Cultural Appropriation
Die strategischen Verknüpfungen von Reichtum, Luxus und maritimer Idylle zeitigten ihre Höhepunkte vor dem Zweiten Weltkrieg. Die ausgeschlossenen Einheimischen wurden abgespeist, während sich die weiße High Society im Royal von „der Jagd in Südafrika ausruhte“. Den Honolulu-Hype mit all seinem auf Hawaiianisch getrimmten Nippes lesen wir heute als Cultural Appropriation.
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Amerikanischer Funktionskern
In dem 1927 eröffneten Royal Hawaiian Hotel* traf die US-Elite bis zum Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg zumindest beinah ebenbürtige Nicht-Nordamerikaner:innen. Die Du Ponts, Gettys, Kennedys, Sugar-King-Spreckels‘ und Chryslers arrangierten sich mit der Gesellschaft von „Schaftzüchtern aus Australien, Teefarmern aus Ceylon und kubanischen Zuckerfabrikanten“.
*“A classic and unforgettable epicurean experience awaits you.” Quelle
Das Hotel avancierte zum Wahrzeichen der Insel Oʻahu. Es diente Franklin D. Roosevelt als Residenz (Western White House) und allen möglichen Filmen als Kulisse. Joan Didion sah da im Fernseher „Robert Kennedys Beerdigung … und die ersten Berichte über das Massaker von My Lai“. Am Waikiki-Strand des Luxusresorts las sie noch einmal alles von Orwell.
“Waikiki reframes your point of you.” Quelle
Joan Didion, „Das weiße Album“, Reportagen, aus dem Amerikanischen von Antje Rávik Strubel, Ullstein, 22.99 Euro
Ein scheidungsbereites Ehepaar in Erwartung einer Sturmflut. Die Konstellation stiftet den Spannungsbogen in Didions persönlichstem Bericht aus dem Bauch des Royal Hawaiian Hotels. „Auf den Inseln“ dokumentiert zunächst Szenen aus dem Summer of Love von 1969. Die „langen lichtdurchlässigen Vorhänge“ wehen im Passatwind.
„Mein Mann ist hier und meine dreijährige Tochter. Sie ist blond und barfüßig, ein Paradieskind …“. Wegen eines Erdbebens auf den Aleuten darf sie nicht an den Strand.
Die avisierte Monsterwelle kommt nie in Waikiki an.
Die ausgebliebene Naturkatastrophe wirft das Paar auf seinen Streit zurück. Das private Unglück nimmt den ganzen Raum ein. Die Konversation wird mühsam.
Didion schildert sich selbst, als eine von allen Ankern gerissene Zeitgenossin. Beinah pathetisch klärt sie ihr Verhältnis zu einer wüsten Gegenwart. Die Autorin steckt in einer Krise, sie ist „eine vierunddreißigjährige Frau mit langem glattem Haar, einem alten Badeanzug und schlechten Nerven“.
Ein Jahr später erweitert Didion ihren historischen Horizont auf dem geharkten Sandstreifen, der allein den Hotelgästen vorbehalten bleibt. Man sitzt da außerordentlich manierlich; das öffentliche Strandgeschehen wie ein Schauspiel betrachtend. Unversehens erkennt die Autorin in der Separation einen Funktionskern. Nicht die Exklusivität, sondern die Inklusion ist das Entscheidende.
„Wer sich hinter dem Seil befindet, wird auf unsere Kinder aufpassen, so wie wir auf ihre aufpassen. Er kennt die Leute, die wir kennen. Er weiß, was Crosby* bedeutet, im Sinn einer Chiffre maximaler Zugehörigkeit.
*“The tournament now known as the AT&T Pebble Beach Pro-Am started out in Rancho Sante Fe, California when Bing Crosby invited some friends to play golf, enjoy a clambake and a raise a little money for charity.” Quelle
Die strategischen Verknüpfungen von Reichtum, Luxus und maritimer Idylle zeitigten ihre Höhepunkte vor dem Zweiten Weltkrieg. Die ausgeschlossenen Einheimischen wurden abgespeist, während sich die weiße High Society im Royal von „der Jagd in Südafrika ausruhte“. Den Honolulu-Hype mit all seinem auf Hawaiianisch getrimmten Nippes lesen wir heute als Cultural Appropriation.
Aus der Ankündigung
»Diese Sammlung kritischer Reportagen über die späten Sechzigerjahre in ihrem Heimatstaat Kalifornien, machte Didion zum Star des New Journalism.« Süddeutsche Zeitung Das weiße Album ist ein essenzielles Werk und ein Klassiker der amerikanischen Autobiografie. In ihren Essays untersucht Joan Didion mit der ihr eigenen Klarsicht Akteure, Schlüsselereignisse, Bewegungen und Trends der Sechzigerjahre – darunter Charles Manson, die Black Panther und Shopping Malls. Aus einer intellektuellen Verstörung heraus schreibt sie über den American Dream, einen Traum, der auch im Scheitern nichts von seiner Faszinationskraft eingebüßt hat.
Zur Autorin
Joan Didion, geboren 1934 in Sacramento, Kalifornien, arbeitete als Journalistin für verschiedene amerikanische Zeitungen und war u. a. Mitherausgeberin der Vogue. Sie gilt als eine der wichtigsten Stimmen der amerikanischen Literatur, die mit ihren fünf Romanen und zahlreichen Essaybänden das intellektuelle Leben der USA im 20. Jahrhundert entscheidend prägte. Joan Didion verstarb im Dezember 2021.