Operation Torch
Sie waren Ritchie Boys. Gemeinsam mit … Stefan Heym absolviert Werner Angress einen Kurs im Military Intelligence Training Center, dem sagenhaften und „herrlich gelegenen“ Camp Ritchie in Maryland.
„In Flugblättern, Lautsprecherdurchsagen, Feldzeitungen und Radioshows wandten sich (Ritchie Boys) an die deutschen Soldaten und die deutsche Zivilbevölkerung.“ Quelle
Stefan Heym, 1913 in Chemnitz geboren, emigrierte via Prag in die USA. Als er 1944 „Of Smiling Peace“ - „Flammender Frieden“ schrieb, wusste er nicht, dass Landungsbootmanöver (mit der Bugrampe als Gangway) im Kino klassisch werden würden.
Kurz zum Romangeschehen
Sergeant Shadow McManus erlebt eine Landung unter Beschuss in frühen Morgenstunden an der algerischen Küste. Heyms Held steht rennend neben sich. Die Gefahr spaltet Shadow. Einerseits funktioniert er wie ein Automat. Andererseits kapiert er jenes irre Selbst nicht, das sich ins Sperrfeuer stürzt.
„Kugelregen siebt den Strand.“
Stefan Heym, „Flammender Frieden“, Roman, aus dem Englischen von Bernhard Robben, C. Bertelsmann Verlag, 476 Seiten, 24,-
Shadow beobachtet etwas Unglaubliches. In einer Situation, die sich formal für alle Abgesetzten gleich darstellt, suchen die einen Deckung im Dreck, während andere aufrecht stehen oder gehen. Manche rennen geduckt, andere robben. Jeder scheint etwas anderes zu erleben. Männer ziehen Kanonen und schleppen Munitionskisten vorbei an Kombattanten, die im Schussfeld rauchend flanieren; wie Komparsen, die gerade nicht gebraucht werden. Die Theaterdonneraufregung am Set kratzt sie nicht.
Die einen führen Krieg, die anderen Gespräche.
Heym beschreibt Wirkungen eines allgemeinen Schocks „im gespenstischen Licht der Morgendämmerung“. Schiffsbatterien konferieren mit Küstengeschützen. Der Tod hüpft wie ein wahnsinniges Rumpelstilzchen durch die Reihen.
Heym verarbeitete die von Dwight D. Eisenhower geplante „Operation Torch“. Sie begann am 8. November 1942. Eine alliierte Armada von fünfhundert Schiffen transportierte rund hunderttausend Soldaten an die nordafrikanische Küste. Offiziell traten sie gegen die Streitmacht des Vichy-Regimes an. Fraglich war bis zum ersten Schuss, ob die Pétain-Kollaborateure ihre Artillerie einsetzen würden.
*
Plötzlich gehört der Berliner Werner Angress zur Nationalgarde von Virginia. Zur Vorgeschichte: sehen Sie hier. Man expediert den Freiwilligen nach Fort George G. Meade. Heute residiert da die NSA.
Werner landet bei der Infanterie. Der Chronist schildert den doppelten Boden der amerikanischen Freiheit. Kameraden bieten ihre Hilfe an, um nebenbei dreckige Bemerkungen fallen zu lassen.
„Ohne mit der Wimper zu zucken, fragte (John G.) Barnes (ein Ingenieur aus Newport News, Virginia), ob Hitler nicht vielleicht gute Gründe habe, die deutschen Juden zur Ausreise zu zwingen.“
Der miesen Invitatio ad offerendum zum Trotz, mausert sich John zu einem hilfreichen Freund, bis er am 6. Juni 1944, dem D-Day, fällt. Von den Vorgesetzten, „alle weiß“, können „zehn Prozent … nicht einmal ihren Namen schreiben“. Viele Offiziere und Unteroffiziere stammen aus Lynchburg, Virginia, und sind miteinander verwandt.
Werner Angress, „Flucht und Rückkehr. Erinnerungen eines jüdischen Berliners 1920 – 1945“, herausgegeben von Norbert Kampe und Kai-Alexander Moslé, 386 Seiten, 41 Abbildungen, Hentrich & Hentrich, 24.90 Euro
Kompanieführer Captain Pugh, im Zivilleben Milchlieferant und nebenberuflich Moonshiner-Hunter aka Revenue Officer, das heißt, er macht Jagd auf illegale Schnapsbrenner:innen*, ist zu blöd, um eine Geländekarte zu lesen. Bei jedem Manöver verläuft er sich mit seinen Leuten. Nach seiner Ablösung steigt das Ausbildungsniveau, während die „Lynchburger Vetternwirtschaft“ Boden verliert.
Werner will „ein guter Soldat“ sein
Als begeisterter Karl-May-Leser gelingt es Werner, Drill-Varianten einen Reiz abzugewinnen. Doch im Großen und Ganzen verödet alles Erhebende oder auch nur ansatzweise Abenteuerliche in einer Wüste aus Unfähigkeit und rotzigem Leck-mich-am-Arsch. Routiniers simulieren nach Schema F. Sie beweisen ihre Meisterschaft bei der Darstellung totaler Erschöpfung und kürzen so Gewaltmärsche ab.
Werner ist zu stolz für solche Vermeidungen. Einmal folgen ihm gerade noch vier Kameraden ins Ziel. Der unterwegs liegengebliebene Rest wurde selbstverständlich eingesammelt. Werners preußischer Pflichterfüllungswahn bleibt den in einem Laid-back-Coolness-Kosmos sozialisierten Hillbillys und Rednecks vollkommen schleierhaft. Als man Werner zum ersten Mal Befehlsgewalt gibt, staucht er einen Nachzügler so energisch zusammen, dass ihm im Nachspiel die eigene Selbstherrlichkeit um die Ohren fliegt. Er wird dann auch beim Beförderungsmarathon erst einmal übergangen.
Doch sind alle zusammen bloß Boyscouts in Militäruniformen, vergleicht man die milizförmig-semizivilen Nationalgardisten mit Marines.
Endlich geben die USA ihre Neutralität auf.
Die amtliche amerikanische Eintrittsmarke konserviert jene Schmerzwut, die der japanische Angriff auf Pearl Harbor auslöst. Werner kämpft allein an zwei Fronten. Seine in Europa gebliebene Familie durchleidet die nationalsozialistische Verfolgung im Spektrum zwischen Internierung, Ermordung und Überleben im Untergrund.
„Somit lebte ich für die Dauer des Krieges in zwei Welten.“
Werners Kummer und Angst paaren sich mit der Verschleppung seiner Naturalisierung. Sein Status als Alien, letztlich als ‚feindlicher Ausländer‘, separiert ihn von den Kameraden. Als das Regiment nach Nordirland verlegt wird, bleibt Werner entwaffnet und isoliert in einer „Sonderabteilung“ zurück. Im Alien Detachment werden auch Deutsche ausgegrenzt, die mit den Nazis „liebäugeln“.
Nach einer Befürchtung, die in den Vereinigten Staaten grassiert, geben sich deutsche Spione als geflüchtete Juden aus. Man ächtet und bedroht ausländische Soldaten.
Die Kontaktsperre endet schließlich. Erleichtert erlebt Werner seine Wiedereingliederung in den regulären Militärbetrieb. Gemeinsam mit Fred M. Hechinger, Wolf von Eckardt und Stefan Heym absolviert er einen Kurs im Military Intelligence Training Center, dem sagenhaften und „herrlich gelegenen“ Camp Ritchie in Maryland.
Gerade habe ich mich mit Stefan Heym beschäftigt. Anbei meine Besprechung einer seiner Erzählungen.
Sozialistischer Sandalenriemen
Mit Horst Brasch, der nach England exiliert war, teilte er das Schicksal der „falschen Emigration“. Stefan Heym kam aus dem großen Amerika in die kleine DDR. Da belebte er den sozialistischen Realismus mit Hollywood-Stilmitteln. Er spielte in der Brecht-Liga, geschützt von einem Idealismus, der ihm ständig Gründe gab, auf seiner unergründlichen Linie zu bleiben. Heym war weder Dissident noch SED-Sprachrohr. Was ihm die realsozialistische Ernüchterung nahm, holte er sich aus der Bibel zurück.
Gaius Marius (158/157 - 86 v. u. Z.) Feldherr, Heeresreformator, Staatsmann, sieben Mal Konsul (gegen das Gesetz), Vater des Vaterlandes, übrigens ein im römischen Herrschaftskontext kaum bedeutender Titel, bietet sich Stefan Heym als Held einer Geschichte mit dem Titel „Zwei Diktatoren“ an. Im Establishment Shot des Sandalenriemens nutzt Marius, deklassiert von einer befleckten Toga, die Freizeit im Kerker, um in Aufwallungen zu schwelgen, die ihm das Memorieren der Niedrigkeit seiner Feinde bescheren. Keinen hasst er mehr als den von ihm bis zur Staatsspitze angehobenen „Zaunkönig“ Lucius Cornelius Sulla. Doch Marius‘ Hass kommt gegen Sullas Neidverachtung nicht an. Auch bei dieser Olympiade siegt Sulla. Er wird die Leiche des Rivalen exhumieren lassen, um Marius die Totenruhe und seinem Grab die Denkmalwürde zu rauben. Sullas Schergen werden die sterblichen Überreste in einen Nebenfluss des Tiber, den Aniene, kippen.
Damnatio memoriae - Verdammung des Andenkens. Affektkontrolle gehörte zu Marius‘ und Sullas Zeiten noch nicht zum bürgerlichen Standardprogramm. Zumal für Marius war Selbstbeherrschung keine Tugend. Mit seiner Zügellosigkeit prahlte er bei Blutbädern und Abschlachtorgien.
Stefan Heym, „Gesammelte Erzählungen“, btb, 619 Seiten, 10,-
Der „Dritte Gründer Roms“ unterschritt mutwillig die patrizischen Distinktionsmarken. Er schmähte das Griechische, indem er es vermied. Er rülpste wohl auch gern nach Landknechtsart. Deshalb dichtete ihm Plutarch eine unbedeutende Herkunft an.
Sieben Mal Konsul, wie gesagt. In Heyms Geschichte steht das siebte Mal noch aus. Marius kommt frei, da man ihn für einen Krieg braucht.
Heym schildert den Tribun als einen Mann, der seine germanischen Feinde mehr liebt als seine römischen Freunde. Honi soit qui mal y pense. Heym hält der heimischen Herrschaft verdeckt den Spiegel vor. Zu allen Zeit verkleideten Schriftsteller:innen Kritik an ihren Verhältnissen mit historischen Kostümen. Nach dem Canceln seines Schauspiels „Die Umsiedlerin“ (die Uraufführung fand auf einer Karlshorster Studierendenbühne statt) erklärte Heiner Müller im kleinen Kreis:
„Mit Realismus geht es nicht.“
Auch Müller wählte den Umweg der Antike und einer mythisch-homöopathischen Gesellschaftsanalyse. Mit Heym teilte er die Grundsätzlichkeit des Einverständnisses mit dem Großen und Ganzen der kleinen DDR. Für beide blieb die DDR das bessere Deutschland über den Zeitraum der Republik hinaus.
Am Ende stellt „der Bauer Marius“ für Sulla keinen Gegner mehr dar. Marius stirbt vermutlich an einer Rippenfellentzündung, kurz nach einem fürchterlichen Massaker, dass er als (nach Rom zurückgekehrter) Verbannter initiiert.
„(Das) Verlangen nach Rache hatte Marius (so stark) ergriffen, dass er, nachdem die meisten seiner anwesenden Gegner erschlagen worden waren und ihm, im Chaos verständlich, zunächst keine weiteren Namen mehr einfielen, den Soldaten befahl, einfach jeden zu töten, dem er beim Herantreten nicht die Hand gab ... das Morden dauerte volle fünf Tage und Nächte.“ Wikipedia
Sulla beerbt Marius. Auf den Schultern des Titanen gelangt er auf den Thron. Einer immer noch gerissener als du. (Frei nach Robert Gernhardt) Darum geht es Heym. Er stellt Marius‘ mörderische Leidenschaften über den Intriganten-Hochmut des historischen Siegers. Er schreckt nicht vor misogynen Vergleichen zurück.
„Ich (Sulla) war wie eine Frau, die einen Mann quält … um sich an seinem Hass zu ergötzen.“
Aus der Ankündigung
Gestützt auf frühe Aufzeichnungen und sein Kriegstagebuch beschreibt Werner Angress (1920–2010) die ersten 25 Jahre seines Lebens und legt damit einen anschaulichen Bericht vom Schicksal einer Generation vor: Schulzeit im antisemitisch bestimmten Alltag in Berlin, prägende Jahre im jüdischen Jugendbund und im Auswandererlehrgut Groß Breesen, die beinahe gescheiterte Flucht der Familie und der Neuanfang in Amsterdam, Auswanderung in die USA, die Sorge um Eltern und Brüder in den Niederlanden nach der deutschen Invasion, freiwillige Meldung zur US-Army und Ausbildung zum Gefangenenverhörer, Landung als Fallschirmspringer in der Normandie und zeitweilige Kriegsgefangenschaft, Teilnahme am Kampf gegen die deutsche Ardennenoffensive, Befreiung des KZ Wöbbelin, Sortierung nach „Schafen und Wölfen“ unter den gefangenen Wehrmachtsangehörigen und SS-Männern und schließlich das Wiedersehen mit Mutter und Brüdern in Amsterdam.
Zum Autor
Werner Angress (1920–2010), als ältester Sohn einer bürgerlichen jüdischen Familie in Berlin aufgewachsen, emigrierte er 1939 in die USA. Als US-Soldat kämpfte er vom D-Day bis zum Kriegsende. In den USA lehrte er 35 Jahre als Professor für europäische Geschichte. Nach der Emeritierung zog Angress 1988 zurück nach Berlin. Herausgegeben von Norbert Kampe und Kai-Alexander Moslé.