In der angenehmen Erwartung eines solistischen Abends und zugleich leicht verstimmt von den Merkwürdigkeiten des Tages erreicht Jonna die feste Burg, die ihr Skipperhus so lange für alle Stellberger war. Sie braucht Zeit für sich und für ihre Menagerie, zu der auch die verwaiste Ziege Maida gehört. Man hat Jonna schon mit Maida spazieren gehen sehen.
Gogol taucht zuerst auf. Sein leichtes Herz schlägt Jonna entgegen. Ein sonniges Gemüt lässt ihn auf seinen Pfoten schweben. Ihm folgt der schroffe Gorki wie in einem Walt-Disney-Vorkriegszeichentrickfilm. Der Kater kreist die Hausherrin und den Rivalen ein. Jonna erkennt in Gorki einen Meister des Indirekten. Die Rollen sind wie in Stein gemeißelt. Gogol ordnet sich unter, er schmust und schmeichelt, während Gorki in Jonna eine nicht immer zulängliche Erfüllungsgehilfin seiner Wünsche sieht.
Mit den Tieren als Tross inspiziert Jonna den Garten. Er war die längste Zeit das Feld am Haus.
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Es wurde nicht nachgelegt. Eine unsinnige Erleichterung befällt Jonna. Kein Kürbiskopf auf dem Pumpenschwengel, und schon kehrt banger Frieden in ihr ein.
Sie beklagt ihre Anfälligkeit für Angst.
Kinder aus dem Dorf könnten eine uralte Schabernack-Tradition aufleben lassen. Besonders verdächtig erscheint Jonna Schlossermeister Hein Hagrich, der ihr schon als Stift nachstellte. Alles Mögliche stimuliert Heins nachtragendes Wesen, einschließlich der Niederlage, nie Jonnas Liebhaber gewesen zu sein.
Von Brombeerranken durchzogenes Unterholz schließt den Garten zum Bodden ab. Das Gelände ließ Jonna auf pflegeleicht trimmen. Der Längssaum besteht aus Weiß- und Schlehdorn, Kartoffelrose und Berberitze. Ein paar Beete und Sträucher unterbrechen die Wiesenmonotonie. Dann gibt es noch eine Grill-Sitzecke in Gestalt einer Baumarktkomplettlösung. Das Arrangement ist weit und breit einmalig. Die von Berlinerinnen und Hamburgerinnen restaurierten Boddenhöfe links und rechts haben Obstgärten mit jeder Menge Kirschknorz und malerisch gebeugten Birken. Die Ernte, das Einkochen, Keltern und Brennen gehören für die Städterinnen zur Countryside-Folklore.
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Gogol schlägt an und ist auch schon auf dem Weg zur Pforte. Jonna ruft ihn vergeblich zurück. Sie läuft hinter ihrem Hund her; es sollte andersherum laufen. Vor ihr erhebt sich der Rodelberg, auch unser Maulwurfhügel genannt. Auf halber Höhe steht ein Unbekannter. Gogol versichert sich seiner Liebenswürdigkeit. Beide sehen Jonna erwartungsvoll näherkommen. Da ist etwa im Gesicht des Fremden, das in Jonna Anklang oder eher noch einen Widerhall findet.
„Ich hoffe, Sie fühlen sich von Gogol nicht belästigt.“
„Das können Sie unmöglich ernst meinen. Sie sehen doch auf wie vertrautem Fuß wir bereits miteinander stehen.“
Ein Bühnentext aus dem Stehgreif. Ich bin an einen Theatraliker geraten, der mir gleich verraten wird, dass er Schauspieler ist, wenn auch noch kein berühmter. In ihrer Zeit als Kostümbildnerin war Jonna nur mit Schauspielern, Dramaturgen und Dramatikern zusammen, so wie ihre Kollegin Ingrid auf Maler fixiert war. Verflixt. Jonna hat schon ewig nicht mehr an Ingrid gedacht.
„Mein Name ist Herzog. Malte Herzog. Ich habe mich gerade in ihre Gegend verliebt.“
So wie Malte sahen einige von Jonnas Liebhabern aus, ein bisschen verschlafen, ein bisschen verträumt, ein bisschen rockig. Am Anfang ahnte man noch die mütterliche Fürsorge. Im ärgsten Kneipenmief haftete den Debütanten Provinzfrische an. Jeden erwartete eine fabelhafte Zukunft zwischen der Berliner Volksbühne und dem Potsdamer Babelsberg.
Jeder war für eine Überraschung gut. Einer setzte sich ans Klavier und fing die Meute mit seinem Spiel. Ein anderer unterbrach einen Spaziergang für Saltos und Flickflacks. Alle deklamierten, bis ihre Platten anfingen zu leiern und das letzte Bier dreimal bestellt wurde mit jeweils einem Absacker. Da hatten manche schon Fett angesetzt und litten unter Haarausfall. Ihre Mittelmäßigkeit schälte sich aus der properen Verkleidung. Sie schmolzen wie Schneemänner in der Sonne. Trotzdem klebte Jonna lange an den Klischees.
Sie erinnern mich an jemanden, sagt sie zum Glück dann doch nicht.
„Ich bin Jonna Stellberg. Das Haus da.“
Sie hält den Satz in der Schwebe. Trotzdem besteht kein Zweifel, dass sie eben das von ihren Altvorderen ehrpusselig bewahrte Prädikat unterschlagen und eine Einladung ausgesprochen hat. Der junge Herzog zeigt sich angenehm überrascht. Jonna ahnt unter dem dünnen Eis formellen Verhaltens die schiere Unverschämtheit. Ihre Nase juckt. Vielleicht will sie Jonna sagen, dass dieser Mensch mit nichts anderem gerechnet hat.
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Jonna platziert den Gast auf einer Eckbank aus massiver Kernbuche, die zu den Heimwerkerleistungen ihres Urgroßvaters zählt. Sie steht auf der Fläche des im 20. Jahrhundert ursprünglichen Wohnzimmers. Hundertvierzig Quadratmeter Grundfläche gestatten mitunter Ballsaalgefühle.
Jonna serviert Tee und ihre letzten Island Bakery Shortbread Biscuits.
Ich, die allwissende Erzählerin, möchte Jonna raten, ihr Interesse zurückzuschrauben. Sie kann sich gerade noch nicht einmal daran hindern, die Notration glutenfreier Bio-Haselnusskekse auszupacken. Einst war Jonna berühmt für solche Vollgasaktionen.