„Abermalens hatte das halsstarrige und wetterwendische Volk zu Jerusalem des geschworenen Bundes vergessen, abermalens hatten sie den erzenen Götzen von Tyr und Ammon blutige Gabe gebracht.“
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Diesmal wählt der Autor den Tonfall der Bibel. Er trägt dick auf, während Gott wieder einmal mit seinem Volk hadert. Zu lange waren die Punks von Jerusalem so abergläubisch, klein- und wankelmütig wie alle anderen. Rückschläge begleiten die Verankerung des Monotheismus.
Die Ur-Palästinenser vergessen immer mal wieder ihren einen Gott. Dann kehren sie zurück zu Baal-Gesang und Babylon-Blues und „schwemmen die Tempelfliesen mit Schlachtwerk“.
Stefan Zweig, „Jüdische Erzählungen und Legenden“, herausgegeben von Stefan Litt, Jüdischer Verlag/Suhrkamp, 26,-
Gottes Ingrimm manifestiert sich in einem Sturm, der alles Irdische niederzwingt, bis jede Nase vom Staub verstopft ist. Allen Männern ward der Mut genommen. Nun sind sie wie „zertretenes Gras“.
Heute reden wir über „Rahel rechtet mit Gott“
Schließlich wird es Rahel, der „Erzmutter Israels“, zu bunt. Sie steht aus ihrem „Grabe zu Ramah“ auf, da sie „Gottes Zornwort vernommen“, und wendet sich direkt an den Wütenden im Himmel. Rahel schlägt gleich den richtigen Ton an. Gott lässt sich besänftigen, ob der Tränen, die eine Tote weint. Die Sache interessant macht, dass es mehr als ein Rahel-Grab gibt. Zweig vermutete die sterblichen Überreste der Matriarchin - im Einklang mit einer verbreiteten Auffassung - in Ramah (heute Al-Ram). Die nordöstlich von Jerusalem gelegene Stadt klebt inzwischen an der Berühmten wie Offenbach an Frankfurt. Sie war das Zentrum einst des israelitischen Stammes Benjamin, dessen Anfang Rahel auf ewig bleibt. Auch die Stämme Ephraim und Manasse berufen sich auf Rahel als Ursprung.
In Rama startete die Verschleppung nach Babylon.
Rahel liegt Gott in den Ohren.
„Das Lauschen Gottes aber in seinen Himmeln füllt alle Räume mit Leere und tötet die Zeit. Kein Wind wagte zu wehen.“
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Nun erzählt Zweig die ganze Schote. Jakob, wie er des Weges kommt, just als seine Kraft gebraucht wird, von der Schafe hütenden Rahel, die sich dann beeilt, Jakob ihrem Vater vorzustellen, der Morgenluft wittert angesichts eines Knechts, der ihn nicht mehr kostet als eine Tochter. Wegen Rahel dient Jakob dem Brautvater Laban sieben Jahre. Der legt ihm zur Hochzeit Rahels ältere Schwester Lea ins Bett.
„Es ist nicht Brauch an unserem Ort, dass man die Jüngere vor der Älteren verheirate.“ Quelle
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„Schufte du nur weitere sieben Jahre auf meinem Hof, so will ich dir Lea endlich geben.“
Die Geschichte zieht sich. Der Grundstein Israels ist ein Familienbetrieb. Alle helfen mit, einschließlich der Mägde Bilha und Silpa, die für ihre Herrinnen Söhne gebären. Die lange unfruchtbare Rahel kommt schließlich doch noch nieder. Sie stirbt bei der Geburt des Stammvaters Benjamin.
Die Legende Rahel rechtet mit Gott erschien zuerst 1927 im Märzheft der Neuen Rundschau. Quelle
Der Autor bekundet eine besondere Leidenschaft für die Rahel-Motive. Vierzehn Jahre warteten Rahel und Jakob aufeinander. Vielleicht lebten sie auf den Feldern, Weiden, Fluren und Nachtlagern in divinatorischen Verbindlichkeiten, von denen wir nichts mehr wissen; als wäre eine Tür ins Schloss gefallen. Zweifellos war Gott eine persönliche Erfahrung für Rahel, mächtiger als jeder Mensch und insofern übermenschlich, aber eben doch im Gespräch einnehmbar. Man konnte ihn anflehen, vor ihm einen Demutsveitstanz aufführen und von ihm etwas konkret erbitten mit einem knappen gib (im Sinne von rück raus, Mann), oder du sollst mich sauer sehen.
Gott war ein potenzierter Vater, der eben auch erkannt werden musste als der Eine. Es gab genug Ignorantinnen und Ignoranten, die seine Existenz wortreich in Abrede stellten. Kurz gesagt, Gott brauchte sein Volk.
Der Glaube an ihn, bedeutete, im Bunde zu sein mit einem, der die Wasser teilen konnte. Er war die klassische Supermacht; ein himmlischer Amerikaner.
Und man konnte mit ihm rechten. Das ist die Schlüsselidee. Rahel nennt Gott „hartköpfig“. Sie spricht herausfordernd und sogar anklagend in Momenten. Dann gibt sie sich wieder als verständige Magd, zeigt sich fromm, plinkert und flirtet.
Aus der Ankündigung
Stefan Zweig ist einer der erfolgreichsten Autoren deutscher Sprache. Berühmt wurde er durch seine romanhaften Biographien, aber sein Werk zeichnet sich besonders durch eine Vielzahl an Novellen aus, die bekannteste ist wohl die Schachnovelle, sein letztes Werk, die posthum 1942 in Brasilien erschien.
Auch wenn Zweigs jüdische Herkunft in seinen Werken keine prominente Rolle spielt und er den jüdischen Kontext in seinen Werken nie besonders herausgestellt hat, darf dessen Bedeutung für Zweigs Schaffen nicht unterschätzt werden. In den sechs hier versammelten Novellen und Legenden »Im Schnee«, »Die Wunder des Lebens«, »Untergang eines Herzens«, »Rahel rechtet mit Gott«, »Buchmendel« und »Der begrabene Leuchter« gelingt es Zweig, die jüdische Thematik immer wieder subtil aufscheinen zu lassen.
Die Texte stammen aus den Jahren 1901 bis 1936 und sind teils als eigenständige Publikationen, teils in Sammelbänden erschienen. In dieser Form werden sie hier erstmals gemeinsam veröffentlicht.
Zum Autor
Stefan Zweig, wurde am 28. November 1881 in Wien geboren und starb am 23. Februar 1942 in Petrópolis bei Rio de Janeiro. Er studierte Philosophie, Germanistik und Romanistik in Berlin und Wien, reiste viel in Europa, nach Indien, Nordafrika, Nord- und Mittelamerika. 1938 emigrierte Zweig nach England, ging 1940/41 nach New York, dann nach Brasilien, wo er sich 1942 das Lebennahm.
»Er war in seiner Zeit weltweit einer der berühmtesten und populärsten deutschsprachigen Schriftsteller. Seine unter dem Einfluß Sigmund Freuds entstandenen Novellen zeichnen sich durch geschickte Milieuschilderungen und einfühlsame psychologische Porträts aus, in denen die dezente, doch unmißverständliche Darstellung sexueller Motive auffällt. Seine romanhaften Biographien akzentuieren die menschlichen Schwächen der großen historischen Persönlichkeiten.« Marcel Reich-Ranicki