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2023-02-05 09:09:45, Jamal

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„denn kunst ist nicht schmerz und nicht wollust sondern der triumph über das eine und die verklärung des anderen.“ Stefan George, „Über Kraft“, Quelle

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„Die Griechen sind interessant und ganz toll wichtig, weil sie eine solche Menge von großen Einzelnen haben. Wie war das möglich? Das muß man studiren (Originalschreibweise). Nietzsche, „Wir Philologen“

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„Die Konsequenz, die man am Gelehrten schätzt, ist den Griechen gegenüber Pedanterie.“ Nietzsche, „Wir Philologen“

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„Ich meine, 99 von 100 Philologen sollten keine sein.“ Nietzsche, „Wir Philologen“

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„Mit Arbeitsamkeit lässt sich nicht viel erzwingen, wenn der Kopf stumpf ist. Über Homer herfallende Philologen glauben, man könne es erzwingen. Das Alterthum redet mit uns, wann es Lust hat, nicht wann wir.“ Nietzsche, „Wir Philologen“

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„Da ich in Jahrtausenden lebe … so kommt es mir immer wunderlich vor, wenn ich von Statuen und Monumenten höre. Ich kann nicht an eine Bildsäule denken, die einem verdienten Manne gesetzt wird, ohne sie im Geiste schon von künftigen Kriegern umgeworfen und zerschlagen zu sehen.“  Goethe 1824 im Gespräch mit Eckermann

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„Man kann ja gerade jetzt so gut über die griechischen Frauen schreiben, weil man nicht sich hüten muss, irgendwelche verstiegene Emanzipationsideen damit zu unterstützen – es sich vielmehr darum handelt, die Frauen von dem ihnen zugedachten Stubenmädchen-Niveau wegzulocken.“ Renata von Scheliha 1934

Für Edith Landmann, auch Edith Landmann-Kalischer (1877 - 1951), war der vertraute Umgang mit Stefan George ein Lebenselixier. Die mit dem (bis zu seinem Selbstmord 1931 in Kiel lehrenden) Nationalökonomen Julius Landmann verheiratete, im Exil als Lehrerin an der Baseler Volkshochschule wirkende Philosophin erachtete den Dichter als „Meister“. So lautete die schriftliche Anrede des gebürtigen Bingener „O Meister“. Seit 1908 verkehrte sie im Kreis der engagiertesten „Evangelisten“. George war nach Edith Landsmanns eigenen Begriffen ihr „großer Lehrer und Erzieher“. Die leicht verzögerte Koinzidenz seines Todes (in Locarno am Lago Maggiore) mit der nationalsozialistischen Machtübernahme verquickten sich für die inzwischen verwitwete Jüngerin zur persönlichen Katastrophe:

„Seit Georges Tod ist mir jede Hoffnung geschwunden.“  

Dann ergab sich eine „heroische Freundschaft“ mit der Altphilologin Renata von Scheliha (1901 - 1967). Die bis zum Schluss förmlich geführte Korrespondenz der Koryphäen liegt nun erstmals in einem von Marianne von Heereman in Zusammenarbeit mit Christiane Kuby und Herbert Post edierten Band vor. 

Edith Landmann, Renata von Scheliha, „Eine Freundschaft im Zeichen Stefan Georges. Briefe aus den Jahren 1934–1951“, herausgegeben von Marianne von Heereman in Zusammenarbeit mit Christiane Kuby und Herbert Post, Hentrich & Hentrich, 39,-

Gebildete Verachtung

Die Regimegegnerschaft liegt in der Familie. Renata von Schelihas Bruder, der Diplomat Rudolf v. S., wird 1942 als Widerstandskämpfer in Berlin-Plötzensee hingerichtet. 

„Ich möchte ja nur Ihnen Mitkämpfer sein.“ Renata von Scheliha in einem Brief an Edith Landmann

Ab 1934 zelebriert RvS ihr akademisches Dasein an einer Peripherie. Studien betreibt sie in einer „schalldichten Zelle“. Ihre Korrespondenz belegt ein „überspannende(s) Verlangen nach … Tempelkunst“ (so äußerte sich Thomas Mann zu Stefan George). Willkommener Besuch macht sich mit dem Glykoneus bemerkbar.

„Das fürs Klopfen an der Wohnungstür verabredete griechische Versmaß … klopfte man im daktylischen Rhythmus bei (RvS) an, so öffnete sie, auch wenn man nicht angesagt war.“

Hellenische Exerzitien hält sie in einem „Andachtskeller“ ab. Das Archäologische Seminar funktioniert noch 1936 als Festung der Nazigegner:innen. Für die nationalsozialistischen Machthaber hat RvS nur gebildete Verachtung übrig. Ihre Ablehnung chiffriert sie mit einem Wort, dass seit Plutarch als Synonym für Schurkenstaat gewiss nicht weitläufig kursiert: Poneropolis.

Poneropolis (auch Philippopolis, heute Plovdiv) war eine von Alexanders Vater Philipp (359 - 336 vor der christlichen Zeitrechnung) gegründete, ursprünglich thrakisch-mazedonische Stadt. Antike Autor:innen ächteten sie als Hotspot aller Übel.

Eben las ich: „Pocken auf deinen Geschmack! Musst du, wie Läuse und Flöhe, immer mit Schorf und Gemeinheit gefüttert werden?“ Plutarch, „Moralia“

RvS taucht in die Antike ab. Ihr weltflüchtiges Interesse lässt die Griechinnen aufleben. Sie fragt nach der gesellschaftlichen Geltung von Priesterinnen.

„Ohne eine Beschreibung des Frauengelages an den Anthesterien gibt es überhaupt kein richtiges Bild von ihrem Leben.“

In RvSs akademischer Gegenwelt erscheint Dietrich von Bothmer als „mein kleiner Schüler“. Sie berät sich wegen ihm mit Edith Landmann. Soll sie dem Eleven Aischylos oder Sophokles zur Lektüre empfehlen. Im Weiteren geht es um die Umgehung von Bestimmungen der NS-Schrifttumskammer. Edith Landmanns „Lehre vom Schönen“ wird dem Georg Bondi Verlag vorgelegt. Jedoch kommt es da zu keiner Veröffentlichung im Dritten Reich.  

Von Bothmer erfüllt die Erwartungen seiner Mentorin, indem er die Olympischen Sommerspiele von 1936 als „Gestrampel des Pöbels“ charakterisiert. Hingegen suspendiert sich Edith Landmanns Sohn Michael heimlich von den Losungen einer geharnischten Exklusivität. Die großspurige Vereinnahmung des Sports verdient als nationalsozialistische Machination die Ächtung der Aufrechten im Kreis der ‚Griechenfreundinnen‘, „in dessen Zentrum Edith Landmann und Renata von Scheliha stehen, und dem auch Marianne von Heereman, Getrud Kantorowicz und Margret Schuster angehören“.

Für (RvS) erfüllt Michaels Solidaritätsverweigerung den Tatbestand des „Vertrauensbruchs“.

RvS lässt daran keinen Zweifel:

„Wer sich in dieser Zeit und in diesem Land nicht vollkommen rein hält, (kann) ... allzu leicht zum Verräter werden.“

Beordert sich die Rigorose indirekt selbst zur Prüfung, wenn sie einen Satz von Berthold Valentin überliefert:

„Die Begabteren (beweisen) … am Ende nur mit nunmehr etwas aufgewärmtem Geiste die Thesen des 19. Jahrhunderts aufs Neue.“ 

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Michaels Eigenmächtigkeit stößt auf dezidierte Empörung. Sie führt die Beziehung der korrespondierenden Wissenschaftlerinnen RvS und EL an die Schwelle eines Zerwürfnisses. Dazu bald mehr.

Gewaltakt der Vergottung

„Wogegen man kämpft, da steckt man noch drin.“ Stefan George

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„(Stefan Georges) geheime(s) Deutschland (ist) … von dem offiziellen zuletzt nur das Arsenal, in welchem die Tarnkappe neben dem Stahlhelm hängt.“ Walter Benjamin,  Quelle

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„Selbst der, der nicht staunend vor der Pathologie des Geisteslebens einer Gesamtheit steht, sondern Dekaden für grassierende Kulturseuchen als Einrichtung anerkennt; selbst der, der allerlei Erbschaft des neunzehnten Jahrhunderts zwischen Dionysischem und Psychologischem noch in der Reduktion auf Kunstgewerbe, Feuilleton und Regie als geistige Daseinsmöglichkeit begreift; selbst der, der alles bejaht, was die Giftmischerin der Menschheit, die Tagespresse, als ihren Zweck oder Vorwand betreibt – selbst der steht ratlos vor dem Begriff Stefan George.“ Karl Kraus, Quelle

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„Wo man sich selbst einen Gott (Siehe Maximilian Kronberger) erschafft, erschafft man sich selbst auch eine Gemeinde und dann eine Gemeinschaft. Und von da an ist es dann in einem schrecklichen Gefälle immer mehr in diese (volksgemeinschaftlich-nationalsozialistischen: meine Konkretion) Dinge hinein gegangen. Adorno über Stefan George, Quelle

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„Der hohe Ton, die herrscherlichen Gesten, die gewaltige Wirkung in der Geistesgeschichte, die Ausrichtung der Freundeskreise auf ihn, den Meister, all das gehört zu Stefan George - und verdeckt, wie schwach die Position war, von der aus er agierte. Er hatte seine Sache auf wenig gestellt, auf sein lyrisches Handwerk und das Charisma seines Ich.“ Jens Bisky in der Süddeutschen Zeitung, Quelle 

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 „Von seinen Worten, den unscheinbar leisen / Geht eine Herrschaft aus und ein Verführen / Er macht die leere Luft beengend kreisen / Und er kann töten, ohne zu berühren.“ Hugo von Hofmannsthal

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„Max Weber gewann George gar den Begriff Charisma ab, der in der politischen Soziologie und in der Religionssoziologie Weltkarriere machte.“ Aus der NZZ, Quelle

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„Möglich übrigens, dass Herr George sich verletzt gefühlt hat, weil wir ihm nicht eine ganz besondere, handschriftliche Aufforderung zur Mitarbeit (an der Zeitschrift PAN) gespendet haben. Richard Dehmel, Quelle       

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„(Stefan) George erscheint in Adornos Gesammelten Schriften 468 Mal. Zum Vergleich: Kafka wird 302 Mal, Goethe 298 Mal genannt.“ Demian Berger, Theodor W. Adornos Stefan-George-Rezeption, Eine dialektische Literaturbetrachtung, Quelle

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„So werden Sie mir … sehr verbunden sein dass ich soviel ruhe bewahrte und nicht sofort das veranlasse was mit Ihrem oder meinem tod endet.“ Stefan George in einem Brief an Hugo von Hofmannsthal, zitiert aus „Stefan George“, Thomas Karlauf, Quelle

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Nietzsche las George „zur Anregung, manchmal aber auch zum Ärger, um das nötige Gift zu haben“. Edith Landmann

Fataler Stilwille - Erster Teil meiner Besprechung

Adorno bemerkte bei Stefan George einen mit Evidenz harmonierenden, fatalen Stilwillen.  

Die Wissenschaftlerinnen Renata von Scheliha und Edith Landmann stimmten ihr Verhältnis auf den höchsten Ton; konsequent beim Sie bleibend.

„Die Freundschaft lässt sich nicht wahrer bezeichnen als mit Shakespeares Wort: „the marriage of true minds“. 

Rezitationsrituale als Abwehrzauber

Die in Berlin enthusiastisch-prekär lehrende und halbwegs auf eigene Faust forschende Renata von Scheliha feierte Freundschaft als höchsten Wert. Herausgeberin Marianne von Heereman lebte mit ihr so wie mit Margarete Roesner, Ursula von Rose und Vera Lachmann* in einer Wohngemeinschaft, in der allabendlich George-Rezitationen über die Wohnzimmerbühne gingen.

„Hand in Hand mit ihrer Arbeitsgruppe für griechische Studien, der Renata von Scheliha, Margret Schuster, Margarete Roesner, Ursula von Rose und Marianne von Heeremann angehören, verhilft (Gertrud Kantorowicz) NS-Verfolgten zur Flucht, ringt nach immer neuen Wegen ins Exil.“ Quelle

Ab Oktober 1937 wohnte auch Edith Landmann in Berlin. Kurz nach der Pogromnacht im November 1938 drängte Renata von Scheliha die Freundin „zur Abreise in die Schweiz.“ Dahin folgte die Zurückgebliebene gemeinsam mit Marianne von Heereman. In Basel bildeten die drei ihre nächste Wohngemeinschaft. Da widmeten sie sich weiter George, nicht zuletzt, um ihn programmatisch gegen den Vorwurf zu verteidigen, seine „Welt … sei mit der des Nationalsozialismus zu vereinen“.  

Erst Putzfrau im Exil und dann doch noch eine Professur mit achtundsechzig

Das Berliner Ensemble um Renata von Scheliha bewährte sich schließlich auch in New York, wo die Frauenseilschaft (ohne Edith Landmann) sich eine gemeinsame Exilexistenz sicherte.

* „Nach der Ankunft in den USA (arbeitete) ... Vera Lachmann ... zunächst als Putzfrau … seit 1949 lehrte sie als Fakultätsmitglied am Brooklyn College klassische Philologie und 1972 - im Alter von 68 Jahren - erhielt sie eine Professur.“ Quelle

Omaruru

Im ersten Brief taucht der Begriff ‚Omaruru‘ auf. Aus einer Fußnote:

„In dem im Sommer 1933 entstandenen Rundschreiben Omaruru - an die deutschen Juden, die zum Geheimen Deutschland hielten, schildert Edith Landmann die ausweglose geistige Lage, in der sich die dem George-Kreis zugehörigen Juden befanden … Sie schlägt dieser Gruppe als einzige Möglichkeit, ihren Idealen die Treue zu halten, die Emigration nach Omaruru, einem Ort im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika, vor.“

Renata von Scheliha verwendet den Schlüsselbegriff als Code- und Verkleidungswort für Flucht- und Angsterwägungen, die für sie 1934 noch als Ungeheuerlichkeiten im Diskussionsraum stehen. Überkommene Gewissheiten wirken wie Nachbilder einer bürgerlichen Sommerfrische auf den barbarischen Augenblick. Die Nachwelt registriert aber schon den geknechteten Duktus der Traumatisierten. Das Hochgejubelte und Zusammengerissene unterdrückt den Mitteilungsstil einer im Geiste Georges Initiierten.

Der akademische Elfenbeinturm als erstes Exil

Die Korrespondierenden erlegen sich Haltungsübungen auf. Zu ihren Niederlagen zählen Kollaborationen von George-Jüngern mit den neuen Machthabern. Rührend erscheinen vorsichtige Meldungen der Fassungslosigkeit angesichts von Überläufern. Den Psychiater und Philosoph Kurt Florentin Hildebrandt (1881 - 1966), der bald als Spezialist für „Rassenpsychologie“ hervortreten wird, charakterisiert Renata von Scheliha als einen jener, die „ja leider auch die Welle etwas ergriffen hat“.  

„Nach der Machtergreifung erhielt Hildebrandt ohne Habilitation eine Stelle als Ordinarius für Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität Kiel.“ Quelle  

Indes wähnt sich Renata von Scheliha noch in dem Vorteil schlagender Argumente:

„Aber ich wäre sehr froh, wenn Sie (Hildebrandt) den Aufsatz  … schicken würden; denn ich glaube, dass ihn nichts besser von gewissen Hoffnungen abbringen könnte.“

Im Weiteren dreht sich die Spindel des eigenen Publikationsehrgeizes. Die wissenschaftliche Arbeit dient dem Lebensmut als Quelle. Es kommt zu rituellen Handlungen im akademischen Rahmen. Renata von Scheliha sucht ihr Heil im Kult.

„Ihr Wein wird heute Abend feierlich im Atelier … getrunken, und wir wollen Horaz dabei lesen - ich werde mir alle Mühe geben, ihn nicht mit den Griechen zu messen.“

Bald mehr.

Aus der Ankündigung

Der Briefwechsel zwischen Edith Landmann (1877–1951) und Renata von Scheliha (1901–1967), der 1934 in Berlin begann und 1951 mit Edith Landmanns Tod in Basel endete, wirft ein neues Licht auf den George-Kreis. Die ebenso hochgestimmte wie spannungsreiche Freundschaft zwischen der 57-jährigen jüdischen Philosophin und langjährigen Gastgeberin Stefan Georges und der um mehr als zwanzig Jahre jüngeren Altphilologin zeigt, wie Frauen sich frauenfeindlichen Umständen anpassen und sich ihnen zugleich entziehen konnten, indem sie ihre eigenen Werte schufen. Der Briefwechsel wirft nicht nur ein Licht auf diese Quadratur des Kreises, er zeugt auch von der Widerstandskraft zweier Frauen in der Nazizeit: Unter schwierigen politischen Umständen unterstützten sie einander und ihre gefährdeten Freundinnen mit bewundernswerter Konsequenz. Damit entsteht nebenbei ein eindringliches Zeitbild der von Katastrophen heimgesuchten Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts.

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Christiane Kuby, geboren 1952 in Frankfurt/Main, und Herbert Post, geboren 1947 in Paderborn, leben seit Anfang der 1970er Jahre in Amsterdam, wo sie sich als selbstständige Literaturübersetzerinnen aus dem Niederländischen einen Namen gemacht haben. Sie lernten Marianne von Heereman im Umfeld des Castrum Peregrini kennen. Gemeinsam mit ihr bereiteten sie in den 1980er Jahren den im DLA Marbach vorliegenden Briefwechsel vor, den sie nun für die testamentarisch ab 2021 freigegebene Veröffentlichung aktualisierten.