MenuMENU

zurück

2023-01-07 09:00:13, Jamal

„Mütterlichkeit kannte George Sand … nur im Umgang mit Männern.“ Hans Mayer

*

Sehen Sie auch hier und hier und hier und hier

*

„Wieviel Weiblichkeit in diesem großen Mann steckte.“ Gustave Flaubert über George Sand; zitiert nach Hans Mayer

*

„Die Kinder der George Sand wurden gute Bürger. Da war keine Botschaft weiterzutragen.“ Hans Mayer

*

„Das Private war störend; zumal in der aufdringlichen Akkumulation von Werk, Pistole, Beethoven.“ Hans Mayer über den Selbstmord von Otto Weininger im Wiener Beethovenhaus

*

„Bei der Frankfurter Zeitung schreibt man nicht für den Leser, sondern für die Nachwelt.“ Joseph Roth

Ahrenshoop am ersten Tag eines neuen Jahres © Jamal Tuschick

Gespräche am Stammtisch/Rhetorik des Kalten Kriegs/Kulturkampf anno 1954

„Gespräche am Stammtisch“ - Unter dieser Überschrift berichtet der SPIEGEL 1954 im Konfrontationsjargon des Kalten Krieges von einer kulturellen Ostwest-Begegnung im historischen Dunstkreis der anstehenden westdeutschen Wiederbewaffnung und Eingliederung in die NATO (Quelle). Am 2. Dezember empfängt der Zeitungsmann und Nachrichtenoffizier Melvin Lasky, (Herausgeber des Periodikums Der Monat), das „schwerste Geschütz der ostdeutschen Dichterkompanie“, einen „mürrisch dreinblickend(en)“ Bertolt Brecht und den „kulturpolitischen Stoßtruppführer Johannes R. Becher“ (Süddeutsche Zeitung, 8. Dezember 1954) im Schöneberger Hotel Sachsenhof. Im Netz kursieren die Titel “Culture talk in Sachsenhof with Bertolt Brecht … Writer Bertolt Brecht and Soviet zonal minister of culture Johannes R. Becher on the 2nd of December in 1954 in Hotel Sachsenhof in West Berlin”.

Zu diesem Zeitpunkt existiert die Deutsche Demokratische Republik im fünften Jahr. Trotzdem setzt der SPIEGEL BB als „sowjetzonalen Dichter“ herab. Lasky wird in der kommenden Ausgabe seines Magazins eine fast leere Seite mit der Zeile „Bert Brecht - Was ich von der künstlerischen Freiheit halte“ veröffentlichen. Noch mit dem Abstand von Jahrzehnten ahnt man die Nichtigkeit des Anlasses für die Provokation. Der SPIEGEL schlägt in dieselbe Kerbe. Die Gegenseite erkennt in Lasky einen „Chefideologe(n) der reaktionären Westberliner Publizistik“ (Neue Zeit, 11. März 1955).

Die bevorstehende Wiederbewaffnung der Bundesrepublik heizt die Rhetorik des Kalten Krieges an. Nach den Prämissen des Potsdamer Abkommens wäre die von zehn europäischen Staaten, Nordamerika und Kanada 1949 zeitgleich mit der BRD und der DDR gegründete und drei Jahre später mit griechischen und türkischen Streitkräften verstärkte North Atlantic Treaty Organization für Westdeutschland nicht in Frage gekommen. Die entmilitarisierte Bundesrepublik bedarf der alliierten Zustimmung bei Grundgesetzänderungen. Die Siegerinnen und Sieger wirken letztinstanzlich, mit Befugnissen bis zur Regierungsübernahme. Zudem bestimmen sie die Leitlinien der Außenpolitik.

Im Restaurationsklima der Adenauerära suchen auch viele Westautorinnen und -autoren Abstand zu Adenauers Rosenzucht- aka Westbindungsphilosophie. In der rheinisch-katholischen Heinrich-Böll-Ästhetik finden sie ihre Ikonografie.

*  

So kriegsmüde, wie Deutschland nach Fünfundvierzig oft hingestellt wurde, war das Land vielleicht gar nicht. Die Idee, man könne dem Russen verlorenes Territorium gleich wieder abjagen, fand gefiltert von Sprachregelungen zirkulare Zustimmung. Man unterstellte der Sowjetunion einen nuklearen Angriffswillen, bevor die UDSSR über Atomwaffen verfügte. Das Gleichgewicht des Schreckens wurde erst 1949 hergestellt. Szenarien nahmen den Schrecken vorweg - mit aufgerückten Grenzen. Der Russe stand vor der Tür. Die Front war bequem zu erreichen. Die Amerikaner im Gefolge von John Foster Dulles und Dwight David Eisenhower wünschten sich die deutsche Auxiliar-Truppe als Panzerarmee mit einer Mannschaftsstärke von 500.000 Mann. Daran scheiterte zunächst der „Beauftragte des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen“. Um den Protest im Lager der Wiederbewaffnungsgegner zu schwächen, hatte Adenauer den Posten zur Bürde eines (christlichen) Gewerkschaftsführers gemacht. Der Mann hieß Theodor Blank und nach ihm hieß ein Amt, das ab 1950 die Bundeswehr etablierte. Zu spät griff man auf Vergleichszahlen der nationalsozialistischen Aufrüstung zurück. Erst Franz Josef Strauß will die Idee gehabt haben, bei Hitler nachzuschlagen. Den Deutschen attestierte Strauß, der gern erster Verteidigungsminister der Bundesrepublik geworden wäre, eine „antimilitärische Psychose“. In seinen Erinnerungen geht das so über Stock und Stein. Man müsse dem empfindsamen Volk die bittere Medizin in kleinen Schlucken einflößen. Strauß spricht mit Adenauer über blanksche Konfusion, der Chef wittert eine Intrige und ruft über den Zaun seinen Staatssekretär Globke herbei. Fünf Jahre zuvor hatte Adenauer Offiziere zur Klausur in ein Kloster geschickt. Sie sollten ergründen, was Westdeutschland zur Verteidigung Westeuropas beitragen könne. So entstand die „Himmeroder Denkschrift“ auch mit Beteiligung von Johann Adolf Graf von Kielmansegg, der eine Paradelaufbahn von der Reichs- zur Bundeswehr absolvierte. Adenauers Gewährsmann war Graf Schwerin, nach dem die Vorläuferbehörde des Amts Blank benannt worden war. Schwerin diente dem Bundeskanzler als „Berater für Militär- und Sicherheitsfragen“. Die militärischen Absichten verdeckte das Wort „Bundesgendarmerie“. Wie gesagt, die Amerikaner drängten Besiegte in die Rolle von Verbündeten angesichts eines weltweiten Notstands der Freiheit. Ich setze das nicht alles in Anführungszeichen, jedenfalls gab es 1950 schon (wieder) eine kriegerische Verpflichtung gegenüber Europa. Man lernt, wie wirkungslos der plebiszitäre Pazifismus in einer Auseinandersetzung nicht zuletzt mit Dienststellen war. Die Herrschaften unterschieden zwischen Militarismus und wahrem Soldatentum. Sie sensibilisierten sich für die Härten im Kampf Deutscher gegen Deutsche und kultivierten die Vermeidungsfloskel vom deutschen Kontingent, das im transatlantischen Gefüge wie eine gute Dienststelle funktionieren sollte. Sie planten Krieg als Fortsetzung des Verwaltungsaktes mit anderen Mitteln.   

Wandlungen im Traumsektor - Auch Ilja Ehrenburg war ein Kind der Ukraine

Traumfabrik Hollywood - Gerade erfahre ich, dass der breitgetretene Allgemeinplatz mit Epochensignaturcharakter von Ilja Ehrenburg stammt. Der 1891 in Kiew geborene Autor verwandte ihn erstmals 1931. Hans Mayer überliefert das Detail im Zusammenhang mit einem Hinweis auf die gute Witterung der kalifornischen Tycoons für die „Wandlungen im Traumsektor“.

Hans Mayer, „Außenseiter“, Suhrkamp  

Mayer nennt Antizipation einen Schlüssel zum Erfolg. Er zählt dazu die Fähigkeit, den demnächst favorisierten Frauentyp vorauszusehen. Die Träume der Menschheit verbinden sich mit der „Typologie des weiblichen Filmstars“. „In der plebejischen und vulgären Phase des Kintopps“ hypostasierte das „hübsche Durchschnittsmädchen aus der Nachbarschaft“ das Ideal des „träumenden Mannes“. Henny Porten und Mary Pickford boten sich als Verkörperungen an. Die Verwerfungen diverser Familienordnungen im Ersten Weltkrieg ließ Pola Negri reüssieren. Ihr folgte die kameradschaftliche Elisabeth Bergner.

Nichtidentifikation als Erfolgsgeheimnis

Im Emanzipationsdiskurs nach dem Ersten Weltkrieg war „Kameradschaft“ ein progressiver Begriff. Die künftige Gattin begrüßte man „neu-sachlich“ als „Kamerad“. „Die Frau von morgen wird instinktvoll und klug die guten von den bösen Komponenten der „neuen Sachlichkeit“ zu scheiden haben“, postulierte Max Brod. Das adressierte ein Ideal - die Kombination einer Schönschrift der Wirklichkeit mit männlicher Tüchtigkeit. Letztlich war das Verbesserungspornografie im Geist nicht transpirierender Multifunktionalität und von androgynem Chichi. In der nationalsozialistischen Gleichschaltung des weiblichen Kameraden dominierten andere Facetten. Die Frau als Kamerad näherte sich der Ebenbürtigkeit allein auf den Feldern entfremdeter Arbeit.

In der Depression von Neunundzwanzig nahm die emanzipierte Frau selbstverständlich einen Platz in der städtischen Öffentlichkeit ein und fungierte als Antagonistin der von archaischen Zwängen Unterworfenen, die noch Luft aus dem 19. Jahrhundert atmete. Die Emanzipation fand ihre Symbole auf den Fließbändern der Automatisierung. Meinungsbildende Zeitgenossen synchronisierten ihre Erwartungen an die neue Frau mit dem Maschinentempo ihrer Gegenwart. Dazu passte „das blonde lustige Ding“ Lilian Harvey. Die magische Wirkung der Stars „gründete … auf dem Vorgang der Nichtidentifikation im Kino. Die Wege der Bergner und der Garbo waren nicht allgemein begehbar“. Im nächsten Durchgang wurden „die weiblichen Außenseiter aus dem Kino“ vertrieben. Dazu bald mehr.  

Aus der Ankündigung

Vom »Denkparadox« und der zugleich geschichtlichen Realität ausgehend, »daß die Anerkennung von Lebensrecht und Würde der existentiellen Außenseiter am besten in jener Ära gesichert war, da adlige Aufklärer unter dem Ancien Régime die bürgerlichen Forderungen vertraten«, entdeckt Mayer das Scheitern des Bürgertums im Versuch, das Unvereinbare zu verbinden: die Forderung nach Sicherung bourgeoiser Herrschaft mit der nach freier individueller Verwirklichung – wie außenseiterisch sich diese als existentiell veranlagte Normabweichung auch ausnehme. Richtet sich Mayers Blick vom historisch Erfahrenen auch wieder nach vorn, fordert er die Fortsetzung von »ihren bürgerlichen und geschichtlichen Ursprüngen abgelöster« Aufklärung als der »permanenten Revolution«, so doch in erklärter Gegenstellung zu einem abstrakt bemühten Utopismus allgemein-gesellschaftlicher Emphase, in der Hinwendung zum letztlich maßgebenden Bedürfnis und Anspruch des Einzelnen. Das Buch entwickelt seine Problematik beispielhaft und zentral an der Stellung bürgerlicher Gesellschaft und ihrer Literatur zur Frau, zu gleichgeschlechtlicher Liebe und Judentum. Es gelingt ihm deren darstellerische Bewältigung aus stupender Belesenheit und in methodischer Schmiegsamkeit.

Zum Autor

Der Wissenschaftler, Kulturkritiker und Schriftsteller wurde am 19. März 1907 in Köln geboren. Er studierte Jura, Geschichte und Philosophie in Köln, Bonn und Berlin. Als Jude verfolgt, war er von 1933 bis 1945 in der Emigration in Frankreich und in der Schweiz. Von 1948 bis 1963 lehrte er Geschichte der Nationalliteraturen an der Universität Leipzig. Zwischen 1965 und 1973 war er Professor für Deutsche Sprache und Literatur an der Technischen Universität Hannover. Danach lebte er als Honorarprofessor in Tübingen.

1935, im Exil, begann er mit den Vorarbeiten für sein großes Werk über Georg Büchner; ohne Zuspruch von Carl J. Burckhardt wäre das Opus magnum nicht beendet worden. 1972 erschien eine Neuausgabe im Suhrkamp Verlag. 40 Titel von ihm sind seitdem in »seinem« Verlag publiziert worden, darunter Bücher über Goethe und Brecht, Thomas Mann und Richard Wagner; der letzte in diesen Tagen: »Erinnerungen an Willy Brandt«. Bundeskanzler Schröder drückte darüber brieflich noch seine Hochachtung aus.

Hans Mayer war ein Lehrer für uns Deutsche. Ein Wissenschaftler, der mitten im Stalinismus Autoren wie Kafka, Proust, Joyce und Bloch verteidigte, der, wo immer in der Welt er lehrte, Literatur befragte, ob sie geeignet sei, Humanität zu befördern. Ein Gelehrter zwischen den Fronten, dessen wichtigste Werke nicht zufällig den Unbotmäßigen und »Außenseitern« gelten. Seine Erinnerungen waren Erinnerungen eines »Deutschen auf Widerruf«. Die Beschwörungen eines anderen Deutschland bereiteten neuen Kräften wie Uwe Johnson den Weg.

Hans Mayer ist Ehrenbürger der Städte Köln und Leipzig, Ehrendoktor der Universitäten in Brüssel, Wisconsin und Leipzig, Ehrenprofessor der Universität Peking, Träger des »Großen Verdienstkreuzes mit Stern und Schulterband der Bundesrepublik Deutschland«.

Hans Mayer, Nestor der deutschen Literaturwissenschaft, starb am Sonnabend, dem 19. Mai 2001, im Alter von 94 Jahren in Tübingen.