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2022-05-03 06:56:00, Jamal Tuschick

Spott als Notbremse gegen faschistischen Kitsch

Er übermalte Postkarten mit Motiven des „Reichsschamhaarmalers“ Adolf Ziegler. Dessen Triptychon „Die vier Elemente“ nahm einen herausragenden Platz in der faschistischen Ikonografie ein, während der Stuttgarter Maler, Grafiker, Bühnenbildner, Typograf und Kunsttheoretiker Willi Baumeister (1889 -1955) im Dritten Reich als „entarteter“ Künstler kursierte. Der Geächtete überzog den Nobilitierten mit Hohn und Spott. Mit Verfremdungen reagierte er auf ein hohles Natürlichkeitsideal. Baumeister übermalte ein Modell von Ziegler mit der Karikatur eines Männerkopfes.

„Das Herz ist ein geräumiger Friedhof.“ Heiner Müller

Blowback

„Als Blowback … wird in der Fachsprache der Geheimdienste der unbeabsichtigte Effekt bezeichnet, bei dem inoffizielle außenpolitische Aktivitäten oder verdeckte Operationen später negativ auf deren Ursprungsland zurückfallen.“ Wikipedia

Trotzreaktion

Wer etwas über meine Gegend und ihre Geschichte erfahren will, kommt zu mir. Man könnte auch zu Gunda von Tillwitz gehen. Man müsste nur ertragen, wie sehr sie sich in der Rolle der Zugeknöpften gefällt. Die Reserve spiegelt den Hochmut einer Frau, die sich dynastisch wahrnimmt. Gunda begreift sich als offizielle Standesvertreterin und heimliche Siegelbewahrerin des Boddengrals. Mit ihren Tillwitzern verkehrt sie wie die Gräfin mit dem Gesinde. Die Leute lassen sich das gefallen. Für den harten Kern der Eingesessenen ist Gunda ein Original mit Garantiecharakter. Solange sie auf ihrem Hof wirtschaftet, besteht Hoffnung.

Sie ist der Damm, der nicht brechen, die Pose, die nicht untergehen darf. Noch trotzt Gunda und ihr (vom Schicksal hart geschlagener, sprich weich geprügelter) Keno dem Veränderungsdruck.

Mir fehlt Gundas Selbstsicherheit. Ich existiere in einem Raum verschlissener Gewissheiten und kann mir nichts anderes vorstellen als da zu bleiben, wo ich Triebe zurückschneide und Schmodder aus den Regenrinnen angele.

In meinem Haushalt hat jeder Eierbecher eine Geschichte. Ich entscheide mich für ein Exemplar, das ich 1992 in doppelter Ausführung auf dem John F. Kennedy International Airport als Souvenir für meine Eltern gekauft habe, obwohl man damals schon das I Love New York-Motiv weltweit hinterhergeschmissen bekam. Erschlagen vom Einfallsreichtum der New Yorker, hatte ich mit der denkbar beschränktesten Lösung vorliebgenommen.

Fluchteinzelheiten

Gestern hat ein Zwanzigjähriger im Skipperhus übernachtet. Und nicht nur das. Können Sie sich das vorstellen? Jonna von Stellberg lässt sich auf einen Göttinger Fahrradmechaniker ein, inzwischen heißen die auch anders, der noch ganz grün hinter den Ohren ist und von Takt nichts weiß.

Ich erspare Ihnen die Einzelheiten. Natürlich war das nichts. Malte wuchs bei seiner aus Thüringen gebürtigen und in den 1980er Jahren illegal in den Westen entwichenen Mutter auf. Ich habe es versäumt, nach ihrem Namen zu fragen. Bestimmt ist die Frau in meinem Alter.

Malte behauptet, sich für die Fluchteinzelheiten nie interessiert zu haben. Ich finde das unglaublich. Seit seinem Abgang vor knapp vierundzwanzig Stunden habe ich nichts mehr von ihm gehört. Erleichterung und Missmut halten sich die Waage. Maltes Unhöflichkeit, diese kindsköpfige Kaltschnäuzigkeit, stürzen mich in eine milde Verzweiflung.

Der Mut des jungen Adlers

Für mich haben sich Männer geschlagen und ruiniert. Jahrzehnte konnte ich mich auf meine Colt-Wirkung verlassen. Da gab es keinen, den mein Entgegenkommen nicht total entwaffnet hätte. Das war so bis gestern.

Ich flüchte mich in die Beschäftigung mit Alwin Adler. Er war unser Kuhlengräber und Friedhofsgärtner. Ich erinnere einen feinen Mann, selig-still. Erst nach seinem Tod geriet seine Biografie in meinen Blick. Der Witz war, in den Unterlagen des verstorbenen Adlers fand man ein Dramenfragment; ein vollkommen unerwarteter Fund.

Mit allem hatten Kennerinnen der lokalen Kuriosa gerechnet, mit verborgenen Liebschaften, heimlicher Religiosität, einer IM-Historie, einem pornografischen Vorrat … nur eben nicht mit einer Neigung zum Theater. In den 1950er Jahren gab es Aufführungen nomadischer Schauspielerbanden, die Alwin gesehen haben könnte; während ich es für ausgeschlossen halte, dass er auch nur einmal in Rostock oder Schwerin Zeuge des Bühnengeschehens in einem festen Haus geworden ist.

Aufkreuzen zum Ankreuzen - Im Präsens der verlorenen Zeit

Er ist ein Selbstläufer. Unerreichbar für die Moden und Marotten einer verhauenen Jugend. Alwin Adler ist kaum achtzehn, als er Charakter beweist. Andere drücken sich weg. Alwin steht gerade. Am 15. Oktober 1950 geht die Wahl zur ersten Volkskammer als Pflichtprogramm über die Republikbühne. Wer zum Ankreuzen nicht aufkreuzt, muss mit Sanktionen rechnen.

Alwin opponiert mit Flugblättern gegen die Scheinwahl. Die Wahlbeteiligung liegt knapp unter hundert Prozent. Parteilichkeit ist das Gebot der Stunde. Unter dem staatlichen Gewaltschirm können politische Konflikte nicht offen ausgetragen werden.

Protestäußerungen fehlen die großen Kaliber bürgerlichen Selbstbewusstseins. Heiner Müller behauptet:

„Gegen Hitler zu sein, hieß über Stalin zu schweigen.“

Im Powerpräsens der Subversion

Ende der Vierzigerjahre bilden sich an Oberschulen in der Sowjetischen Besatzungszone Widerstandsgruppen. Gymnasiastinnen bieten der SED-Diktatur die Stirn mit kleinen Manövern. Im thüringischen Altenburg sind Lehrerinnen mit von der Partie. Die Subversion gipfelt in der Störung einer Rundfunkfrequenz. Ab 1950 macht das soeben gegründete Ministerium für Staatssicherheit eine große Sache daraus. Verhaftete werden an den NKWD überstellt. In einem Geheimprozess versteigt man sich zu Hinrichtungsanordnungen. Die Delinquentinnen werden für die letzten Maßnahmen nach Moskau verbracht.

Zur Biografie

Bäuerinnen auf kargen Boden sind die Erzgebirglerinnen beinah von jeher. Bereits im 17. Jahrhundert stand man vor dem Ruin erschöpfter Bodenschätze. Das Klöppeln und die Feierabendschnitzerei gehören zu einer Armutsproduktion mit sich selbst verklärenden Aspekten im Luther’schen Kernland, das als protestantisches Epizentrum eine eigene Gravitation haben soll. Davon profitiert heute die Tourismusindustrie. Sie vermarktet Idyllen mit märchenhaften Ausschlägen.

Der 1932 im sächsischen Erzgebirgskreis zur Welt gekommene Alwin wächst im Takt der mütterlichen Regie auf. Der Erzeuger spielt keine soziale Rolle. Erst unter dem nationalsozialistischen Konformitätsdruck entschließt sich die mit einer Waisenhauskindheit geschlagene Josephine S. zur Ehe mit einem gefälligen Mann, dem die Anpassung zur zweiten Natur geworden ist; so dass man Hermann Adler als Parteigenosse kennt. Das Kind im Haushalt ist aus anderem Holz geschnitten. Alwin verweigert jungvölkische Sperenzchen. Intuitiv lehnt er die paramilitärische und autoritäre Struktur der NS-Nachwuchsschulung ab. Er bindet sich an den katholischen Pfarrer in einer evangelischen Gegend.

Eine interessante Nebenspur: Olbernhau ist durch und durch reformiert. Ab Fünfundvierzig kommen mit den Umsiedlerinnen Katholikinnen dazu. So geht eine gemeinhin unbeachtete Gegenreformation vonstatten. Evangelische Landstriche haben plötzlich wieder eine Opposition wie seit dem 16. Jahrhundert nicht mehr.

Das macht doch was mit einem. Ewig war man unter sich, war evangelisch und lobte seinen Luther. Und nun sind die anderen wieder da. Katholische Gottesdienste halten die Papistinnen in einem aufgelassenen Gasthof ab. Mehr Entgegenkommen gibt es nicht. Heute signalisiert der Internetauftritt Kontinuität im geistlichen Leben von Olbernhau. Dass da eine Lücke von Jahrhunderten klafft, wird verschwiegen.

Seit dem späten 17. Jahrhundert fertigt man Büchsen in Olbernhau. Ein Weilchen verband sich mit dem Städtchen der Unique Selling Point, die einzige sächsische Gewehrmanufaktur vor Ort zu haben.