Foto: Dirk Skiba
„Die Berliner haben weniger Geld als die Wiener, das macht sie etwas menschlicher.“
So erklärt die Österreicherin Sandra Gugić ihre Gegenwart in der deutschen Hauptstadt. Gugić absolviert ein Arbeitswochenende. Die Verabredung soll sie nur kurz von ihrem Schreibtisch distanzieren. Das Café der Begegnung steckt voller Trouvaillen aus dem wilhelminischen Deutschland. In einer Enge zwischen Flohmarkt und Reliquienschau sitzen Leute vor kaltherzig auf Teller gehauenem Rührei und reden Englisch.
Als Tochter jugoslawischer Gastarbeiter wird Gugić 1976 in Schwechat geboren. Die Gemeinde liefert dem Wiener Flughafen die Anschrift. In der imaginären Topografie einer Heranwachsenden ist Schwechat die vom Tod in all seinen Verkleidungen bevölkerte Wiener Vorstadt.
„Es hat sich da nichts lebendig angefühlt.”
Die Eltern sind auf serbischen Bauernhöfen aufgewachsen. Sie begreifen ihre Körper als Werkzeuge und als Gegenstände der Abtötung. Die Migration ist eine Strapaze hinter verschlossenen Türen. In einem Milieu, das zu groben Rezensionen neigt, will man nicht auffallen.
Gugić ist nicht nur ein Ausländer-, sondern auch ein Arbeiterkind. Auf einem Schauplatz der prekären Kreativität und schwangeren Yoga Flow Flipper Community klingt die Zuschreibung wie ein realsozialistischer Romananfang der Majakowski Ära.
Gemeinsam mit ihrer älteren Schwester, der sie den italienisch-griechischen Vornamen Sandra verdankt, gelingt es Gugić, die Eltern zu überrumpeln und Befreiungen durchzusetzen. Die Jüngere besteht auf eine extravagante Ausbildung. Sie besucht die Modeschule Hetzendorf und lernt „Damenkleidermacherin“.
„Ich bin Schneidergesellin.“
Es folgen Regieassistenzen in kleinen Produktionen und eine Kostümassistenz zu Peymanns Zeiten am Burgtheater. Gugić erweitert ständig ihre Spielräume. Sie füllt ihre Fächer mit Qualifikationen. Die Schneiderin wird Grafikdesignerin. Sie studiert Sprachkunst an der Wiener Universität für Angewandte Kunst und am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Sie veröffentlicht in Zirkel Periodika so wie bei Beck den preisgekrönten Roman „Astronauten“. 2016 beteiligt sie sich an der Gründung der Autor*innenallianz nazisundgoldmund. Das ist ein „vielköpfiges poetologisches Monstrum, das die Entwicklungen und Aktionen der Europäischen Rechten und ihrer internationalen Allianzen kritisch beobachtet“.