Frisch die entspannte Überlegenheit seines Schweizers mit einer Herabsetzung. Diesmal denunziert er die Flugbegleiterin als „Kind“. Von der Verachtung der Schwarzen beim Stopover in Texas bis zur Erniedrigung einer Stewardess über Mexiko verstreicht kaum eine Stunde. Sollte das alles Rollenprosa und intendiert (gewesen) sein, fresse ich einen Besen.

Ingeborg Bachmann fühlte sich von Frisch vernichtet. Vielleicht hatte er nicht nur seine narrative Perspektive nicht im Griff. Doch sehen Sie selbst.

Die Schultern einer Epoche

„Das Buch Goldmann“ setzt die Ingeborg Bachmann Gesamtausgabe im zweiten Band fort - Geschildert wird der „Lebenslauf einer Frau mit Haltung und schönen Schultern“ ...

Ingeborg Bachmann, „Das Buch Goldmann“, Suhrkamp/Piper, 461 Seiten, 36,-

Die Schauspielerin Fanny Goldmann fühlt sich vernichtet. Das ist ihr Zustand ohne Ausweg. Da hilft keine Psychologie und nicht die von Gleichgültigkeit gesicherte Rücksicht der Vielen. Die Rücksichtslosigkeit eines Einzelnen überschattet jeden Trost. Der Einzelne heißt in dem Fragment gebliebenen Roman Marek, er schlich sich als drastischer Liebhaber in das Leben einer für die Metaphern der Hörigkeit Empfänglichen. Er meldet der Welt den kalbenden Morgengeruch und die welke Haut einer Frau, die nicht genug auf sich achtet. Er macht Prosa aus der Person, die ihm so und so erschien, jedenfalls anders, als sie ihm erscheinen wollte. Trotzdem soll dieser Anton Toni Marek zurückkommen, wenigstens in Momenten. Fanny stellt ihn sich auf einer Wallfahrt nach Canossa vor, wo sie ihren „Schlächter“ mit gemischten Gefühlen erwartet. Sie erfindet sich eine Macht, die ihr Marek gefesselt und verdroschen zuführt. Sie erschießt sich vor seinen Augen, um ihn zu interessieren.

Als Furie versagt Fanny. Jeder Bachmannleser kennt die Geschichte im Mantel des wiederholten Liebesscheiterns. 1958 begegnet die Schriftstellerin dem älteren Kollegen Max Frisch, den sie zunächst nur bewundert, der dann aber Paul Celan in der Rolle des Geliebten folgt. 1963 endet das Verhältnis. Die Trennung legalisiert eine frische Verbindung des Schriftstellers. Frisch beteiligt Bachmann am neuen Glück. Er verlangt geradezu ihr Einverständnis. Seine Beschreibungen der Verlassenen in „Mein Name sei Gantenbein“ erleidet Bachmann als Entblößung, obwohl ihre tätige Aufmerksamkeit das Manuskript bis zur Publikationsreife begleitete. Bachmann sperrt sich im Schweigen. Sie wehrt sich mit Revenge Text, das nicht fertig gewordene und nun die Gesamtschau fortsetzende „Buch Goldmann“ befestigt eine poröse Verteidigungslinie, die keinen ernsthaften Ausfall der Baumeisterin je über sich ergehen lassen muss. Bachmann bleibt in ihrem Verhau Opfer und Objekt (patriarchalischer Grausamkeit). Sie zeigt Fanny freidrehend im falschen Azorenhoch von mother’s little helper. Fanny putzt die Kacheln der Verzweiflung morgens um fünf, sie versichert sich der glänzenden Aussichten eines Lebensabbruchs. Sie fürchtet ihre Verwandlung in eine Arabeske. Sie denkt ihre Gebärmutter mit ihrem Stuhlgang zusammen. Sie hasst ihre Scheide, den Ausfluss, die Gerüche.

Nabelschnurstrangulationen. Dammrisse. Brockhaus-Exerzitien: Fanny bleibt sich in keiner Hinsicht erspart. Sie erträumt einen Bruder, mit dem Blutschande zur Verschmelzung führt.

Bachmann hielt den Frieden nur für ein Echo des Krieges. Frischs Indiskretionen riefen ältere Traumatisierungen auf. Sie büßte ihre Empfänglichkeit in einer Produktionslücke bis zum Tod und fand doch wieder und wieder die Kraft, die eigene Position im Geschlechterkampf zu veredeln. Ihre splitternden Ichs sind Porzellandamen mit epochemachenden Schultern. Eine gerät an einen diabolischen Psychiater, der sie zum Selbstmord anstiftet. In „Requiem für Fanny Goldmann“, einer 1978 erstmals veröffentlichten Auswahl des hier in Rede stehenden (einem Zyklus in biblischen Dimensionen zugedachten) Konvoluts, trifft sich die schönste Frau einer Hauptstadt mit einem miserablen Schriftsteller, der sie für eine Jüngere verlässt und wie im Vorübergehen Verrat übt, indem er die Jahrhunderterscheinung „ausschlachtet“. Fanny ist übrigens eine verheiratete, philosemitisch vorgehende Goldmann und eine geborene Wischnewski. Sie wuchs heran als Offizierstochter und Klosterschülerin Stephanie, gewöhnt daran, im Hemd zu baden. Den Krieg ignorierte sie so weit in „einer Art Dornröschenschlaf“.

Fanny fühlt sich von Marek verladen - und doch gratuliert sie ihm zu einem Buch, in dem sie heruntergestimmt wird zur Hysterikerin mit slawischem Profil. Sie überlässt sich ihm, indem sie sich von seinem Urteil abhängig macht.

Fanny erlebt die Etappen eines Zusammenbruchs als Ausdauerleistung. Ihr Mangel an Mitteln frappiert. Sie wird konventionell, wenn sie Mareks Tölpeleien aufzählt. Sie denunziert sich selbst in ihrer Verbitterung. Ein schreibender EDV-Fachmann erscheint als Antagonist des Unbelesenen, Oswald Wiener könnte der Figur Modell gestanden haben.

In der Umgebung ihrer „Ermordung“ bestimmt Gold- Bachmann ewige Koordinaten des Literaturbetriebs und der anhängigen Gesellschaft. Eiskalt und gekonnt beschreibt sie die Beschaffenheit von Frauen und Männern in dieser Sphäre. Sie gewinnt Nüchternheit an einer Peripherie ihres Themas. Sie überliefert das Stockende, Redundante und Lächerliche in den Kulturmilieus, kurz: all das, worüber man sich einfach erheben kann. Der Text rutscht aus den Scharnieren der Monomanie auf die Bahn einer Verwunderung über Triumphe der Anpassung. Die Geschichte einer Unglücklichen wird zur Materialsammlung und zum Skizzenblock mit einer aufschlussreichen Darstellung der Editionsmechanik zum Schluss.

Max Frisch wurde am 15. Mai 1911 in Zürich geboren und starb am 4. April 1991 an den Folgen eines Krebsleidens in seiner Wohnung in Zürich. 1930 begann er sein Germanistik-Studium an der Universität Zürich, das er jedoch 1933 nach dem Tod seines Vaters (1932) aus finanziellen Gründen abbrechen musste. Er arbeitete als Korrespondent für die Neue Zürcher Zeitung. Seine erste Buchveröffentlichung Jürg Reinhart. Eine sommerliche Schicksalsfahrt erschien 1934 in der Deutschen Verlags-Anstalt Stuttgart. 1950 erschien Das Tagebuch 1946-1949 als erstes Werk Frischs im neugegründeten Suhrkamp Verlag. Zahlreiche weitere Publikationen folgten.