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“There is fiction in the space between/You and everybody.” Tracy Chapman
Fallout Ekstase
Während des Krieges übernahmen Frauen an Werkbänken und Fließbändern ‚untypische‘ Aufgaben. Nach 1945 erleben sie ihre Verdrängung aus den Sphären der Produktionsprozesse so wie gesellschaftliche Rekalibrierungen nach Maßgabe überkommener Rollenstandards. Auch die Physikerin Rosalind ‚Roz‘ Porter verliert ihre Position in der Herzgegend des Manhattan-Projekts. Fünf Jahre nach Kriegsende arbeitet Rosalind in der Schmuckabteilung von Marshall Field & Company - einer Antebellum-Gründung. Die Deklassierung greift in sämtliche Register; mit ihrem Verkäuferinnengehalt kann sie sich ihr Appartement am Lake Shore Drive kaum noch leisten.
Jennie Fields, „Die Unteilbarkeit der Liebe“, Roman, aus dem Amerikanischen von Veronika Dünninger, Penguin Verlag, 416 Seiten, 18,-
Der Originaltitel „Atomic Love“ trifft präzise die Stimmung der Romangegenwart. „Bomb Partys“ sind der letzte Schrei in Amerika. Man serviert „Atomic Drinks“. Konditor:innen kreieren Atompilztorten. Nuklearwaffentests in der Wüste von Nevada gelten bald als touristische Attraktionen. Tausende werden sich ebenso freiwillig wie ekstatisch dem Fallout aussetzen.
In der Hochzeit von John Wayne und John Ford liefert die Gegend idealtypische Hollywood-Westernkulissen. Auch als Science-Fiction-Mars funktioniert die Desert Depression. Im Mafia-Eldorado Las Vegas hält man die Bombe für ein Geschenk des Himmels. Ein besonders strahlendes Showgirl tritt als „Miss A-Bomb“ auf.
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Thomas Weaver, „ein Typ wie Gary Grant“, macht Rosalind, „sie könnte Hedy Lamarrs Schwester sein“, nach vier Jahren Liebes-Abstinenz wieder Avancen. Die Manöver des unzuverlässigen Verehrers lösen Ablehnung, Verwirrung und Sehnsucht aus. Thomas war Rosalinds Kollege im Metallurgical Laboratory, dem ersten US-amerikanischen, als Institut der Universität von Chicago 1942 im Keller eines Football-Stadions errichteten und zuerst von Richard L. Doan geleiteten Kernreaktor. Das United States Army Corps of Engineers übernahm die auch unter dem Codenamen Development of Substitute Materials firmierende Anlage. Die Nobelpreisträger Arthur Holly Compton und Enrico Fermi zählten zu den berühmtesten Baumeistern der ersten Atombombe.
Vorbild für Rosalind ist Leona Woods (L. Woods Marshall, L.W.M. Libby). Als einzige Wissenschaftlerin verstärkte die Physikerin das Team um Compton und Fermi und übrigens auch um John A. Wheeler.
Thomas lebte vorgeblich in „den Hügeln und Tälern seiner Gleichungen“. In der fiebernd forschenden Gemeinschaft der besten Köpfe seiner Generation musste er sich ständig beweisen.
Rosalind träumte stattdessen von der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Sie bedenkt ihren Anteil am Grauen: „Der Zögling ihres Manhattan-Projekts (zerstäubte) … stillende Mütter, kleine Mädchen, die Puppen an sich drückten, alte Frauen, die Tee einschenkten, Männer, die zu betagt waren, um zu kämpfen.“
Am 6. August 1945 fällt Little Boy auf Hiroshima. Siebzigtausend Menschen sterben in der Unmittelbarkeit des Detonationsgeschehens. Der Atomblitz sorgt für bizarre Formate. Seine unfassbare Helligkeit, das apokalyptische Licht, die grausame Illumination stiftet einen neuen Begriff: Pikadon. Bald wird dem Wort für eine neue Erfahrung ein neues Wort für eine alte Erfahrung wie ein verspäteter Zwilling folgen: Kokura.
Hundertsechzigtausend Tote zählt man im weiteren Verlauf, während das schleichende Sterben sofort beginnt.
Drei Tage später erhöhen die Vereinigten Staaten den Leidensdruck auf die japanische Zivilbevölkerung. Im Epizentrum der zweiten nuklearen Verwüstung liegt Nagasakis Nordend Urakami. Der Bezirk bildet das historische Zentrum der katholischen Diaspora. Man nennt ihn das Rom des Ostens. Die Vorfahren der Minderheit trotzten massiver Unterdrückung.
Die Voraussetzungen für das nukleares Armageddon schufen auch Chemikerinnen und Physikerinnen wie Anne McKusick, Lilli Hornig, Colleen Black, Isabella Karle, Kathleen Maxwell und Margaret Broderick.
Rosalinds Laufbahn weicht ab von den Karrieren jener, die als Elite-Debütantinnen zu Geheimnisträgerinnen gemacht wurden, ohne ihre wohlbestallte Jugendlichkeit zu verlieren.
“I looked like any other student at the University of Chicago. I still wore pigtails, and I was twenty-three at the time.” Isabella Karle, Quelle: women-scientists-manhattan-project
Das ist Schnee von gestern im Jetzt des Geschehens. Das FBI überwacht die abgehängte Wissenschaftlerin. Der hünenhafte Agent Charles Szydlo beschattet die Zielperson nicht nur. Er begehrt sie auch. Er denkt an ihren „Honigduft, wenn er nachts wach liegt“.
Rosalind tappt in eine Romeo-Falle. Sie lässt sich auf Thomas ansetzen, dem Hochverrat zur Last gelegt wird. Gleichzeitig will sie, dass er sich nach ihr verzehrt. Die Mission kommt erst einmal an zweiter Stelle. Dazu bald mehr.
Aus der Ankündigung
Eine mutige Wissenschaftlerin, die sich ihren Platz in einer Männerwelt erkämpft. Und ein gefährliches Geheimnis, das für immer ihr Schicksal bestimmt.
Chicago 1950: Die mutige und hochtalentierte Wissenschaftlerin Rosalind ist eine der wenigen Frauen, die im Zweiten Weltkrieg am Bau der Atombombe beteiligt waren. Doch die unvorstellbaren Auswirkungen ihrer Arbeit brachen ihr damals das Herz – ebenso wie die Trennung von ihrer großen Liebe, ihrem Kollegen Thomas. Jahre später hat sie sich ein neues Leben aufgebaut, aber da steht Thomas plötzlich wieder vor ihrer Tür. Warum? Was will er? Gleichzeitig kommt das FBI auf Rosalind zu: Der attraktive Agent Charlie verlangt, dass sie ihm geheime Informationen über Thomas besorgt. Denn das FBI hält Thomas für einen Spion. Rosalind muss sich ein für alle Mal entscheiden, auf wessen Seite sie steht. Sie liebt Thomas noch immer, doch auch zu Charlie fühlt sie sich hingezogen …
Fesselnd und hochemotional erzählt Jennie Fields von einer unvergesslichen Heldin, die ihrer Zeit weit voraus ist – und die sich entscheiden muss zwischen ihrem Herzen und ihrem Gewissen.
»Eine elektrisierende Liebesgeschichte, die jene gefährliche Energie freilegt, die jeder echten Verbindung zwischen zwei Menschen innewohnt. Atemberaubend!« Delia Owens, Autorin von »Der Gesang der Flusskrebse«
Zur Autorin
Jennie Fields stammt aus Chicago. Das Schweigen zweier Frauen aus ihrer Familie hat sie zu diesem Roman inspiriert: Ihre Mutter arbeitete nach dem Zweiten Weltkrieg in der Krebsforschung, doch als sie heiratete, gab sie ihre Karriere in der Wissenschaft auf – wie es zur damaligen Zeit für Frauen üblich war. Sie hat ihre Arbeit immer vermisst.
Die Cousine ihrer Mutter war in einem geheimen Labor an der Universität von Chicago tätig. Doch welchen Aufgaben sie dort genau nachging, darüber hat sie nie auch nur ein einziges Wort verloren. Die Familie erfuhr erst viel später, dass sie am Bau der Atombombe beteiligt gewesen war – ihren Geheimhaltungsschwur brach sie erst lange nach Hiroshima.