Der Priester bleibt aus. Der Fernseher lässt sich nicht einschalten. Nachts führt mich eine Wärterin zu einem Saal. Ein Abschlussball könnte darin stattfinden. In einem Alkoven bemerke ich drei Männer. Zwei liegen ramponiert auf den Knien. Ich ahne stumme Bewegungen an dunklen Rändern. Der aufrechte Mann fragt, ob ich die knienden Männer kenne. Mit brennendem Hass sehen sie mich an. Sie spucken aus und fluchen. Sie regen sich furchtbar auf. Ich bin der Höllenhund.
„Mir sind ihre Namen nicht bekannt“, sage ich so pompös wie möglich. Der Kreuzritter ist furchtbar angewidert von den Asseln auf dem Weg ins Paradies. Er tritt sie. Er lädt mich ein, an einem Blutbad teilzunehmen. Meine so genannten Glaubensbrüder verfluchen mich, bis sie tot sind.
Hell empört nennt der Ritter die Zahl der Toten auf seiner Seite an diesem Tag.
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Man bringt mich in ein Kaminzimmer. Diese Nacht eröffnet mir lauter neue Ansichten des Hauses. Männer in Ordensgewändern erwarten mich an einer Tafel. Ich bekomme einen Schemel als Sitzplatz. Ein Büttel mit einem Knüppel steht mir zur Seite.
Die Ritter werfen ihre Namen in den Raum, gewichtig gemacht von den Adelsprädikaten. Ich lag am Strand von Malibu, als mir ein Agent der Liga zum ersten Mal von diesem Komitee erzählte. Unterdessen rieb ich Saide Öl in die Haut. Meine Sonnenbrille rutschte über den Nasenrücken. Ich lachte über die christlichen Spinner, der Agent lachte mit, und Saide regte sich unter meinen Händen. Ich bestellte Getränke. Ein Bruder trug sie durch den Sand. Lange sah der Krieg für mich so aus.
Ich rechne mit einer Befragung, bis ich erkenne, dass man mich geholt hat, um an einem Schauspiel mitzuwirken. Ich bin der Unwürdigste im Haus. Das qualifiziert mich an erster Stelle zur Herabsetzung eines Ermittlers, der an einem Strick herangeführt wird.
Der Ermittler steht vor der Tafel und nennt seine Verfehlungen. Er bezichtigt sich energisch. Ihm wird schließlich befohlen meine Füße zu waschen. Das Nötige steht bereit.
Mit gewaschenen Füßen werde ich in den Keller gebracht. Der Zellentrakt ist aufgeräumt und solide. Als gäbe es auch hier eine Aufsicht, die mit Amnesty International kooperiert. Ich beatme mein Zwerchfell und verschließe die Augen vor dem Chaos meiner Eindrücke.
Mein Gefängnisfrühstück lässt nichts zu wünschen übrig. Man hält mich zu Übungen an. Eine Spezialistin für Alexandertechnik trägt zu meiner Entspannung bei. Im Verlauf des Vormittags nehme ich Eintragungen in meinem Reuebuch vor. Ich setze ein paar Beteuerungen hinzu.
Miriam leistet mir Gesellschaft am Mittagstisch. Unter den gegebenen Umständen ist ihre Gegenwart besonders anregend. Sie gibt zu verstehen, dass ich mich zu den Vorgängen in der vergangenen Nacht nicht äußern soll. Ich ahne (zum ersten Mal) ihre Bereitschaft, die Grenzen ihres Auftrags zu überschreiten.
Wir setzen die Erinnerungsarbeit fort.
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Ich bin eingeschlossen. Niemand denkt daran, mich zu unterhalten. Ich schreibe die Titel von Liedern auf, die mir etwas bedeuten. Meine Mutter war als junge Frau mit Musikern gut bekannt. Sie erzählte von legendären Konzerten. Das waren die Erzählungen eines Groupies. Für meinen Vater gab sie ihre hedonistische Existenz auf.
Ich wollte ein Mann sein, für den eine Frau die Richtung ihres Lebens ändert. Das muss mir meine Mutter nahegelegt haben. Mit ihren Freundinnen bildete sie einen Kreis reizender Mütter. Jetzt sehe ich ihren Ehrgeiz.
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Saide Art der Ermutigung: Ich sehe es gern, wenn dir etwas gelingt. Mit dieser Variante: Ich sehe es gern, wenn einem etwas gelingt.
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Ich langweile mich beim Abendbrot.
Jeder Versuch, mit einer Wärterin Kontakt aufzunehmen, scheitert.
Das Licht in meiner Zelle brennt die ganze Nacht. Mit kleinen Maßnahmen hält man den Delinquenten konstant in einem destabilisierten Zustand, ohne ernsthaft Gewalt anzuwenden.
Ich lerne ständig dazu. Für heute merke ich mir: Es reicht zu wissen, dass jemand über dich verfügt, um den Untergang einer Person einzuleiten.
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An einem Tag bleibt die Erinnerungsarbeit allein mir überlassen. Ich verstehe, dass ein Tag ohne Miriam für mich keine Gestalt annimmt. Ich kann mich nicht konzentrieren. Ich registriere erste Anzeichen der Verwahrlosung.
Eine gewisse Renitenz setzt der Angst zu. Ich komme über Selbstbeobachtungen nicht hinaus.
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Ich bin wieder in der achten Etage. Santiago wirbt auf dem Bildschirm für eine Süßigkeit. Er ist enorm telegen.
Man schneidet mir die Haare.
Am Nachmittag sieht ein Zahnarzt nach mir. Er sieht so aus, als habe er die schwarzen Pocken überlebt … und seine Instrumente auch schon zur Folter eingesetzt.
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Während ich eine Gurke ihrer Länge nach zerschneide, kommt mir der absurde Humor des alten Mannes in den Sinn … seine Art, Leute an der Nase herumzuführen. Ich erzähle dem Priester davon, der sich so einfindet, als sei er am Vorabend zum letzten Mal da gewesen.
Solange er in der Legalität war, suchten Regierungen das Gespräch mit dem alten Mann. Er verhandelte mit Dolmetschern, obwohl er drei europäische Sprachen so weit beherrscht, um dem Gang einer Unterhaltung folgen zu können. Er verrätselte sein Verhalten mit sinnlosen Unterbrechungen. Er besprach sich selten. Die Männer, die als seine Vertrauten hingestellt wurden, waren malerisch kostümierte Pappkameraden. Die sah man dann an seiner Seite auf den Bildschirmen.
Der alte Mann ist bewandert in westlicher Philosophie.
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Die Erinnerungsarbeit findet in der zwölften Etage statt. Ich bin so belebt von einer neuen Sachbearbeiterin, dass ich ein passendes Thema wähle. Der alte Mann unterhält Beziehungen zu Europäerinnen. Manche Verhältnisse währen Jahre. Das trug ich Saide zu. Ich hatte sie dem alten Mann vorgestellt und ihn später vor ihr herabgesetzt, indem ich von seiner trägen Verdauung anfing. Sie nannte mich einen Angeber. Ihre formatlose Aggressivität zuzeiten … eine wegwerfende Art mir gegenüber. Ihre Frivolität.
Ich fand mich überwältigend im Vergleich mit dieser Hockgesellschaft, die dem alten Mann auf den Leim kriecht. Selbst seine Genickbrecher sind bloß Bauern mit Pranken, die Karate für raffiniert halten.
„Könnte Saide eine Geliebte des alten Mannes sein?“ fragt die neue Annette.
Ich sage erbittert wie eh und je, wenn es um Saide geht: „Solche Konstellationen strebt der alte Mann an.“
Saide als Zuträgerin … verlässlich wie nie, wenn es mich betraf. Seine Art, Sex zu haben. Ich erzählte Saide davon, nach einem Konzert im Madison Square Garden. Sie regte sich auf, weil ich kein Taxi auftreiben konnte.
Ich stelle mir den alten Mann in Saides Gesellschaft vor. Saide sitzt außerhalb seiner Reichweite und unterhält ihn mit einer prickelnden Episode. Sie zeigt dem alten Mann ihre Zunge. Weiter komme ich nicht. Die Szene erfriert wie ein hyperrealistisch abgemaltes Standfoto.
…
Santiago in der TV-Werbung.
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Abends frage ich den Priester nach seinen Wegen im Haus und dem Gang der Dinge in der Welt. Er antwortet mir wie einem, für den das alles nicht mehr erheblich ist. Als betrachtete er diese Etage als die letzte Station meines Lebens. Sein Blick geht über mich hinweg, so gleichgültig wie über Gräber.
Manchmal kommt es mir so vor, als folgte meine Versorgung und Überwachung einem Automatismus, der aus Gedankenlosigkeit in Kraft bleibt.
…
In der Wärterinnenkammer steht ein Radio. Manche Wärterinnen kommen mit einer Zeitung auf die Etage.
Ich möchte mich mal wieder betrinken. Falls ich frei komme, fang ich wieder an zu rauchen.