Im Vorfeld der documenta fifteen gab es bereits eine Debatte um Antisemitismus, unter anderem weil keine jüdischen Künstler*innen aus Israel eingeladen worden waren. Im deutschen Feuilleton wurde die documenta lange verteidigt, selbst noch, als wenige Tage nach der Eröffnung klar war, dass antisemitische Kunstwerke ausgestellt werden. Im Fokus stand besonders die antisemitische Ikonographie des Banners „People’s Justice“. Es war eines der größten Werke dieser documenta und stammt von dem indonesischen Kollektiv Taring Padi. Das Wimmelbild zeigte unter anderem eine uniformierte Figur mit Schweineschnauze. Auf dem Helm die Aufschrift „Mossad“, darunter ein Halstuch mit Davidstern. Verharmlosung. Auch eine Karikatur des die ganze Welt ausbeutenden jüdischen Kapitalisten mit angespitzte Zähnen und einem Hut mit SS-Runen war zu sehen.
Der Umgang mit dem Bild zeigt exemplarisch, wie Antisemitismus in Deutschland allzu oft verhandelt wird: Er wird geleugnet und wegdiskutiert, bis er einfach nicht mehr zu leugnen ist. Einem viel zu späten Eingeständnis folgt dann eine halbgare, oft relativierende, Entschuldigung. So auch auf der documenta fifteen: Bis zum Schluss wurde antisemitische Werke verteidigt und Kritik daran wiederum als rassistisch gebrandmarkt. Antisemitismus beginnt aber nicht erst bei den grotesk überzeichneten Karikaturen, die auf dem Banner von Taring Padi zu sehen waren. Er beginnt beim Ausschluss von israelischen Künstler*innen, der durch die BDS-Kampage seit Jahren gefordert und betrieben wird. Er beginnt, wenn berechtigte Kritik als ‚Antisemitismus-Keule‘ diffamiert wird. Er beginnt, wenn der Antisemitismusvorwurf mehr gefürchtet wird als der Antisemitismus. Auch und gerade im Kunstbetrieb.
Ist der Antisemitismus nicht mehr zu leugnen, folgt die Verharmlosung. Im Falle der docmuenta fifteen geschah das unter anderem in dem Statement von Taring Padi, in dem der kulturell spezifische Kontext des Bildes betont wurde. Man sei traurig darüber, dass Teile des Banners im deutschen Kontext anders verstanden wurden und entschuldige sich für den Schmerz, den das Werk in diesem Kontext verursacht habe. Das deutsche Feuilleton sprang in kulturrelativistischer Manier auf diesen Zug auf. Dabei brach sich dann deutscher Rassismus Bahn: Man schrieb über ‚das Fremde‘, darüber, wie im Globalen Süden ‚alles anders sei‘ als ‚bei uns‘ und infantilisierte die Künstler*innen, die es ‚ja nicht so meinen würden‘.
Einen Herkunftskontext zu respektieren bedeutet jedoch nicht, ihn zu affirmieren, um etwa die universelle Gültigkeit der Menschenrechte einzuschränken. In einer Kunstausstellung Bilder von Juden als Blutsauger zu zeigen oder Juden als Nazis darzustellen, sollte nirgendwo auf der Welt geschehen, egal, in welchem kulturellen Kontext. Und es geht dabei nicht um verletze Gefühle sondern um Antisemitismus. Die documenta fifteen hat wiedereinmal gezeigt, dass dieser in seiner Gefährlichkeit nicht ausreichend anerkannt wird. Es gilt, ihn eindeutig zu benennen und zu bekämpfen – Hass gegen Jüdinnen und Juden darf im Kunstbetrieb nicht normalisiert werden!