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2023-01-26 09:56:03, Jamal

„Sport ist für mich wie Zähneputzen.“ Vitali Klitschko, Quelle

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„Ich habe gesagt, wenn Yossi im Raum ist, habe ich Angst (um ihn), denn (…) wenn er dabei ist, dann wird er kämpfen.“ Ilana Romano

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„Ich bin so glücklich, dass ich hier sein darf.“

Mark Slavin - Der soeben eingebürgerte, vormals sowjetische Weltklasseringer war erst achtzehn Jahre alt, als er ermordet wurde. Er hatte in der UdSSR einen Platz im Olympiakader und weitere Privilegien ausgeschlagen, sich Zumutungen ausgesetzt und Degradierungen ertragen, weil er unbedingt für Israel starten wollte. Slavin starb vor seinem ersten olympischen Wettkampf.

Albtraumhafte Vorwegnahme

Anfang der 1970er Jahre gründeten Palästinenser:innen, die in Jordanien nicht mehr willkommen waren, im Libanon einen PLO-Ableger und benannten ihn nach einer Niederlage. Der historische „Schwarze September“ stellte sich in ihrer Sicht als verlorene Auseinandersetzung zwischen der jordanischen Armee und palästinensischer Guerilla dar. Mit dem Terrorlabel „Schwarzer September“ verbindet man zuerst das Münchner Olympia-Attentat vom 5. September 1972. Palästinensische Terroristen brachten Mitglieder der israelischen Mannschaft in ihre Gewalt. Die Geiselnehmer wurden zu Mördern.

Zwölf Monate - Zwölf Namen/Twelve Months - Twelve Names, Angela Libal (Hg.), Deutsch, Englisch, Hentrich und Hentrich, 17,90 €

Der Diplom-Psychologe Georg Sieber antizipierte das Verbrechen als Berater des Münchner Polizeipräsidenten Manfred Schreiber in einem Worst-Case-Szenario. Das finstere Gedankenspiel zirkulierte in Polizeikreisen. Die albtraumhafte Vorwegnahme des olympischen Gaus erschien den Entscheider:innen abwegig.  

Die TV-Zooms auf den Betonbau, in dem die israelische Mannschaft untergebracht war, brannten sich dem kollektiven Gedächtnis meiner Generation ein. Die Bilder gehören in die Galerie schwarzgrauer Schnappschüsse der Terror-Ikonografie, die im Werk von Gerhard Richter ihre Metaebene zugewiesen bekam.  

Seit 4:10 Uhr am 5. September hielten sich acht palästinensische Terroristen in dem Olympiaquartier auf. Aus Versehen waren die Geiselgangster vorher bei den Sportler:innen aus Hongkong eingestiegen. Sie präsentierten sich als Kombattanten des Schwarzen Septembers. Freipressen wollten sie 232 palästinensische Gefangene. Ulrike Meinhof, Andreas Baader und Kōzō Okamoto standen außerdem auf ihrer Liste. Im ersten Anlauf wurden sie zu Mördern des Gewichthebers Josef Romano und des Ringertrainers Moshe Weinberg. Der gebürtige Libyer Romano setzte sich zur Wehr und verblutete vor den Augen seiner Freunde. Auch Weinberg „leistete Widerstand“ bis zum Tod. Kurz zuvor hatte der in Haifa Geborene seine in München lebende, aus Graz gebürtige Mutter besucht.

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„Zwölf Monate - Zwölf Namen/Twelve Months - Twelve Names” erinnert in Porträts an die ermordeten Athleten, Trainer und einen Ringkampfrichter sowie an den im Einsatz erschossenen Polizisten Anton Fliegerbauer.

Der aus Rumänien gebürtige Kampfrichter Yossef Gutfreund hätte in einem Hotel logieren konnte, wollte aber lieber bei seiner Mannschaft sein.

Der Band dokumentiert außerdem Repräsentanzen des Gedenkens, wie etwa eine Ausstellung für Ze'ev Friedman im bayrischen Schöngeising.

Der Gewichtheber wurde als Sohn - vor den Nazis in die Sowjetunion geflohener - polnischer Eltern in Sibirien geboren. 1960 glückte der Familie die Heimkehr nach Israel.

Siehe auch die Informationsseite des Bayrischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus zu Kehar Schor. Der Sportschützentrainer hatte die Schoa in Karpatenverstecken überlebt. Schor liebte Sport und Mathematik. Er verlegte sich aufs Sportschießen, „das Athletik und mathematische Präzision verbindet“.

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Achtzehn Jahre alt und erst seit Sommer 1972 in Israel heimisch war der in Minsk geborene Ringer Mark Slavin. Einen Platz im sowjetischen Olympiakader hatte er abgelehnt. „Der 5. September wäre sein erster Wettkampftag gewesen.“  

Das erste Porträt ehrt den in Cleveland, Ohio, geborenen und erst 1970 nach Israel ausgewanderten Gewichtheber David Mark Berger. Der promovierte Jurist hatte in Amerika drei Studiengänge absolviert. Zum Zeitpunkt der Geiselnahme war Berger bereits ausgeschieden.  

Berger war Pazifist. Er unterrichtete beeinträchtigte Menschen.

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Gab es einen Deal mit den Mördern? In Deutschland fürchtete man sich vor weiteren Terrorangriffen. Die Sicherheitsorgane erkannten darin ein Risiko, dass drei Olympia-Attentäter in einem Münchner Gefängnis einsaßen. Die Terroristen kamen dann merkwürdig reibungslos frei - im Zuge der Flugzeugentführung vom 29. Oktober 1972.

Deutsche Behörden schienen vorbereitet. Eilfertig agierten sie im Sinne der Kidnapper.  

„War die Lufthansa-Entführung ein abgekartetes Spiel?“

Das fragten sich auch Markus Rosch und Till Rüger vom Bayrischen Rundfunk

„Vieles spricht dafür und nichts dagegen.“ Quelle

Bereits 2012 fragte der SPIEGEL: „Pflegte die Bundesregierung … Geheimkontakte mit den Hintermännern des Anschlags?“ Quelle

Aus der Süddeutschen Zeitung: „Einer der Palästinenser, die 1972 den Anschlag in München verübten, soll sich 13 Jahre später in West-Berlin aufgehalten haben. Die deutschen Sicherheitsbehörden wussten davon, doch die zuständige Polizei ignorierte den Hinweis.“ Quelle

Der Willy-Brandt-SPD-Slogan „Mehr Demokratie wagen“ wurde von Brandt persönlich aus dem Verkehr gezogen. Den Extremistenbeschluss verantwortete er 1972 als Bundeskanzler. Das Staatsversagen beim Olympia-Attentat von München vollzog sich unter seiner Aufsicht.  

Kein Zweifel, unter Brandt, dem Meister der Aussöhnung, litt die amtliche Solidarität mit Israel. Die sozialdemokratische Staatsräson bot einer zwingenden Verteidigung des israelischen Existenzrechtes keinen Sockel. Deutsche Angst stellte deutsche Schuld in den Schatten. Außenminister Walter Scheel verbreitete eine infame Sichtweise, ohne Widerspruch zu ernten. Man müsse sich „‚nach beiden Seiten des Konflikts wehren“ (Wikipedia).  

„Bereits unmittelbar nach der Entführung … gab es Mutmaßungen, dass die Entführung von der westdeutschen Regierung inszeniert oder zumindest toleriert worden sei.“ Wikipedia

Chaim Josef Zadok (warf) der Bundesrepublik Deutschland vor, ‚eine Möglichkeit zur Verbesserung ihrer Beziehungen zur arabischen Welt‘ genutzt zu haben.“ Wikipedia

Aus der Ankündigung

Am Morgen des 5. September 1972 überfielen acht palästinensische Terroristen die Unterkunft israelischer Sportler im Olympischen Dorf in München. Mosche (Muni) Weinberg wurde sofort erschossen, Yossef Romano erlag seinen Schussverletzungen noch im Laufe des Tages. Neun Israelis wurden als Geiseln genommen. In der Nacht zum 6. September starben David Berger, Ze’ev Friedman, Yossef Gutfreund, Eliezer Halfin, Amitzur Shapira, Kehat Schor, Mark Slavin, Andrei Spitzer, Yakov Springer und der deutsche Polizist Anton Fliegerbauer beim desaströsen Versuch der Geiselbefreiung durch die bayerische Polizei in Fürstenfeldbruck. 

Erst 50 Jahre danach konnte sich die deutsche Bundesregierung zu angemessenen Entschädigungszahlungen und zur Anerkennung ihrer Schuld durchringen. 

Zwölf Monate – Zwölf Namen porträtiert die Opfer und ihre Biographien und dokumentiert zwölf Monate vielfältigen öffentlichen Gedenkens.

In Erinnerung an

David Berger 

Anton Fliegerbauer

Ze‘ev Friedman 

Yossef Gutfreund 

Eliezer Halfin 

Yossef Romano 

Amitzur Shapira 

Kehat Schor

Mark Slavin 

Andrei Spitzer

Yakov Springer 

Moshe (Muni) Weinberg 

Mit Texten von Angela Libal und Fotografien von Daniel Schvarcz.