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2022-03-06 07:54:50, Jamal Tuschick

Auf einer Laufbahn kleiner Siege

Die Erzählerin erinnert ihre Kindheit und Jugend als eine Laufbahn kleiner Siege. Während sie sich an den Ecken und Kanten eines patriarchalen Repressionsregimes stieß, triumphierte sie in einer Praxis trotziger Selbstermächtigungen.

Im Präsens des Empowerments

Sie wächst an einem äußersten Rand von Barcelona in einer migrantisch geprägten Siedlung auf.

„Gestauchte Wohnungen unter einer grotesken Skyline.“

So schrankenlos „wie die Mädchen im Fernsehen“ will die Erzählerin schalten und walten. Im Verein mit zwei Freundinnen versteigt sie sich zu der Ungeheuerlichkeit eines Dauerlaufs.

„Ich konnte nicht glauben, dass wir es wirklich taten, dass wir joggten, obwohl wir nicht wussten, ob uns diese Freiheit gestattet war.“

Najat El Hachmi, „Am Montag werden sie uns lieben“, Roman, aus dem Katalanischen und Spanischen von Michael Ebmeyer, Orlanda, 22,-

Erste Akte der Souveränität verbinden sich mit der Überwindung von Kleider- sprich Anstandsnormen unter den Augen eifriger Wächterinnen. Die Sozialkontrolle liegt in den Händen von Frauen, die ihr Milieu mit vorgeblich traditionsbasierten ursprungsgesellschaftlichen Benimmregeln auf Kurs halten. In Wahrheit entsprechen viele Vorschriften keinen zwingenden Vorgaben. Vielmehr erscheinen sie als Geländegewinne restaurativer Manöver. Man dreht das Rad zurück. Zu diesem Zweck setzt man bei den weichen Zielen an. Man verankert in den Töchtern muslimischer Familien die Überzeugung, aus freien Stücken diesem und jenem zu entsagen.

„Noch hatte nicht der heutige Obskurantismus Einzug gehalten, der es auch den unverheirateten Mädchen abverlangt, ihr Haar zu verhüllen.“

Najat El Hachmis Erzählerin spricht ein selbstbewusstes Du an. Gemeinsam mit dieser von Haus aus ungezwungenen Streiterin und Tochter aufgeklärter Leute führt sie den Kampf um Selbstbestimmung.

In der Ankündigung steht: „Alles beginnt an dem Tag, an dem (die Erzählerin) ein Mädchen kennenlernt, das aus einem freieren Elternhaus kommt und all das verkörpert, wonach sie sich sehnt.“

Das Du öffnet dem Ich die Augen. Wann immer die Frage auftaucht, warum geschieht etwas, findet die Freie vom Barrio-Mainstream abweichende Antworten. Sie bringt die Gebundene auf den Geschmack von Diäten. Die Erzählerin wird zur Expertin für „Kalorien, Kohlenhydrate und Fette“.

„Für unsere Mütter, die den Hunger aus Armut kannten und nicht als Dienst an einem ästhetischen Ideal, war absichtlich zu darben ein Zeichen von Irrsinn.“

Die Subversion liegt in der Autonomiebehauptung, Eigentümerin ihres Körpers zu sein. Männliche Verfügungsansprüche bedrohen die Erzählerin an allen Fronten. Jederzeit könnte man sie - ohne ihre Einwilligung und aus den herzlosesten familienpolitischen Erwägungen - einem Fremden zur Frau geben.

Die Erzählerin beobachtet, wie die Frauen in der Generation ihrer Mutter „widerstandslos aus dem Leim gehen“; wie sie sich nicht nur dem Autoritarismus der Patriarchen unterwerfen, sondern auch ihre Töchter auf die Linien der Gewaltpraxis trimmen.

*

Ein erotischer Tagtraum wächst sich episch dimensioniert aus, während die Erzählerin das einschlägige Terrain sondiert. Am Übergang zur Praxis erwartet die Debütantin der Liebe dann Jamal. Wie ein „Vampir“ saugt er an ihr. Die Erregung löst Chaos aus. In der ersten Nachbetrachtung fühlt sich die Erzählerin „jung, frei und modern“.

Jamal erscheint wie ein Hütchenspieler wider Willen

Heimlich trifft sie Jamal in Gegenden, wo die unkonventionellen Spanier:innen ihre Partys feiern; weit weg von den Quartieren der marokkanischen Migration. Die Verliebte liefert sich einem Mann aus, der in Labyrinthen der Diversität zu seinem eigenen Genre wurde. Grandios schildert El Hachmi die asymmetrische Auffassung der sozialen Rahmenbedingungen zugunsten eines vom Wunschdenken diktierten Konstrukts, das es der Erzählerin erlaubt, jemanden zu vertrauen, dem sie mehr als jedem anderen misstrauen sollte.

Aus der Ankündigung

Ein junges Mädchen marokkanischer Herkunft wächst an der Peripherie von Barcelona auf. Inmitten der religiösen und kulturellen Zwänge ihres muslimisch geprägten Umfelds sehnt sie sich nach Freiheit. Doch die Ausgangsbedingungen sind kompliziert, sodass ihr Weg in die Freiheit nur gelingen wird, wenn sie einen hohen Preis dafür zahlt.

… Eine neue Freundin stellt sich den Herausforderungen ihres Lebens als Frau mit einer Energie, einem Enthusiasmus und einer Entschlossenheit, die sie faszinieren und dazu bringen werden, in ihre Fußstapfen zu treten …

Najat El Hachmi lässt die Leser*innen auf eindrückliche Weise an den Erfahrungen von jungen Frauen aus Einwanderungsfamilien teilhaben und positioniert sich dabei mit starker Stimme gegen die Unterdrückung von Frauen, nicht nur in muslimischen Gemeinschaften.

»Es gibt kein Leben in Würde ohne Freiheit. Ich möchte meine Bücher den mutigen Frauen widmen, die vom Weg abwichen, um frei zu sein.« Najat El Hachmi»Najat El Hachmi ist mutig und scharfsinnig, und ihre Arbeit als Schriftstellerin steht im Dienst eines Feminismus, der die Freiheit als Grundlage für ein Leben in Würde einfordert. Ihre Stimme ist ganz ihre eigene, doch in ihr hallen viele weitere Stimmen aus muslimischen Gemeinschaften wider.« Carlos Zanón, El País»Dieses Buch verfällt weder ins ideologische Pamphlet noch in die üblichen und künstlichen Routinen des politisch Korrekten, die leichte Lesekost für ein gutherziges Publikum hervorbringen. Wir haben es hier mit einem Roman zu tun, der seine Anklage auf subtile und hochwirksame Weise erhebt: durch die präzise Schilderung des Alltäglichen – wie eine Kultur des Aufdrängens und Einschränkens, der Unterwerfung und Erniedrigung selbst auf die scheinbar harmlosesten Details im Leben der Figuren übergreift.« – Iñaki Ezkerra, El Correo»El Hachmi ist eine der kritischsten Stimmen gegen radikalen Islamismus, Unterdrückung und Diskriminierung.« Antonio Lukas und Luis Alemany, El Mundo

Najat El Hachmi ist eine katalanisch-marokkanische Autorin, die im Alter von acht Jahren gemeinsam mit ihrer Familie von Marokko nach Spanien migrierte und heute in Barcelona lebt. El Hachmis Werk beschäftigt sich mit den Themen Identität, kultureller Verwurzelung und Entfremdung und der Bedeutung des Frauseins in der muslimischen Kultur. 2015 gewann sie mit »Eine fremde Tochter« den BBVA San Juan-Preis und den Ciutat de Barcelona-Preis als bester katalanischer Roman. 2021 erhielt sie für »Am Montag werden sie uns lieben« den renommierten Nadal-Literaturpreis.