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2022-08-08 08:16:43, Jamal

Geschnorrtes Spezialwissen

Adorno sagt

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Adorno sagt: Hölderlin habe den Betrieb der Welt als Konferenzschaltung begriffen und überall „Korrespondenzen“ gesehen. Wieder bringt Adorno Hölderlin in Anschlag, um auf Heidegger anzulegen, der „ohne Organ für die kollektive Kraft (sei), welche geistige Individuation überhaupt erst hervorbringt“.

Adorno zieht ein demoliertes Weltvertrauen aus dem Klang. Sein Verhältnis zu Bloch bestimmt die Namensaura nicht zuletzt. „Dunkel wie ein Tor, gedämpft dröhnend wie ein Posaunenstoß“ - das gestattet sich Adorno, um eine Zuneigung deutlich zu machen. Er rückt „Das Prinzip Hoffnung“, das noch in meiner Generation wie ein Aphrodisiakum wirken sollte, in die Nähe jener Versprechen, die ihm „schweinsledern“ gebundene „mittelalterliche Bücher“ machten, solange er als Kind das magische Nostradamuswissen in verstaubten Wohnungswinkeln vermutete.  

Bloch verhilft Adorno zu dem Gefühl, „hier sei die Philosophie dem Fluch des Offiziellen entronnen“.  

Musikalisches Bildgebungsverfahren

Thomas Mann weiß sich selten nicht „bei bestem Wohlsein“. Der Schriftsteller hebt sich als ein „von Gott langatmig geschaffener“ apollinischer Akteur hervor. Er steht mit siebzig fest im Fleisch. In Kalifornien feiert er, nach vielen Bestätigungen seiner Ausnahmestellung, nicht bloß die Magie des Erzählens, sondern überdies sich als Magier.

Im Doktor Faustus sei es ihm gelungen, so schallt es von europäischen Emporen des Feuilletons, einer erträumten Musik Romanrealität zu geben.

„Nach Noten bringt er uns bei - wahrhaftig nach Noten, wie der Tondichter sie setzt - was von der Welt zu halten ist.“ Das schreibt Alexander Moritz Frey 1947 in einer Schweizer Zeitung. Der Kritiker erkennt „profunde“ musikalische Kenntnisse des Autors.

Was aber ist die Wahrheit.

Thomas Mann schnorrte bei Adorno Spezialwissen. 

In Teterow am 16.11. 2021 © Jamal Tuschick

Der Faustkeil aus dem All

Am 9. August 1945 ist Nagasaki lediglich ein Ausweichziel. Wäre bei der Mission des Never-regret-Majors Charles W. Sweeneys alles nach Plan verlaufen, trüge Kokura gemeinsam mit Hiroshima die Menetekellast nuklearer Verdammung.

Kokura kursiert bald als Synonym für unverschämtes Glück. Der Herrensitz Kokura stammt aus dem frühen 17. Jahrhundert. Zuerst residierte Hosokawa Tadaoki, ein Daimyō der Edo-Epoche, in der Festung. Zur ästhetischen Aufwertung der Militärarchitektur zählt ein opulentes Kirschbaumensemble. Der Garten gehört zu den historisch prominenten Zielen der Blütenpilgerinnen und -pilger.

An einem Frühlingstag im Jahr 1612 duellierte sich Miyamoto Musashi mit Sasaki Kojirō auf Ganryū-jima, einer Insel in Rufweite der Burg. Zur Poesie der Begegnung zählt ein langer Riemen über psychologische Kriegsführung. Musashi, damals ein alter Hase von dreißig Jahren, ließ seinen Gegner warten, das heißt schmoren. Er trat mit einem Holzschwert an, geschnitzt aus einem Ruder. Sasaki kannte man als Meister extralanger Kaltwaffen. Musashis Gegenmittel mochte stumpf sein, es war indes noch länger als Sasakis legendäres Ōdachi Monohoshizao.

Sasaki trat unter dem Nom de Guerre Ganryū auf, bis ihn Musashi mit einem deklassierenden Gegenstand tötete.  

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Im Verlauf der kommenden Jahrzehnte werden Chronistinnen und Chronisten daran erinnern, wie ungerührt der erste Atombombenabwurf, kaum verschleiert als Test, in Amerika abgehandelt wird.

Siegerinnen und Sieger kennen keine Reue, und wenn doch, fliegen sie aus dem Verband. Das Beste, was ihnen dann noch passieren kann, ist eine solide Krankengeschichte. Ein Beispiel liefert der angeblich bereuende, sogenannte „Hiroshima-Pilot“ Claude Eatherly, der mit der Tat unmittelbar nichts zu tun hatte, wie ein Hauptakteur mit ehrabschneidenden Absichten wiederholt erklärte.

Traumatic after-effects

Der 9. August 1946 ist ein Freitag. Zum ersten Mal jährt sich der Abwurf von Fat Man auf Nagasaki. Über zwanzigtausend Amerikanerinnen und Amerikaner wirken in der zugrunde gerichteten Stadt. Im Jargon der US-Militärbürokratie demilitarisiert und demokratisiert die Besatzungsmacht eine von traumatic after-effects geplagte Bevölkerung. Zu den heilenden Maßnahmen zählt die Unterweisung in amerikanischem Volkstanz. Ich komme darauf zurück.

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Bei vielen Zeitgenoss:innen* des antiken Atomalarms nach Fünfundvierzig geht es ab einem bestimmten Punkt stets um die Bombe, so wie Stanley Kubrick sie im Strangelove Modus sieht. Die apokalyptische Zuspitzung vollzieht sich im Verein mit dem Wettlauf zum Mond. 

Kinetische Skulpturen

Das Menetekel von Nagasaki verschmilzt in meiner Erinnerung mit dem Welterklärungsernst der Schwarzweiß-TV-Ära. Alte weiße Männer, hohepriesterlich mahnende Gegenfiguren zu den ruchlosen Reiter:innen* der Apokalypse, elaborierten in durch- und eingängiger Heller als tausend Sonnen*-Diktion, wie furchtbar es sei, dass die Menschheit sich, also wir uns mit Nuklearwaffentechnologie selbst auslöschen konnten. Die Kreator:innen* des atomaren Faustkeils litten angeblich schwer an den Folgen ihrer Genialität.

*„Robert Jungks Buch von 1956 ist eine Warnung vor der Zerstörung der Erde - und heute ein Klassiker der politischen Literatur, der eine ganze Generation geprägt hat.“ Google Books

Wer mit Gott* in ein Konkurrenzverhältnis tritt, kommt über Frankenstein nicht hinaus, hieß es in den Mattscheibenoffenbarungen.

Wie soll man auf dieser Mea-Culpa-Folie den Umstand bewerten, dass der Physiker, Harvard-Absolvent und (damals zukünftiger) Nobelpreisträger Norman Foster Ramsey im japanischen Inferno-Monat August die für das zweite Ziel bestimmte (als Fat Man deklarierte) Ladung signierte?

Ich weiß nicht mehr, ob die Auguren Yucatán ins Spiel brachten. Ob Yucatán als Synonym für ein Megafauna-Massensterben im kulturellen Gedächtnis der 1960er Jahre etabliert war.

Die mexikanische Halbinsel zwischen Golf und Karibik punktet mit strandnahen Maya-Ruinen und einem gigantischen Krater; in die Erde getrichtert von einem Kometen, der vor 66 Millionen Jahre schlagartig die Herrschaft der Dinosaurier stoppte. 

Es ist nicht schwer, sich den Kometen als Faustkeil aus dem All vorzustellen; als Himmelshammer, den Tyrannosaurus Rex nicht auf der Liste hatte.

Irgendwer erläuterte die Ungleichzeitigkeit zwischen menschlichem Bewusstsein und technologischer Entwicklung als der menschlichen Krux schlechthin. Mental säßen wir immer noch auf den Bäumen. Die Koryphäen zogen so die abstrakteste Erklärungslinie. Der von Entwicklungshemmnissen auf schiere Gewalt zurückgeworfene, kaum reformierbare Sieger im Wettstreit der Hominini, der anatomisch moderne Mensch, wird von der eigenen Findigkeit ausgebootet. Er hält nicht Schritt mit dem eigenen Fortschritt.

Das war die Deutung auf dem Hochseil des Anthropozäns. In der bloß epochalen Dimensionierung begriff und pädagogisierte man die nach wie vor singulären Kernwaffeneinsätze als Marken einer großen Zeitenwende. In dieser Rechnung zählte man bis und ab Hiroshima/Nagasaki.

Ergiebige Bildfundstelle

Entgegen der naheliegenden Vorstellung von einer Atombomben-Depression, einem kollektiven Kater, einer, sämtliche Glieder der Sieger:innen*macht ergreifenden Scham, gab es in Amerika nach Hiroshima/Nagasaki eine Out-of-the-bottle-Euphorie. Frauen ließen sich ihre Haare in die Form von Atompilzen bringen. Konditorinnen und Konditoren kreieren Atompilztorten. Der artifizielle Fungus avancierte zur Signatur und Designvorgabe im Bedeutungszenit. Nie zuvor im 20. Jahrhundert erschienen sich die Vereinigten Staaten großartiger als im Jetzt der konkreten Nachkriegszeit.

Der Militärisch-Industrielle-Komplex war eine touristische Attraktion. Das 1951 eingerichtete - am 27. Januar mit einer Parade vor dem ersten Abwurf eingeweihte - Nevada Test Gelände (circa hundert Kilometer nordwestlich von Las Vegas) zog Massen an. Tausende setzten sich freiwillig dem Fallout aus. In der Hochzeit von John Wayne und John Ford lieferte die Gegend idealtypische Hollywood-Westernkulissen. Auch als Science-Fiction-Mars funktionierte die Desert Depression.

Radioaktive Partys waren der letzte Schrei. Im Mafia-Eldorado Las Vegas hielt man die Bombe für ein Geschenk des Himmels. Es kursierte eine Art Strahlungsexorzismus. Ein besonders strahlendes Showgirl trat als „Miss A-Bomb“ auf. In einer hoch aufladbaren, superikonografischen, in einem endorheischen Becken gelegenen Gegend namens Jean Dry Lake konservierten sich Voraussetzungen für jüngere Leuchtzeichen der Traumindustrie. Szenen aus Casino, Fear and Loathing in Las Vegas und The Hangover wurden auf dem Landschaftshotspot gedreht; so als führe die Verfolgung bestimmter kultureller Spuren exakt zu dieser Naturmarke. Als gäbe es vor Ort eine ursprüngliche Beschriftung, die zu Komplementärtexten einlädt. Heute wirkt die Land Art Installation Seven Magic Mountains als Signal der extrem ergiebigen Bildfundstelle.