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2022-11-13 11:46:38, Jamal

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Schon als Halbwüchsige verdingt sich Vroni als Magd. Beizeiten heiratet sie den kaltherzigen Bauern Grasegger, der einen „einsamen Hof auf dem Geißschädel“ bewirtschaftet. In einer eiskalten Nacht kommt er so blau aus der Kneipe, dass ihn der Heimweg überfordert. Er erfriert zur Erleichterung seiner Witwe. Vroni begegnet bald dem Maler Wilhelm Leibl, der genug Einfühlungsvermögen besitzt, um der Witwe nicht zu kondolieren.

Oberbayrisches Empowerment um 1886

Einst schenkte ihr der bayrische König eine Goldmünze. Das fällt Vroni Grasegger ein, als - nach Ludwigs Tod am 13. Juni 1886 - zu seinen Ehren die Glocken läuten. In einer ausschweifenden Reminiszenz sieht sie sich als Rotznase, barfuß und verdreckt, im Dorf ihrer kläglichen Kindheit. Der Potentat passiert das Zufallspublikum in seiner Kutsche. Ihn rührt ein elendes Geschöpf am Wegrand. Er gebietet dem Kutscher zu halten und lässt sich majestätisch zu Vroni herab. Sie registriert „traurige Augen (in einem) käsigen Gesicht“. Die Beschenkte wird umgehend zur Gejagten. Die Dorfjugend will Vroni um das Geldstück bringen, doch entgeht sie ihren Verfolger:innen.

Susanne Betz, „Heumahd“, Roman, C. Bertelsmann Verlag, 316 Seiten, 22,-

Die Autorin verpasste ihrer Heldin eine Biografie im oberbayrischen Werdenfelser Land. Vroni bewährt sich in der Gegend vom Geißschädel bei Garmisch-Partenkirchen. Sie stammt aus dem fiktiven Flecken Loisbichl. Der Name spielt mit dem Isarzufluss Loisach, der dem Loisachtal seinen Namen gibt. 

Schon als Halbwüchsige verdingt sich Vroni als Magd. Beizeiten heiratet sie den kaltherzigen Bauern Grasegger, der einen „einsamen Hof auf dem Geißschädel“ bewirtschaftet. In einer eiskalten Nacht kommt er so blau aus der Kneipe, dass ihn der Heimweg überfordert. Er erfriert zur Erleichterung seiner Witwe. Vroni begegnet bald dem Maler Wilhelm Leibl, der genug Einfühlungsvermögen besitzt, um der Witwe nicht zu kondolieren.

„Leibls geschulter Blick entdeckte allererste Abdrücke von Mühsal und körperlicher Erschöpfung.“

Leibls Porträt einer Bäuerin inspirierte Betz zu ihrem Bild von Vroni. Die Autorin hebt den Trotz als markanten Wesenszug hervor. 

Nun tritt Vroni als Hofchefin auf. Sie versorgt die Ziehtochter Rosl und ein dreibeiniges Reh. Rosl lebt mit einer Behinderung. In Vronis Alltag scheint kein Platz zu sein für einen „rheinischen Katholiken“, der Gott in der Natur sucht und keinen Flecken schöner findet als das Notrevier der Bäuerin, die er vom Fleck weg zu malen beabsichtigt.

Leibl besticht sie mit einem Beweis seiner Beobachtungsgabe. Ihm ist nämlich Vronis Kurzsichtigkeit nicht entgangen. Indem er sie mit einer Brille versorgt, bietet er der Zurückhaltenden und Schamvollen eine Chance, die urbane Exzentrik des Künstlers nicht in der konventionellsten Manier abweisen zu müssen. Die beiden erlauben sich die Zärtlichkeit einer Freundschaft, wie sie in Vronis Sphäre in keiner Ehe vorgesehen ist. Darüber hinaus kommen sie füreinander nicht in Betracht.

Vroni fällt es nicht leicht, frei zu bleiben. Der Pfarrer bedrängt sie, er droht beinah mit Enteignung, sollte sich die Bäuerin gegen eine neue Ehe in naher Zukunft sperren. Die Junggesellen der Gegend werben so derb und einfältig, wie sie alles im Leben tun. Vroni graut davor, ihr Schicksal in die Hände eines dieser Galane/Grobiane zu legen.

Leibl weckt in ihr den Sinn für engagierte Zeitgenossenschaft. Vroni sucht progressive Lösungen auch im Rahmen einer therapeutischen Förderung ihrer Ziehtochter. Sie bricht aus dem Trott aus, wagt Verstöße gegen die überkommene Ordnung. Vroni empowert sich. 

Aus der Ankündigung

Ein bildmächtiger Roman über das einfache Leben einer eigensinnigen Bergbäuerin - so kraftvoll und authentisch wie »Herbstmilch« Als König Ludwig II. 1886 im Starnberger See ums Leben kommt, sind die Menschen im Werdenfelser Land schockiert. Dass ihr Ehemann in einer eiskalten Nacht erfriert, empfindet Vroni Grasegger dagegen als großes Glück: Endlich ist sie nicht mehr seinen Misshandlungen ausgeliefert. Optimistisch übernimmt sie das Sagen auf dem einsamen, gegenüber dem Karwendel gelegenen Bergbauernhof und die Sorge für die … Stieftochter Rosl. (Rosl hat eine Behinderung.) Harte Arbeit bei der Heumahd und Missernten bringen Vroni an ihre Grenzen, ebenso wie der Druck aus dem Dorf, dass sie wieder heiraten soll. Da begegnet sie dem Maler Wilhelm Leibl, den eine Schaffenskrise in die Berge führt – und auf Vronis Hof. Zwischen dem homosexuellen Künstler und der jungen Bäuerin entwickelt sich eine ungewöhnliche Freundschaft. Als Leibl dann noch einen englischen Arzt und Alpinisten mitbringt, verbreitet sich in dem kurzen Bergsommer eine ungekannte Leichtigkeit. Und Vroni schöpft vielfältige Hoffnungen …  Ein bildmächtiger Roman über eine inspirierende Freundschaft und das einfache Leben einer Bergbäuerin – so kraftvoll und authentisch wie »Herbstmilch«.

Zur Autorin

Susanne Betz wurde 1959 in Gunzenhausen geboren. Sie studierte Geschichts- und Wirtschaftswissenschaften in Deutschland, den USA und Kolumbien. Danach arbeitete die promovierte Historikerin bei verschiedenen deutschen und amerikanischen Tageszeitungen und Zeitschriften. Seit 1993 ist sie Hörfunkredakteurin in der Abteilung Politik des Bayerischen Rundfunks. Sie lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in der Nähe von München. In ihren historischen Romanen macht sie auf einzigartige Weise Geschichte lebendig.