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2023-01-13 09:25:20, Jamal

“The man to beat me hasn’t been born yet.” Muhammad Ali in einem Interview aus dem Jahr 1966

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„Nachdem wir unseren letzten Atemzug getan haben, werden unsere Zellen nach Sauerstoff schreien.“ Dem Sinn nach: Die Zellen hören nicht einfach auf zu sein. Auf der atomaren Ebene geht der Kampf weiter. In ihrer Sauerstoffnot eruptiert die vergiftete Zellmasse. David A. Sinclair

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„Jeder Fortschritt erledigt einen Fortschritt“, verkündet Heiner Müller in der Verfassung des Künstlers als junger Mann. Redundanz dreht eine Achse von einem lyrischen Reflex auf den Krieg in Indochina („Grabschrift auf Bao Dai“) bis nach Vietnam im Zeichen von Napalm um die evolutionäre Konstante, dass der Aggressor dem Angegriffenen die Mittel zu seiner Verteidigung liefert. Noch etwas aus der Rubrik des Martialischen, Bomben zu Bomben - Gedichte sind „Zeitbomben“, ein Wort, das ich bei Hanns Zischler bereits als Zitat finde. Der Dichter bestimmt nicht, „wann sie hochgehen“.

Müller verbessert sich in der Ehe mit der Kollegin Inge geb. Meyer, vormals verheiratete Schwenkner. Sie wird sich umbringen. Müller quittiert ihren Selbstmord so: „Eine intellektuelle Ehe funktioniert nicht ohne Menschenopfer, Leute, die in der gleichen Kunst gefangen sind“, können sich nicht einfach paaren.

© Jamal Tuschick 

Discount-Illuminationen

Mit achtzehn kassiert Tillman als Fotomodell im Themenpark der hausgemachten Esoterik nebenbei monatlich ein Monteurgehalt. Der Abiturient und amtierende Hessenmeister im Kraftzweikampf hat Hantelmuskeln, aber Leute, die sich nicht auskennen, nicht anstrengen und trotzdem nicht nur fit, sondern außerdem erleuchtet sein wollen, glauben gern, wenn der selbsternannte Fitnesspapst Ulrich Meinhof behauptet, so wie Tillman könne jeder aussehen und ausstrahlen, wenn er nur seine Atemübungen nicht versäume. Auf den Minenfeldern der Erfüllungs- und Erleuchtungssehnsüchte atmen alle mehr oder weniger autodidaktisch einem perfekten Leben entgegen. Meinhof, der sexsüchtige Sauhund, gibt den Leuten, was sie brauchen. Er markiert den an einer Klosteruniversität im Himalaya habilitierten Taiji-Meister. Er behauptet, von einer nepalesischen Kampfkunstkoryphäe initiiert worden zu sein.

Seine athletische Figur erwarb Meinhof in einer rustikalen Praxis. Der zum Unternehmer mutierte Sportlehrer war Kampfschwimmer. Er spielte Handball in der 2. Bundesliga. Das verschweigt Meinhof der Kundschaft. Tillman ist das einzige Meinhof-Bandenmitglied, das tatsächlich in die Nähe authentischer Quellen kam. Ein Südvietnamese der Boatpeople-Kohorte suchte und fand bei Tillman sportlich-spirituellen Anschluss. Jener war bereits als Zehnjähriger von seinem Sport- und Kunstlehrer Holger Mansfeld auf den Krafttrip geschickt und gleichzeitig auf die Ausdauerschiene gesetzt worden. Mansfeld bringt Interessierten ein Holzhackergenickbruchprogramm bei, dessen fernöstlicher Ursprung kaum noch eine Rolle spielt.

Der Vietnamese lehrt sein Familien-Gong-fu. Die Fachwelt erkennt Einflüsse des White Crane, Wing und Weng Chun. Was im Westen in der Fama vom Flow-to-Go und von der Hyperentspannung kulminiert, zielt in Asien schlicht auf Langlebigkeit. Der Vietnamese rät zu Kuren außerhalb der thermoneutralen Komfortzone. Er plädiert für kontrollierten Ernährungsnotstand. Das reicht nicht. Zur Aktivierung der Langlebigkeits-Gene bedarf es weiterer Stimulationen. Bewegung in der Sauerstoffschuld ist der Schlüssel. 

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David A. Sinclair beschreibt Alterung als einen Mangel an Information. Der Pionier der Epigenetik sagt: „Wir leben heute viel länger als je zuvor. Aber nicht viel besser.“ 

Bewegung macht unsere Telomere lang. Wir müssen unsere Zellen im Überlebensmodus halten. Der Stress im Bereich der Mangelreaktion baut neue Blutgefäße für den Sauerstofftransport. Bewegung - Hunger - Kälte. Der beschleunigte oder verlangsamte Puls hat „genetische Wurzeln, die in die Zeit des Überlebenskampfes von M.superstes zurückreichen“ (D. A. Sinclair).   

Yoga-Mumien

In Asien gilt Langlebigkeit als spirituelle Leistung. Greise Gymnastikgurus genießen Verehrung. Meinhofs Kundschaft ist zu jung, um in der Longävität einen Wert zu erkennen. Sie wird ewig leben, was denn sonst. Seriell liebt Meinhof die unsterblichen Zwanzig- bis Dreißigjährigen. Er lockt sie mit seinen Rummelplatzangeboten von der Gratiserleuchtung über die heilsame Dehnung bis zum Kurztrip in Meinhofs Mustang zum Herkules (dem Kasseler Wahrzeichen). Die Surferinnen auf den Wellen des Opportunitätsozeans erkennen den Scharlatan. Sie glauben indes, dem freundlichen Mann gewachsen zu sein. Schließlich kocht auch er nur mit Wasser.

Paradiesmodus vs. protestantischer Arbeitsethos

Tillman schlendert hinterher mit seinem Iron Body im ewigen Flow. Die Kursteilnehmerinnen beschenken ihn mit ihrer Energie. Ahnungslos bringen sie das mit, was sie in Tillmans Sphäre vermuten: den Zugangscode zum Paradies. Aus dem Missverständnis ergibt sich ein Ausbeutungsverhältnis, dass Meinhof zynisch und Tillman ratlos macht. Beide ignorieren Anfänger ihres eigenen Geschlechts nach Kräften. Einem vom protestantischen Arbeitsethos deformierten, von Kindesbeinen an in der Selbstentfremdungsfalle sitzenden Mann fehlt so vieles, dass Tillman ihn nur bedauern und Meinhof ihn nur verachten kann.

Wer im Paradies wohnt, fürchtet die Kontamination mit dem Unglück.

Meinhofs lukrativer Qi-Ramsch affiziert Leute, die ihren Geist für eine göttliche Repräsentanz hienieden halten. Sie fragen: Kann man sich ohne Muskelkraft bewegen? Sie interessieren sich für Astralprojektion und luzides Träumen. Wie Astronautinnen streben sie nach Schwerelosigkeit. Sie wähnen sich im Besitz eines immateriellen Körpers, zu dem ihnen die Verbindung fehlt.

Sie diskutieren Visualisierungen.

Meinhof schmiert ihnen Honig ums Maul. Er betet fremde Erkenntnisse nach. Er jubiliert und versteigt sich, als wäre er nicht freiwillig durch die härteste Schule gegangen, sondern hätte sich auf VHS-Niveau vom Yoga-Schnupperkurs zu Vertrauensspiele für Erwachsene vorgetastet.

„Bedenkt die Macht der Vorstellungskraft“, dröhnt der promovierte Einzelkämpfer. „Baut auf eure Imagination. Gebt eurem Verlangen Raum. Nehmt euch das Recht, euch gut zu fühlen.“

Das kommt gut an.  

Das Zauberwort lautet Instant Gratification.

„Wir bieten Instant Gratification am Fließband.“

Das ist eine stehende Redewendung in Meinhofs Personaleinschwörungen. Der Chef unterschlägt, dass er selbst nichts anderes anstrebt. Er hat einen Blick für Frauen, die der Wunsch treibt, Verzögerungen zu vermeiden. Aufschub erachten jene als Selbstverleugnung, wenn nicht als Verbrechen an ihren Instinkten.

Meinhofs Flow-Discounter-Userinnen pimpen alle möglichen kultischen Existenzformate. Der Rationalismus ist auf dem Rückzug. Kaffeesatz-Mystifikationen sind auf dem Vormarsch.

Überall haften Pinnwände, vollgekleistert mit Binsen von Jane Fonda, Mihály Csíkszentmihályi und dem Dalai Lama. Begriffe, deren Bedeutungen in unzulänglichen Übersetzungen untergegangen sind, kursieren im blinden Gebrauch. Wer weiß, was Kanyu bedeutet? Ständig erklärt Meinhof, dies und das sei Kanyu. Keine Jüngerin wagt es, den Meister um eine Erläuterung zu bitten, weil jede glaubt, sie habe die Explikation verpennt.

In Meinhofs Achtsamkeitsresort darf man sich unterwerfen, einer überlegenen Kraft erliegen, in den Meisterbann geraten und sich gesegnet fühlen. Man wird nicht ausgelacht, wenn man sich für einen wiedergeborenen, weiblichen Drachen hält. Die Physiotherapeutin Marianne glaubt, aus ihrer gegenwärtigen Hülle zu platzen, weil ein antikes Kriegerinnen-Ich sich atavistisch Geltung verschafft. In Meinhofs Gegenwart erlebt sie Qi-Räusche.