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„Ich wünschte, nie nach Frankreich gekommen zu sein, aber ich will bleiben.“ Konrad Engelbert Oelsner in einem Brief vom 28. August 1792
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Interessant bleibt, dass Oelsner in der verdichteten Ungleichzeitigkeit seiner Gegenwart Bewegungen ausmacht, die der Nachwelt kaum in Fußnoten überliefert wurden.
© Jamal Tuschick
Narrativer Hausgebrauch
„Das Misstrauen schielt aus aller Augen, niemand wagt seine Meinung zu sagen.“
So beschreibt Konrad Engelbert Oelsner die Pariser Verhältnisse im Revolutionsjahr 1791. Exekutionen dienen dem Entertainment des Mobs. Man laternisiert nach Kräften.
Wer fraternisiert, wird laternisiert. Wiener Volksmund in Lynchlaune
Die Magistralen der Kapitale sind verwaist. Der Chronist begegnet mutwilligen Konterrevolutionären: „Sie schicken gleichsam dem Scharfrichter ein Cartel zu. Oder liegt blutige Anarchie in den Absichten einer verstellten Unvorsichtigkeit?“
Die Gegenseite frohlockt. Der Affe ihrer Mordlust, weiß, wo er seinen Zucker herkriegt. Auch die Reiter der Restauration spekulieren auf perverse Lustgewinne. Oelsner fürchtet eine bewaffnete Rückkehr der Royalisten. Er berichtet vom Terror abgetakelter Aristokraten.
Paul Virilio erklärt: „Der Terrorismus erinnert daran, dass Krieg ein Delirium … des Blutrauschs“ ist. Siehe „Krieg und Kino. Logistik der Wahrnehmung“.
„Aus den Vorfällen von Philippeville und Maubeuge, wo den … zerrissen wurden, lässt sich schließen, welche Frevel zu verüben die siegenden Emigranten bereit sind.“
„Der Akt des inneren Krieges regrediert zur Magie, zum faszinierenden Schauspiel der Opferung … das zu den alten Religionen und Stammesritualen gehörte … Der Krieg kann sich nicht lösen vom magischen Schauspiel.“ Paul Virilio
Durchsichtiger Mechanismus
Bei anderer Gelegenheit begrüßt Oelsner den Furor: „An Menschen fehlt es nicht, aber leider an Gewehren.“
Die ganze Geschichte, wie wir sie in Bausch und Bogen für einen Gewinn unter dem Banner der Freiheit zu halten gelernt haben, wogt bei dem Zeitgenossen mächtig hin und her. In Paris macht man Hausdurchsuchungen, um „innere Bundesgenossen des äußeren Feindes“ zu entwaffnen. Um den 30. August 1792 „stürzt ein junger Mensch“ namens Jean-Marie Girey-Dupré (1769 -1793) den „rebellischen Demagogen“ Robespierre, während er selbst von Munizipal-Offizieren der Nationalversammlung bedrängt wird. Der Journalist Girey-Dupré soll Abbitte leisten. Er weigert sich in einem Tumult. Er stirbt dann noch vor dem Berühmten, der den Sturz, von dem Oelsner spricht, eher gut übersteht. Die Zeit von Robespierre ist noch nicht abgelaufen. Interessant bleibt, dass Oelsner in der verdichteten Ungleichzeitigkeit seiner Gegenwart Bewegungen ausmacht, die der Nachwelt kaum in Fußnoten überliefert wurden.
Desillusionierung gepaart mit Hoffnung: das ist Oelsners Zustand als Chronist. Siehe „Luzifer oder Gereinigte Beiträge zur Geschichte der Französischen Revolution“. Wir müssen uns beeilen, um den Anschluss an Sigmund Freuds zu Beginn des XX. Jahrhunderts erstmals publizierter Psychopathologie des Alltagslebens nicht zu verpassen. Hundertzehn Jahre nach Oelsner untersucht Freud Falltüren und Geheimtreppen in Sprechakten.
Hier erkennt Freud einen „durchsichtigen Mechanismus“.
Ein deutscher Italienreisender bedarf eines neuen Riemens zur Sicherung seines Koffers. Er schlägt nach. Das Wörterbuch liefert ihm coreggia. Er baut sich eine Eselsbrücke zu dem Maler Correggio. Kaum ist er beim Sattler, überkommt ihn das Verlangen nach una ribera - spanisch für Flussufer.
Zwar verfehlt er so das gesteckte Ziel, doch arbeiten die Instanzen dicht an der Vorgabe. Er wollte sich an den Namen eines Malers halten. Unterwegs verirrte er sich zu einem anderen Malernamen, Jusepe de Ribera, der zudem den Riemen anklingen lässt.
Ich finde das sehr geschmackvoll arrangiert. Wer hat jetzt noch so viel auf der Pfanne. Die Psychoanalyse ist ein Bildungsvergnügen. Einst war man so unterhaltsam neurotisch. Vielleicht hob das sogar den Sex. Unter der Rubrik „unbewusste Geständnisse“ sortiert Freud, den Kollegen Wilhelm Stekel (1868 - 1940) ins Boot holend, etwas Herausgerutschtes. Stekel erzählt von seinem ausdauernden Dienst bei einer wohlhabenden Kranken. Als sich die Rekonvaleszentin soweit wiederhergestellt wusste, dass ihr eine Kur in Abbazia angezeigt erschien, malte ihr der Arzt heuchlerisch „die Wonnen des Aufenthalts aus“. Er schloß mit dem verräterischen Nachsatz: „Wenn Sie, wie ich hoffe, das Bett (so) bald nicht verlassen werden.“
„Ein Professor in seiner Antrittsvorlesung: ‚Ich bin nicht geneigt (statt geeignet), die Verdienste meines … Vorgängers zu schildern.‘“
Zu einer Basedow-Patientin: „Sie sind um einen Kropf (statt Kopf) größer als …“
Eine resolute Gattin über ihren leidenden Mann, der vom Arzt gerade einen Diät-Dispens erhalten hat. Anstatt seinen Vorlieben fürderhin zu frönen, erwartet ihn eine willkürliche Reglementierung: „Er kann essen und trinken, was ich will.“
Die Gleichsetzung der Dekoration einer Auslage mit einer Décolletage würde heute schon deshalb nicht mehr funktionieren, weil in Deutschland kein Mensch mehr Décolletage sagt.
Narrativer Hausgebrauch
Ein ganzer Roman steckt in einem Versprechen rund um Halbschuh und Hauskleid. Durch weitgehend heruntergelassene Rouleaux (Originalschreibweise) bemerkte eine Dame die „schönen … Halbschuhe“ eines Mannes, den sie nicht empfing; angeblich deshalb nicht, weil jener nicht wissen sollte, dass die Hausherrin wieder in der Stadt war. Der Analytiker hält die Begründung für fadenscheinig. Er vermutet, dass die Ausflüchtige „nicht in der Toilette war, um Besuch zu empfanden“. Freuds Annahme, die Frau habe sich in ihrem Hauskleid nicht präsentabel gefunden, schlägt sich in einem Versprechen nieder. Er will etwas über die Halbschuhe sagen, sagt aber Hausschuhe; besetzt von der Hauskleid-Vorstellung. In der „Beseitigung“ von Halb in Halbschuhe manifestiert sich die halbe Wahrheit, mit der Freud glaubt, vorlieb nehmen zu müssen, und so auch das Bild einer - nach den Begriffen der Zeit - halb angezogenen Bürgerin. Die erotische Mousse und Message als zum verheimlichten Hauptertrag avancierten Deutungsbeifang soll uns nicht entgehen.
Da ich Freud nichts unterstellen möchte, übernehme ich einfach die Szene für de narrativen Hausgebrauch.