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2022-12-14 07:18:52, Jamal

“The balance of power is me 0, Harvey Weinstein 10” 

Maria Schraders Verfilmung von Jodi Kantors und Megan Twoheys #MeToo-Fakten-Thriller „Von der ersten Enthüllung zur globalen Bewegung“ zeigt Harvey Weinstein als einen Mann, der sein Gesicht verloren hat. Mike Houston spielt den gefallenen Tycoon-Tyrannen als großen Rücken.

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“A job with Mr. Weinstein was a privileged perch at the nexus of money, fame and art.” Quelle

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„Von außen war alles schimmerndes Gold - die Oscars, der Erfolg, der beachtliche kulturelle Einfluss, aber hinter den Kulissen war es ein einziger Schlamassel, und das war der größte Schlamassel überhaupt.“ Mark Gill, Ex-Vorsitzender von Miramax Los Angeles

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“I am a 28 year old woman trying to make a living and a career. Harvey Weinstein is a 64 year old, world famous man and this is his company. The balance of power is me: 0, Harvey Weinstein: 10.” Eine anonym gebliebene Angestellte 2015, Quelle

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Am 5. Oktober 2017 veröffentlichte die New York Times unter dem Titel „Harvey Weinstein Paid Off Sexual Harassment Accusers for Decades“ einen Artikel, in dem der Genannte der sexuellen Belästigung beschuldigt wurde. Die Rede war von mindestens acht Vergleichen zur Abwehr gerichtlicher Feststellungen von Delinquenz. Die redaktionelle Freigabe des Textes bildet den Schlusspunkt des Films.

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Sie alle und viele mehr werfen Weinstein sexuelle Gewalt vor: Rose McGowan, Ambra Battilana Gutierrez, Asia Argento, Lucia Evans, Ashley Judd, Emily Nestor, Gwyneth Paltrow, Rosanna Arquette, Emma de Caunes, Cara Delevingne, Zelda Perkins, Heather Graham, Zoë Brock. 

„Kino wird für Heimwege gemacht.“ - Andreas Dresen, der Regisseur von „Halbe Treppe“ auf halber Treppe im Berliner Brechthaus 2013 zwischen Ursula Vogel und ? © Jamal Tuschick

Barbar im Bademantel

Schauspielerinnen und Assistentinnen empfing er im Bademantel. Der ehemalige Hollywood-Produzent Harvey Weinstein verlangte von den Frauen mitunter mehr als unangemessenes Entgegenkommen. Wie im Fall von Laura Madden. Sie fiel Weinstein in den frühen 1990er Jahren in die Hände. Die Investigativ-Journalistinnen Jodi Kantor (Zoe Kazan) und Megan Twohey (Carey Mulligan) starteten ihre Zusammenarbeit im Auftrag der New York Times 2016. Damals hielt sich der Tycoon noch für unangreifbar. Die Angst der Missbrauchten korrespondierte mit einem Schweigekartell. Ein wesentlicher Baustein des organisierten Verbrechens war die mehr oder weniger erpresste Verschwiegenheitserklärung.

Wie ein böses Mantra wirkt das systemisch-infame Unterdrückungsinstrument in Maria Schraders Verfilmung von Kantors und Twoheys #MeToo-Fakten-Thriller „Von der ersten Enthüllung zur globalen Bewegung“. Schraders Deutung beginnt mit dem engagierten Wunsch der New-York-Times-Crew, den bekennenden Sexisten Trump als Präsidenten zu verhindern, und der Depression nach seiner Inthronisierung. In einem Augenblick, der den Film charakterisiert, sagt der von Andre Braugher gespielte Chefredakteur Dean Baquet zu dem Desaster (dem Sinn nach): In der Bevölkerung findet bereits ein Umdenken statt. Wir wissen alle, wie optimistisch das gedacht war.

„She Said“, Spielfilm 2022, Regie: Maria Schrader, Drehbuch: Rebecca Lenkiewicz. Mit Carey Mulligan, Zoe Kazan, Samantha Morton, Ashley Judd 

„She Said“ kommt nicht über die Magistralen. Der cineastische Nachgang der ersten großen #Metoo-Erhebung kollidiert nicht mit den Leitplanken des Actionkinos. Reißerische Elemente fehlen. Sogar Weinsteins - von Mike Houston kongenial herausgestellte - Bulligkeit dient lediglich der Virtuosität eines Überspielens. Die Geschichte ging über Weinstein vernichtend hinweg. In der feministischen Triumpherzählung sieht das so aus, als hätte man den abgestürzten Mogul herausgeschnitten und dabei einfach nur zwei, drei Stellen vergessen.

Außerdem symbolisiert Weinsteins Gesichtslosigkeit seine Rolle als Stellvertreter sämtlicher Männer, die ihre Macht missbrauchen. Den ersten Angelpunkt der Empathie liefert Maddens Schicksal.

„Madden war 1992 gerade mal ein- oder zweiundzwanzig gewesen, ein irisches Mädchen vom Lande mit wenig Lebenserfahrung. Sie war auf einem Anwesen aufgewachsen …“ Die Zitate stammen aus dem Sachbuch.

Die Regisseurin folgt den Autorinnen in der Schilderung eines märchenhaft verwunschenen Fleckens als dem Schauplatz von Maddens irischer Kindheit. Die Maddens sind der Nachbarschaft zu „britisch“. Laura M. ergattert erst einen Job beim Film und dann noch einen. Sie castet authentische Landeier; Leute mit merkwürdigen Gesichtern; schräge Figuren; schillernde Vögel auch für Das weiße Zauberpferd - Into the West, mit Gabriel Byrne und Ellen Barkin in den Hauptrollen. 

Schäbiges Schema 

Eines Tages zitiert sie der Boss nach Dublin ins Hotel. 

Jennifer Anne Ehle verkörpert eine beflügelte Debütantin; eine aktive Träumerin in ihrem eigenen Arkadien ... bis sie, außer sich, durch Straßen rennt.

Die Journalistinnen klassifizieren Maddens Geschichte als „eine Art Destillat“. Madden arrangiert sich, weil der Teufel ihr einen Traumjob offeriert. Der Pakt vernichtet ihre natürliche Selbstsicherheit. Er greift die Integrität nach einem schäbigen Schema an. 

Weinstein weiß, was er tut, wenn er seine Opfer mit Lockangeboten in seinem Netzwerk hält. Er korrumpiert die Selbstachtung der Frauen. Kantor und Twohey erkennen das „Muster“. Jede Missbrauchte und anschließend Bearbeitete erlebt ihre Behandlung als singulären Vorgang. Weinsteins Routine durchschaut sie nicht. Sie hält sich für die Auserwählte eines Scheißschicksals. 

Laura Madden wird immer weiter bedrängt  

Sechs Jahre arbeitet Madden für Weinstein. So lange fühlt sie sich „kompromittiert“.  

„(Sie) war niemals wirklich glücklich bei Miramax. Besuchte der Produzent die Londoner Dependance, wusste sie nie, mit welcher Version von ihm sie es zu tun bekommen würde: der charmanten oder der gefährlichen.“ 

Der Film zeigt die Erschütterung der Journalistinnen, als sie Jahrzehnte später die Details zur Kenntnis nehmen. Sie stehen selbst massiv unter beruflichem und privatem Druck. Schraders Szenen bilden ein Mosaik der Verletzlichkeit, in dem Kantor and Twohey kaum weniger vulnerabel erscheinen als die Missbrauchten. Den bis ins Mark verunsicherten Informantinnen fehlt der Zuschauerinnenhorizont. Sie können sich Weinsteins Demontage (noch) nicht vorstellen. 

Morgen mehr.