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2018-11-29 05:57:49, Jamal Tuschick

„Wir müssen es schaffen, die Vorzüge unserer Gesellschaft breit zu vermitteln“, sagte Ruprecht Polenz (CDU) gestern Abend im Lichtsaal des Berliner Gorki Theaters anlässlich einer Präsentation von Daniel Baxs Analyse „Die Volksverführer - Warum Rechtspopulisten so erfolgreich sind“.

Zampanos der Vereinfachungen

Es sind nicht die Abgehängten, die den Rechtspopulismus im Aufwind halten.

Das erklärte Ruprecht Polenz (CDU) im Lichtsaal des Berliner Gorki Theaters anlässlich einer Präsentation von Daniel Baxs Analyse „Die Volksverführer - Warum Rechtspopulisten so erfolgreich sind“. Bax bescheinigt den Populisten weltweit ein parasitäres Verhältnis zur Demokratie.

Polenz und Bax verbindet eine Facebook Freundschaft. Der Politiker fand den Gesprächsgegenstand ausreichend komplex. Bax, der einst taz-Redakteur war, sei es gelungen, den internationalen Kontext der Verschiebungen politischer Hoffnungen darzustellen. Es ergaben sich surreale Szenen, in denen Polenz die CDU rechts liegen ließ und sich an dem links von der Mitte schürfenden Bax links vorbeiquetschte.

Daran erkennt man unsere Zeit. Die AfD im Bundestag ist für die CDU der größte Schrecken. Dann lieber Bax und taz und Ferda Ataman, die zuletzt anschaulich auf SPON beschrieben hat, wie die SPD auch noch den Erbhof Migration an Merkel abtreten musste, weil die Kanzlerin die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen wusste, dass Aufsteiger eher konservativ sind und die anderen ihr Wahlrecht nicht nutzen. Siehe hierzu Aladin El Mafaalanis Untersuchung „Das Integrationsparadox“.

Polenz widersprach ferner der Idee von der links versprengten CDU als Existenzgrund der AfD. Bereits der europäische Vergleich zeige, dass der Rechtsruck seine Dynamik nicht aus nationalgesellschaftlichen Eigentümlichkeiten bezieht. Der Rechtsruck kommt aus Rückzugs- und Bewahrungsphantasien und da, wo ihm vorausgedacht wird, wünscht man sich einen neuen Limes, der nicht nur die Völkerwanderung, sondern auch einen Ideentransfer stoppen soll. Nicht die Ökonomie, sondern die Identität, so Polenz, veranlasst viele Passagiere auf der Europa Demagogen das Ruder zu überlassen.

Polenz plädierte für eine Wertedebatte.

Wir müssen es schaffen, die Vorzüge unserer Gesellschaft breit zu vermitteln. Toleranz sei auch im Hinblick auf die eigenen Macken allgemein erstrebenswert. Zur Toleranz kommt die Semantik. Sprachbilder, die etwa Flut mit Flüchtlingen assoziieren, erzeugen innere Absagen. Ich möchte an dieser Stelle wieder die aktuelle „Jalta – Positionen zur jüdischen Gegenwart“ heranziehen. Marina Chernivsky beschreibt die „Aneignung antisemitischer Ressentiments … in transgenerativen Vermittlungsprozessen“. Nachkommen der Täter begreifen oft nicht, „von welchen Motiven sie getrieben werden, wessen Affekte und Teilgedanken sie reproduzieren“. Fachleute machen sich diese unbewussten Verfestigungsautomatismen zunutze, um auf der Grundlage „diffusen Unbehagens“ stabile Vorurteile zu etablieren. So arbeitet ein Alexander Gauland. Den Mann kratzt der Populismusvorwurf nicht. Er schildert Populismus als Selbstverteidigung, mit der sich die ursprüngliche Bevölkerung (eines europäischen Landes) gegen einen Ansturm zur Wehr setzt. Aufladen lässt sich der Ansturm mit der Globalisierung, den Flüchtlingen, dem in Europa ankommenden afrikanischen Youth Bulge. Gauland sprach zuletzt von „globalisierten Eliten“. Das ist nicht weit weg vom „internationalen Finanzjudentum“, dem Geld ohne Heimat und einer Politik ohne Vaterland, betrieben von Leuten ohne Bindungen außerhalb ihrer Klasse oder ihres Kartells. Die globalisierten Eliten ergänzen als Formulierung den reaktionären Neusprech, der einer Verdunklung absichtlich schlecht dient; so wie jeder Lapsus (ob echt oder inszeniert) die Sprecherintension sowohl auf- als auch zudeckt. Strategisch geht es bei der Bestimmung der Grenzen des Sagbaren in rassistischen und antidemokratischen Sprechweisen um Verschlechterungen der Standards zum Schutz von Minderheiten. Man sagt „Kultur“ statt „Rasse“, „kulturfremd“ statt „rassisch minderwertig“ und „ethnopluralistisch statt geh hin, wo du herkommst, vor allem jedoch, bleib da“, aber die Dezenten meinen das Gleiche wie die Wüsten, nämlich eine von fremden Einflüssen angeblich gefährlich gestörte volksgemeinschaftliche Homogenität, die den globalen Eliten ganz egal ist. Die Ereignisse in Chemnitz, wo Menschen wegen ihrer Hautfarbe gejagt wurden, Menschenjäger das Verständnis des Innenministers fanden und der Versuch, den Mob medial wegzuzaubern, beinah geglückt wäre, zeigen wie schnell aus einem Deutschen mit Migrationshintergrund (Passdeutschen) ein Ausländer werden kann.

In diesem Zusammenhang erscheint Aggression als Notwehr. Dass der Demagoge damit nicht nur durch-, vielmehr breit ankommt, beweist ein Versagen der Zivilgesellschaft, die auf die politischen Schocks der Gegenwart nicht vorbereitet ist.

Das erklärte Bax. Zu den Garantien unserer Demokratie gehören der Rechtsstaat und der Schutz von Minderheiten.

Hier noch mal meine Besprechung der Bax'schen Analyse:

Parasitäres Verhältnis zur Demokratie

Die ganze Welt tanzt nach den Pfeifen rechter Populisten den neovölkischen Pogo. Sollte Deutschland zur Beute der AfD werden, wird im Trivialmythos der Kampfzeiterzählung der kleine Mann als besorgter Bürger der Stimme seines Herzens bis zum Sieg der Vernunft gefolgt sein. Ich nehme den Text vorweg: Der Feind nannte populistisch, was wir legitim fanden – nämlich die Herrschaft im eigenen Land im Geist einer homogenen Gesellschaft.

Daniel Bax, „Die Volksverführer - Warum Rechtspopulisten so erfolgreich sind“, Westend Verlag, 288 Seiten, 20,-

Bax bemerkt, dass Alexander Gauland sich den Populismusvorwurf jederzeit gefallen lässt. Die AfD stellt sich als repräsentativ angestrichener Bürgerprotest dar – als parlamentarische Bewegung. Angeblich trägt die Partei im Bündnisstil jenes Plebiszit in den Bundestag, dass die Grundgesetzautor*innen aus der Verfassung heraushielten, nicht nur, weil Hitler legal an die Macht gekommen war.

Gauland will erklärtermaßen die Grenzen des Sagbaren erweitern und fremdenfeindliche Formulierungen etablieren. Ihm geht es darum, Sichtweisen strategisch zu verschieben und den politischen Diskurs zu verändern. Populisten sind Demagogen und an „der Lösung realer Probleme nicht interessiert“. Das erklärt alles. Das Phantasma der von Migration ungestörten, ethnisch-kulturell mäßig diversen Volksgenossenschaft dient der Entlastung im Zuge einer Abkehr von spannungsreich sich gegenseitig garantierender Koexistenz des Verschiedenen. Diese Bereitschaft zur Aushöhlung und Untergrabung des Demokratischen setzt ein parasitäres Verhältnis zur Demokratie voraus. Die Alternative für Deutschland ist autoritär. Autoritäre Strukturen bieten (vermeintlich) Sicherheit und erlösen die Bürger vom Druck ständiger Neuaushandlungen im Wettbewerb.

In attraktiven Einwanderungsgesellschaften ergibt sich eine starke soziale Dynamik aus Identitäten. Die Veränderungsgeschwindigkeit ihrer Verhältnisse erscheint den Migranten sowie den eingesessenen „Abgehängten“ schicksalhaft, den meisten Autochthonen aber nicht. Sie wissen, dass sich das Tempo zu ihren Gunsten regulieren lässt. An dieser Schraube drehen Populisten vor allem, indem sie sich da bedienen, wo „Besserverdienende und ein sozialdarwinistisch eingestelltes, verrohtes Bürgertum“ nach einem überlieferten Muster ihre Pfründe zu sichern versuchen. Das beschreibt Daniel Bax in seiner Anleitung zum Verständnis des politischen Augenblicks „Die Volks-Verführer“.

Die Führer der rechten Bewegungen in Europa gerieren sich als Zampanos der Vereinfachungen. Die populistischen Ablehnungsbescheide richten sich gegen Muslime, während Russlanddeutsche, so Bax, auf Russisch umworben werden. Ein rechtspopulistischer Kanon bestimmt die Talkshow Themen: Flüchtlinge, Islam, Terrorismus. Die Bildzeitung trägt das weiter auf dem Boulevard. So entsteht selbst in der Kritik eine Akzeptanz demokratiefeindlicher Kräfte, die ihre autoritäre Agenda mit dem Design pluraler Politik abdecken.

Die Medien „gehen der AfD oft auf den Leim - allein schon dadurch, dass sie ihrer Erzählung folgen, dass Migration, Integration und Flüchtlinge die Schicksalsfrage unserer Nation seien.“