An allen Ecken und Enden des Gebiets (Nordends) brüllt brünstig das Geld, doch nicht für das alte Betriebsfleisch mit seinen Schrottplatzasthmatiker:innen und Freibankfleischlieferant:innen, den Spezialist:innen für unerwünschte Haushaltsauflösungen und vereinzelt auch Professor:innen ohne Abitur. Levée en masse. Eiterhagen versucht es zur Zeit mit postironischen T-Shirt-Slogans in der Art von „Art & Furunkel“.
Das wird wieder nichts, denkt Tillmann. Er weiß genau, was Eiterhagen am Laufen hält. Das ist der Erfolg vergangener Tage.
Eiterhagen erzählt Geschichten von Gestrandeten in kalifornischen Trailer Parks, in einer Grauzone vagabundierender Lebensart. Er behauptete Tillmann gegenüber einen Härtevorsprung, der vollkommen egal ist. Er schmachtet Lydia an, die ihn mühelos leerlaufen lässt. Längst sind alle an groteske Konstellationen gewöhnt. Deshalb wundert es auch keinen, dass der geborene Patient Tillmann mit Karolin und Marie polyamorös verbandelt ist.
Auch unter Aschenbechern gibt es eine Hierarchie in der Burg. Eiterhagen beansprucht ein besonderes Stück, das angeblich schon im 19. Jahrhundert vor Ort zum Inventar gehörte.
Im Greisengarten
Tillmann gießt eine Tanne, die im Unterholz neben Khans Kiosk steckengeblieben ist; ein Baum, der als Gebüsch überlebt. Tillmann gibt das zu denken. Er liebt Survival-Kit(sch)-Plattitüden. Sein leiblicher Vater war ein amerikanischer Ranger und Dschungelkämpfer; ein richtig erwachsen gewordener Mensch; unvorstellbar für das alte Kind in seinem Greisengarten.
Karolin schließt auf. Tillmann stört inzwischen Karolins bodenloser Maximalismus. Der gebieterische Drang, ihn in ihre Haltlosigkeit zu ziehen. Das tonnenschwere Gewicht, das manchen Sätzen nach ein paar Monate leichten Herzens wieder abgesprochen wird. Karolin ist studierte Kindergärtnerin im vorgezogenen Ruhestand, sie verlangt von Tillmann, wie ein ABC-Schütze vor roten Ampeln zu warten. Sie kann dramatisch und ungehalten in Sorge sein. Die Sorge erlebt Tillmann als Anspruch ohne Berechtigung.
Tillmann hält Ausschau nach Marie. Gestern war er mit ihr im Bornheimer Bürgerhaus schwofen, die Grenze zum Ostend verläuft historisch durch die Arnsburger Straße. Die Grenze war eine Hecke, ein Heckenmeister kümmerte sich darum. Den Heckenmeister unterstützten Knechte. An der Wittelsbacher Allee steht noch ein Gemarkungsstein. Da war das jüdische Krankenhaus.
Die Sächsin Marie freute sich, dass Tillmann ein Lied von Keimzeit erkannte.
Oft besprochen wurde der Einfluss von Westmusik auf das Lebensgefühl ostdeutscher Jugendlicher. Tillmann verdankt eine musikalische Prägung dem DDR-Label Amiga. Platten von Ella Fitzgerald, Louis Armstrong, Bessie Smith und Billie Holliday waren im Tausch gegen Kaffee, Strümpfe und Seife in Familienbesitz gelangt.
Man duckte sich vor den Grenzern, immer musste man auf die Wartburg, dann war man wieder in einer guten Stube voller Holz- und Zinnsachen aus dem Erzgebirge. „Erzgebirge“ hatte Klang, Kyffhäusergebirge noch mehr. Eine Eisenacher Tante zog mit Tillmann um die Häuser ihrer Stadt, die Kneipen voll, Randbemerkungen und Seitenhiebe, Tillmann möchte gar nicht wissen, was Marie alles mitgemacht hat auf ihren Raves und Butterfahrten für Halsband-Fetischist:innen und schwarzen Lippenstift. Vampirismus, Vulkanismus, Vulva-Okkultismus – die Magie der Möhren, Mangas, Feldenkrais, Tantra-Yoga.