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Auf einem Schauplatz Schwarzen Stolzes, einer Bürgerhochburg, die ihren Charakter nicht dem Zufall, sondern den - im Widerstand gegen die weiße Anmaßung formulierten - Absichten grandios vorausschauender, dynastisch verbundener, und nach einem rituellen Geheimrezept in die Welt gesetzter Bestattungs- und Bauunternehmer verdankt, ergibt sich schließlich die Komplikation, dass der weiße Sohn eines Schwarzen Vaters zum Doyen der Großartigkeit würde, ließe man den Dingen ihren Lauf.
„Mit Eintritt des Widderpunktes muss fünf Tage lang Penetration erfolgen, und der Sohn wird geboren, wenn die Sonne untergegangen ist.“
Nach fünf Generationen sich zum Verwechseln ähnlich sehender, Schwarzer Luther Nedeeds, erwartet einen weißen Luther die Initiation. Auch er ist den Ahnen aus dem Gesicht geschnitten. Trotzdem zweifelt der amtierende Großmeister seine Vaterschaft an.
„Dieses Kind konnte unmöglich sein Sohn sein.“
Freilassungspapiere für ein Baby
Luther Nedeed V. bezichtet seine Frau der Untreue. Er zwingt sie zu einem Umzug in den Keller. Da beklagt sie den Tod ihres Kindes. Die Gefangene sucht Trost in einer antiken Bibel. Sie bemerkt handschriftliche Aufzeichnungen aus dem Jahr 1837. Die vom Gründervater der Dynastie gekaufte Gattin Luwana Packerville …
„Wie dumm bin ich gewesen, zu glauben, mein Verkauf an ihn sei nur eine Formalität.“
… dokumentierte ihre Rechtlosigkeit. Luther stellte in einem notariellen Akt „die Entlassung seines Sohnes aus dem Sklavenstand fest“, während er Luwana darin beließ.
Gloria Naylor, „Linden Hills“, Roman, aus dem Englischen von Angelika Kaps, Unionsverlag, 393 Seiten, 26,-
Die Gefangene des fünften Luthers entdeckt Konserven aus dem 19. Jahrhundert und Ringbücher voller Rezepte, die eine Evelyn Creton Nedeed in den 1890er Jahren zusammengetragen hatte. Priscilla Nedeed, geborene McGuire, zerbricht im Verlauf der Sichtung älterer Zeugnisse - in einer rigiden Ordnung, einem starren System - zerstörter Frauenleben.
Priscillas Vorgängerinnen waren mit der Erwartung in das Herrenhaus von Linden Hills gezogen, ihre Spielräume als Ehefrauen in Aushandlungsprozessen mit Männern zu bestimmen, die nicht nur stur das Programm ihrer Väter reproduzierten; eine uralte, abweichungsresistente, frauenfeindliche Alltagslitanei.
Die Angst eines fragilen Gottes
Während die gepeinigte Priscilla dem grausamen Verhaltensmuster jedes Nedeeds auf die Spur kommt, erleidet Xavier Donnell die Nöte eines „fragilen Gottes“ im zehnten Stockwerk der General Motors-Kommandozentrale. Seinen Status bezeugen „Flauschteppiche und Eichenpaneelen“, vor allem jedoch der „Waschraum für Führungskräfte“. Xavier thront turmhoch über den blutsbrüderlich befreundeten Asphaltliteraten Willie ‚White‘ Mason, einst der dunkelste Junge seiner High School, und Lester ‚Shit‘ Tilson, Enkel einer Streitbaren, die schon als Heranwachsende Grandma genannt wurde, Sohn der Frau mit dem härtesten Haken im Schwarzen Mittelstandseldorado Linden Hills, und Bruder von Xaviers großer Liebe Roxanne.
Im Verlauf des 20. Jahrhunderts werden Nachkommen der ersten Nutznießer:innen des Nedeed’schen sozialreformerisch eingekleideten Antizipationsvermögens zu Gegner:innen der Visionäre. Eine Galionsfigur des Schwarzen Widerstands gegen Schwarze Verbürgerlichungspolitik ist Grandma Tilson. Sie will in ihren ursprünglichen Verhältnissen vergreisen. Den Statusstil der Schwarzen Bourgeoisie lehnt sie ab. Doch hält auch Mamie Tilson nicht auf, was der weißen Nachbarschaft sauer aufstößt. Marmorne Pools in japanischen Gärten, die von Schwarzen Villenbewohner:innen belebt werden, garantieren ein weltweites Interesse an Linden Hills.
Die Dichter schlagen sich durch, durchaus mit romantischen Motiven, aber eben nicht nur. Roxanne quält Xavier ob der Macht, die sie über ihn besitzt. Sie hat ihm seine Killergemütlichkeit geraubt; die Seelenruhe eines Schwarzen Panthers in Bestform. Dazu bald mehr.
Ein mir bis eben unbekanntes Wort: Avoirdupois.
Aus der Ankündigung
Linden Hills – wer hier lebt, hat es geschafft. Elegante Häuser und perfekt gepflegte Rasen säumen die acht Ringstraßen, die sich den Hügel hinabwinden. Lester und sein bester Kumpel Willie, beide verflucht knapp bei Kasse, verabscheuen die noble Klientel, reinigen aber für ein paar Dollar ihre Auffahrten und Pools. Vorbei an glänzenden Fassaden und übertünchten Rissen arbeiten sie sich Straße für Straße den Hügel hinunter. Bis ganz nach unten, wo Luther Nedeed, das Epizentrum der Macht, ein finsteres Geheimnis hütet. Gloria Naylor enthüllt, wie die Menschen für den American Dream mit ihrer Seele bezahlen und wie das funkelnde Versprechen eines besseren Lebens in schneidende Niedertracht zersplittert.