Thermischer Aufruhr reißt die Leute sprunghaft von den Straßen. Als triebe die Gattung sich immer noch in Savannen herum, aufrecht erst seit gestern. Das Massenphänomen rennt in geschlossene Räume, die Gegenspielerinnen ziehen sich im Regen aus. Vor den Inseln unentwegter Bereitstellung klappen Bänke hoch. Wetterfeste suchen Einfahrten auf.
Rollkoffer verstummen. Balkone entvölkern sich. Der Zufall ist den Liebenden günstig, schreibt Balzac. Tillmann und Karolin beobachten Paula. Sie zieht einen Leiterwagen, in dem eine Puppe liegt. Sie hebt die Puppe aus dem Wagen und zeigt den Himmel ihrem eingefrorenen Kind, seltsam, dass Paula keine Angst vor Wetter hat. Die Vorstellung endet, die Wilden und Entsprungenen flüchten vor regulären Verkehrsteilnehmerinnen. Rollkoffer stürmen die Ruhe nach dem Sturm, Bürgerinnen stützen sich auf ihre Brüstungen.
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Gemütlich ist gut. Gemütlich sind Pfannkuchen, schön mit Puderzucker, und Karolin erzählt dazu, wie der Puderzucker mit einem kleinen Löffel durch das Sieb gerührt wurde, im Damals einer gemeinsamen Nordendkindheit. Und wo das Sieb gekauft worden war. Ob es das Geschäft noch gibt oder was an die Stelle des Geschäfts getreten ist.
Karolin dekoriert das antike Wohnzimmerbuffet mit dem Waschgeschirr und die Bettpfanne der Wagner-Oma; Vorkriegsemaille, angeschlagen, aber funktionstüchtig. Sie liebt die alten Sachen, in denen Tillmann von jeher zuhause ist.
Hätten wir das nicht schon früher haben können? fragt sich Tillmann, verwundert über die häusliche und umsichtige Person, die Karolin so lange vor dem Publikum verborgen gehalten hat.
Sie ist wie ausgewechselt, sagt er zu seiner Mutter am Telefon (in einem imaginären Gespräch). Tina und Tillmann verhehlen sich grundsätzlich alles so gut es eben geht.
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Paula tropft vor Dankbarkeit, sie spricht laut mit sich. Sie ist lächerlich schnell beleidigt und beschämt. Tillmann führt die Familie zusammen, er holt Jamal an den Strand, Khan fährt groß auf, er überlässt den Eingeborenen des Nordends seinen persönlichen Campingtisch. Er packt alles aus und erspart Tillmann auch die Tischdecke nicht. Jamal möchte mit seiner Mutter vernünftig reden, Paula bleibt fassungslos. Tillmann findet das nicht schlimm, die Boule-Eltern Brit und Wieland Teichmann, wohnhaft in der Hallgartenstraße, halten den Jungen auf Kurs. Gero fährt mit seinem Transporter vor, auf der Ladefläche Wurst für Buffet-Kurt, Gero sieht die Bescherung und legt den Rückwärtsgang ein. Kurt kommt aus seinem Wagen (wir sagen aus der Wurst), er fragt: „Was war das denn?“
„Eine Flucht“, antwortet Tillmann entspannt. Ist alles halb so wild. Tillmann schleift die Bagage zur Eulenburg, Jamal läuft heiter und erwartungsvoll voraus, als wähnte er zurechnungsfähige Leute in seinem Gefolge. Die Stadt wird von Stimmungen regiert, die sich an den Übergängen zwischen ihren Vierteln ablösen wie Staffelläufer. In Bornheim fällt das Licht anders auf die Straßen als im Nordend.
Im Gedächtnis der Leute ist Bornheim ein Quartier, in dem das bäurische Element wie durch eine Drainage in den proletarischen Acker rann. Heute muss man diese soziale Melange mit Wohlstand und Heimlichkeit zusammen denken. Der Einheimische hat sich aus dem Erscheinungsbild seines Verbreitungsgebiets zurückgezogen. In der zugezogenen Menge auf der Berger Straße geht er unter. Die von ihm behaupteten Provinzen verbergen sich hinter Schildern aus Unauffälligkeit. Touristinnen könnte er viel erzählen, nur wozu. Allein auf der Eulengasse, dem großen Kopf eine kritische Miene angehängt, hält man ihn für ungesellig. Trifft man ihn aber unter seinesgleichen, entsteht ein anderes Bild. Der alte Rumeleit, Vorsitzender der Apfelwein-Innung, begrüßt Tillmann mit Handschlag. Er hat den Calvados in Frankfurt eingeführt, ihn mitgebracht aus französischer Kriegsgefangenschaft. Er lässt weißen Calvados einschenken, so jung kommen wir nicht mehr zusammen. Da sitzt der Alfred_Schmidt, der dabei war, als Adorno über Hans-Jürgen Krahl sagte: „In diesem Krahl (Kraal) hausen die Wölfe“. Jamal probt ein Pokerface für Anfänger, die Bedienung serviert ungefragt einen Tiefgespritzten, mit Apfelsaft süß gespritzt.
„Ist er nicht zu jung dafür?“ fragt Paula, als sei Tillmann der Vater und Jamal ein fremdes Kind.
„Dafür ist der Hesse nie zu jung“, erklärt Rumeleit kathedralisch.
„Schoppe“, sagt Texas.
„Schoppe“, sagt Jamal.
„Schoppe“, sagt Paula.
„Hopp, hopp, hopp, Schoppe in de Kopp. Delirium, delarium, voll wie ein Aquarium“, fügt Old Rumeleit hinzu.