Heiner Müller - Der gotische Brecht
„Das Wappentier der Befreiung ist der Maulwurf.“ Heiner Müller
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Stahlschrott aus dem Berliner Republikpalastabriss wurde im höchsten Turm der Welt (Burj Chalifa, 828 Meter) in Dubai verbaut. BILD titelte „Der Burj Chalifa ist ein Ossi!“
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„Das … (sowjetische) Imperium verfügte über alle Zeitreserven Sibiriens. Und damit über Gedankenreserven: ein Panzerschrank des Seelenlebens. In den Bunkern des KGB sammelten sich die akademischen Eliten des Landes.“ Alexander Kluge/ Gerhard Richter, „Dezember“, Suhrkamp
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„Gegen Hitler sein hieß, über Stalin zu schweigen.“ Heiner Müller
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Europäische Signatur/Müller-Groove - Ein Heiner-Müller-Potpourri
„Dann kam die tatarische Invasion, das Trauma des Einbruchs der berittenen Steppe in die Welt der deutschen Manufaktur. Keine Sau weiß, wo Dschingis Khan begraben liegt. Die Mongolen ritten so lange über die Gräber ihrer Chefs (bis es Hunde und Katzen regnete). Die Staubsäule, die indes aufstieg, wurde zur europäischen Signatur. Auch Kleists Metapher ist die Staubsäule, eine Figur der totalen Beschleunigung im Stillstand. Sie materialisierte sich schließlich in der Mauer. Der Tod kommt aus Asien. Die Französische Revolution hat in Deutschland nur in der Literatur stattgefunden. Die Weimarer Klassik als Revolutionsersatz. (Und eins und zwei und auf drei alle zusammen:) Der Idealfall verwandelt Stoff in Form. Das Wappentier der Befreiung ist der Maulwurf. Die deutsch-deutsche Grenze fängt an mit der Ermordung von Rosa Luxemburg. Brecht wollte, dass man Mutter Courage verachtet. Als Hitler der Treibstoff ausging begann der Golfkrieg.
Brecht hatte eine mythische Vorstellung von der Arbeiterklasse. Einmal wollte er sie in echt auf die Bühne bringen, wie ging das? Das ging einfach so, dass man der Gewerkschaft Bescheid sagt. Die Gewerkschaft schickte Arbeiter, mit denen Brecht arbeitete. Um anderen Arbeitern die Arbeiterschauspieler nicht vorzuenthalten, kaufte die Gewerkschaft das Premierenkontingent auf und verteilte die Karten. Die Kollegen steckten die Karten ein und verzogen sich in ihre Kneipen. Die Arbeiter auf der Bühne spielten vor einem leeren Saal.“
Ich mit Pandae Dollyo Chagi vor vierzig Jahren, während einer meiner kurzen Langhaarphasen. © Jamal Tuschick
Der schwache Vater
Emotionale Ladungen gibt Heiner Müller oft als Zitate aus. Brecht, Shakespeare, aber auch Wagner: „Die Revolution interessiert mich erst wieder, wenn Paris in Flammen steht.“ So überliefert sich die Reaktion auf einen Theaterfehlschlag im egomanischen Gruß- sprich Großwort.
Es gibt Absetzbewegungen: „Im keltischen Nebel“ findet Müller nichts brauchbar, „erst die Renaissance hat die Kulturräume getrennt.“ Womit wir wieder bei der Pest sind - als einer Ouvertüre der globalen Veranstaltung Moderne. Das bricht sich dann an Müllers Vorliebe für das Deutsche. Ihn interessiert „der gotische Brecht“.
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„Dreizehn Jahre später, wir wohnten in einer Kreisstadt in Mecklenburg, saß an unserm Tisch eine Freifrau, Witwe eines Generals, der nach dem missglückten Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 hingerichtet worden war.“
Die Frau bittet Heiners Vater um Hilfe. In seiner Eigenschaft als Funktionär der neu gegründeten Sozialdemokratischen Partei Deutschlands soll er dafür sorgen, dass der freiherrliche Grund nicht unter den Pflug der Kollektivierung kommt. Heiner Müller nennt die Enteignungskampagne Bodenreform.
Die Bittstellerin wendet sich an einen Mann, dessen Mutter, „für wenig mehr als Brot, auf einem Rittergut in Sachsen als Dienstmagd gearbeitet (hatte), bevor ein Arbeiter sie im Kornfeld … zur Frau nahm“.
„Mein Vater versprach, der Freifrau zu helfen.“
Da ist er, der schwache Vater, vom Sohn verraten. Während Kurt Müller in jedem Deutschland seine Spanne verliert, gewinnt Heiner schließlich beide Nachfolgestaaten des Reichs. In Müllers Auffassungen der Verwerfungen am Ende des II. Weltkriegs tauchen Großmütter in Kinderwagen auf. Jahre zuvor waren die Pferde eingezogen worden. Aufgeplatzte Kadaver säumen die Routen von Flucht und Vertreibung.
Dem im KZ gebeugten Vater droht in der DDR der Knast von Hohenschönhausen. Da hat Honecker das Dach gedeckt.
So flüchtig die Urteilsfindung sein mag, Stalin besteht auf unterschriebene Geständnisse. Die Rechtspflege obliegt dem NKWD. Dieses Institut nimmt Maß am ersten sowjetischen Geheimdienst. Verbündete werden mit dem „Tscheka“-Terrorstil vertraut gemacht. „Tscheka“ steht für „Außerordentliche Allrussische Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution, Spekulation und Sabotage“. Gegründet wurde der Staatssicherheitsdienst 1917. Es geht den Tschekisten in der Unmittelbarkeit der Nachkriegszeit nicht nur darum, Geständnisse zu initiieren, die Geständnisse müssen in jedem Fall unterschrieben werden.
Man spricht von Speziallagern und „Inneren Gefängnissen“. Die Eingekerkerten landen in ewiger Kellernacht. Tageszeiten werden zur Desorientierung ausgeblendet. Die Zellen sind so feucht, dass die Haare schimmeln. Die Gefangenen verbringen ihren Arrest in den Sachen vom Tag der Verhaftung. Es gibt keine Anstaltskleidung, keine medizinische Versorgung und unter verschärften Umständen nicht einmal den Fäkalienkübel. Man foltert legal nach dem Recht der Sieger. Zellen werden unter Wasser gesetzt. Man quält die Eingesperrten außerdem mit Überbelegung, Stehzwang, Schlafentzug, Hunger, Hitze und Kälte.
Als Kurt Müller sich in den Westen verzieht, veröffentlicht Hedda Zinner in der Berliner Zeitung (am Abend des 25. Novembers 1952 ihre Ansicht von Moskau:)
„Und die ganze Menschheit,
Moskau, blickt dich an:
zeigst du doch, ein Vorbild,
was man schaffen kann.
Nie ward solch ein Reichtum
früher schon geschaut
wie hier, wo ein Volk sich
seine Hauptstadt baut.“
Der zurückgebliebene Sohn jubelt ins gleiche Horn. Die Gegner des Sozialismus sind Kannibalen, die kein Fleisch sehen können. Dies als ein Bild für falsches Bewusstsein.