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2023-02-14 08:34:25, Jamal

„Menschen sind schwimmende Töpfe, die sich aneinanderstoßen.“ Goethe im Gespräch mit Johann Peter Eckermann

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„Zum König adelt die Geburt, zum Heerführer die Tapferkeit. Aber die königliche Gewalt ist nicht ein schrankenloses Belieben.“ Tacitus über die Germanen

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„Das Land bietet im einzelnen verschiedene Gestaltungen, aber der allgemeine Charakter ist schauriger Urwald und düsterer Moorgrund.“ Tacitus über Germanien

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„Bevorzugung des Alterthums als einer Abbreviatur der Geschichte der Menschheit, als ob hier ein autochthones Gebilde sei, an dem alles Werdende zu studieren sei.“ Nietzsche, „Wir Philologen“

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„Es ist mir sehr wohl bekannt, dass ein geschlagener Held immer unrecht behalten muss und dass in der Gegenwart die triviale Masse der Menschen nie anders als nach dem Ausgang urteilt, bis später, wenn die momentanen Leidenschaften und Interessen schweigen, eine philosophischere Ansicht der Vergangenheit der historischen Wahrheit ihr Recht verschafft. So wurde einst Napoleon, nachdem er so lange als ein Meteor geglänzt, von Tausenden in den Staub herabgezogen und von den elendesten Wichten gelästert.“ Hermann Fürst von Pückler-Muskau, „Aus Mehemed Alis Reich“

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„Zu gewissen Handlungen reicht nicht hin, kein Herz, man muss auch keinen Kopf haben.“ Ludwig Börne

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„Es ist nicht jeder dumm, der (dumm sein) will.“ Ludwig Börne

„Und wir schmiedeten den Plan, der uns die Welt schenken sollte.“ Gaius Cilnius Maecenas in einem Brief an Titus Livius. Der Vertraute des ersten römischen Kaisers erzählt dem Geschichtsschreiber von den politischen Turbulenzen nach Caesars Ermordung.

Epochenstreit

Das Gegeneinander „von dinglich geläufiger Rede“ und dem steilen Ausdruck aka hohem Stil („nur was an den Abgrund der Lächerlichkeit gezogen wird, hat so viel Gefahr in sich, dass daran das Rettende sich misst und gelingt“, Adorno) ergibt sich in einem heimlich ausgesöhnten Verhältnis. „Die beiden feindlichen Medien sind zugleich eins und nie ganz gelöst voneinander“ (Adorno).

Man kann das sehr viel einfacher sagen. Zu Shakespeares Zeiten gab es keinen Unterschied zwischen E und U. Die Leute konsumierten das Theater, ohne besondere Achtung des Bühnengeschehens und seiner Akteure. Das war eine Vorform unseres Fernsehens. So kann man auch John Williams‘, dem ersten römischen Kaiser gewidmete Anverwandlung aufnehmen. Die Augustus-Erzählung strotzt vor Toga-Stoizismus.

John Williams, „Augustus“, Roman, aus dem Englischen von Bernhard Robben, dtv, 12.90 Euro 

In Briefen, Tagebucheintragungen und Aufzeichnungsfragmenten tragen Zeug:innen der Augustinischen Ära zu einem Darstellungskolossal bei. Nach Caesars Ermordung im Jahr 44 vor unserer Zeitrechnung wähnt sich der animalisch instinktsichere Feldherr Marcus Antonius im Besitz sämtlicher Nachfolger-Vorrechte. Er arrangiert sich mit den Mördern seines Mentors, um sie gleichzeitig zu befehden. Furchtlos tanzt er auf sämtlichen Hochzeiten. Gefährliche Gegner:innen glaubt er unter Caesarianer:innen nicht zu haben. Caesars Adoptivsohn und Großneffe Octavian traut Antonius nichts Staatsmännisches zu. Das ist der Ausgangspunkt einer herzzerreißenden Rivalität, die mit der Niederlage und dem Selbstmord des Favoriten endet.

Vielleicht reizte Williams die überraschende Volte in dem Epochenstreit. Octavians Sieg markiert den Anfang vom Ende der römischen Republik, die in einer mythischen Rechnung fünfhundert Jahre währte.

Im Kampf eines bewährten Haudegens und Ränkeschmieds mit einem Debütanten triumphiert das Unerwartete.   

Williams leiht Octavian das Charisma des jungen Kennedys. Ohne Schaden klug und ohne Prüfung urteilssicher, schwört der künftige Kaiser Augustus Veteranen aus Caesars Legionen auf sich ein. Besonders ergeben dient ihm Gaius Cilnius Maecenas. Von seinem Familiennamen leitet sich das Wort Mäzen ab.

Fünf Jahre vor seinem Tod schildert Maecenas dem Geschichtsschreiber Titus Livius seine Rolle als juveniler Kronprinzen-Konfident. Er berichtet von chaotischen Verhältnissen.

In der Phase der ersten Zuspitzung fehlt Octavian eine belastbare Basis. Von Fehlern, die Antonius unterlaufen, profitiert er nur dann, wenn Mannschaften und Offiziere in den Fehlern einen Mangel an Führungskraft erkennen. Alles darüber hinaus Schäumende, beispielsweise Skrupellosigkeit, exzessive Machtgier und Grausamkeit, wird als lässlich empfunden.

Es geht um die Befähigung zur Herrschaft. Wer herrschen kann, soll herrschen.

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Cicero, der mit Brutus gemeinsame Sache macht, empfängt Octavian und lässt sich einspannen, während er noch glaubt, den jungen Caesar vor den Karren der Republikaner geschirrt zu haben. Nach seinen Begriffen überlässt der alte Fuchs dem Anfänger das größte Risiko und den geringsten Verdienst.

Cicero unterschätzt den Wert seiner Gegenleistung. Der von ihm eingestimmte Senat billigt alles, was Octavian braucht, und ermächtigt ihn weitreichend. Folglich zieht Octavian mit jener Autorität in den Krieg, die Antonius zugekommen wäre, hätte er sich den römischen Granden angenehmer gezeigt.   

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Octavian eilt einem der Mörder seines Großonkels zur Hilfe. Decimus Iunius Brutus Albinus war lange ein Gefolgsmann Caesars. Jetzt jagt ihn Antonius, bis ihn Octavian vorübergehend an allem Weiteren hindert. Erst beschützt er Decimus, dann lässt er ihn ächten. Antonius veranlasst die Hinrichtung.

Triumph des Unerwarteten - 2. Teil meiner Besprechung

„Man nimmt keinen Marmor zu dem Grundstein eines Gebäudes. Darum verlange man von starken Menschen nicht die Spiegelglätte einer Toilettenpuppe“, fordert Ludwig Börne. Und so ist auch Williams‘ Augustus kräftig nach seiner inneren Gestalt. Zeichen körperlicher Schwäche kontrastieren die Effizienz. Die erste Bewährung erlaubt ihm das plötzliche Machtvakuum nach der Ermordung seines Adoptivvaters und Großonkels Caesar. Die loyale Funktionselite des Diktators weiß von jetzt auf gleich nicht mehr, „wen wir zum Feind haben“.

Der neuen Unsicherheit begegnen Caesars Parteigänger:innen in Apollonia, der wichtigsten römischen Basis auf dem Balkan; zugehörig der Provinz Macedonia. In der Handlungsgegenwart umgibt den Hotspot der epirotischen Sphäre ein Gräberfeld der dorischen Expansion.

John Williams, „Augustus“, Roman, aus dem Englischen von Bernhard Robben, dtv, 12.90 Euro

Im Feldlager scharren sich Offiziere und Mannschaften um Caesars Erben Oktavian, dem späteren Augustus. Trotzdem bilanziert der Thronanwärter:

„Gestern schienen sie noch meine Freunde zu sein. Jetzt kann ich ihnen nicht mehr trauen.“

„Ich habe die Welt erobert, und nirgendwo ist man sicher.“  

Diese Einsicht legt John Williams Caesar nah. Jetzt erlebt der Nachfolger zum ersten Mal den Kitzel der Machtschattenspiele. Jugendfreund Gaius Cilnius Maecenas, von seinem Familiennamen leitet sich das Wort Mäzen ab, rät:

„Trau nicht einmal uns, die wir dich lieben.“

Agrippa erweist sich als klügster Ratgeber. Er verlangt von Octavian, in Ruhe abzuwarten, um nicht in der Blindheit des Nichtwissens einen Zug zu machen, „der unsere Position schwächt“.

Viele handeln überstürzt, da sie im Aktionismus ihr Heil vermuten. Im engsten Kreis um Octavian rät allein Quintus Salvidienus Rufus Salvius zum Marsch auf Rom.

Er verkündet:

„Die Macht wird das sein, was wir daraus machen.“

Im Weiteren definieren die Verschworenen ihr erstes Ziel. Noch kennen sie Caesars Mörder nicht. Doch wollen sie Rache üben.  

Octavians Mutter und sein Stiefvater empfehlen dem angehenden, allgemein unterschätzten Imperator, das heikle Erbe auszuschlagen, um nicht als allzu leichter Gegner einfach aus dem Feld geschlagen zu werden.

 „Es gibt für jeden Minister nur ein Mittel, sich durch die Gefahren zu schlagen, welchen er begegnet, wenn er den Staat nach den Wünschen der Aristokratie beherrschen will - er darf diese Gefahren nicht sehen. Über enge felsige Wege, an tiefen Abgründen vorüber ohne Schwindel und Sturz zu schreiten, das vermag nur ein Packesel.“ Ludwig Börne

Kürzt man das Wort, lässt sich Folgendes sagen: „Es gibt für jeden … nur ein Mittel, sich durch die Gefahren zu schlagen, welchen er begegnet, wenn er den Staat … beherrschen will - er darf diese Gefahren nicht sehen.“

Diese Gabe sagte man Caesar nach. Als dessen designierter Nachfolger beweist Octavian auf dem Hochseil unklarer Machtverhältnisse die schwindelfreie Kaltblütigkeit seines Mentors. Er prüft die Position des Marcus Antonius, der in Octavian nur einen Jungen sieht, der nicht weiß, wie ihm geschieht. Der Erfahrene fertigt den Kronprinzen ab.

44 v. Chr., dem Jahr der Ermordung Caesars, steht Antonius im Zenit seiner Wirkung. Mitunter inszeniert er sich als hellenischer Olympionike. Dass er gegen den Youngster eine militärische Niederlage erleiden könnte, liegt seinem Vorstellungshorizont fern. Antonius verkörpert die Caesarianer-Partei aus eigenem Recht. Octavians Ansprüche erscheinen ihm erst einmal nicht durchsetzbar.

Psychologisches Interieur - 1. Teil meiner Besprechung

In einer Vorbemerkung reklamiert der Autor für sein Werk die literarische Wahrheit in Abgrenzung zur historischen Wahrheit. John Williams (1922 -1994) besteht darauf, der Wirkung nicht alles geopfert zu haben. Als abschreckendes Gegenbeispiel weist er einen Chronisten aus, der in einer Selbstanzeige dem Effekt zuliebe sogar „Pompeius die Schlacht von Pharsalos“ gewinnen lassen würde. Das Beispiel verdient deshalb Beachtung, weil die Auseinandersetzung Epoche machte. Achtundvierzig Jahre vor dem Start der christlichen Zeitrechnung begegneten sich in Thessalien Streitkräfte der Bürgerkriegsgegner Gaius Iulius Caesar und Gnaeus Pompeius Magnus. Caesars Sieg (aus einer inferioren Position) entschied den Ausgang des Bürgerkriegs und folglich den Fortgang der Geschichte. Die sich (auf mythische Anfänge berufende, demnach ein halbes Jahrtausend währende) Römische Republik endete - einen historischen Wimpernschlag später - mit Octavians Inthronisierung.

John Williams, „Augustus“, Roman, aus dem Englischen von Bernhard Robben, dtv, 12.90 Euro

Williams Augustus-Erzählung setzt ein zu der Zeit als Caesar, die Weichen für das römische Kaiserreich stellte. Der Großonkel und Adoptivvater des dereinst zum Augustus ausgerufenen Octavian wendet sich an seine Nichte Atia, die Mutter des ersten römischen Kaisers.

Williams schildert Caesar als charmanten und gewandten Weltmann, der sein gewinnendes Wesen wie ein Schauspieler sein Repertoire einsetzt. Er bleibt kalt, auch sich selbst gegenüber. Als Onkel preist Caesar Ausbildung und Disziplin. Er warnt vor den Gefahren des Müßiggangs und den Schlichen der Schmeichler:innen.

Williams‘ Caesar verkörpert die Tugenden der Macht wie zu Demonstrationszwecken. Er trägt sie vor sich her.

Caesar weiß sich von Feinden umstellt, und wünscht sie sich so unfähig wie im Einzelnen Atias zweiten Gatten, den Konsul Lucius Marcius Philippus.

Im nächsten Durchgang herrscht Octavian. Nun haben dessen nobilitierten Streiter das Wort. Sie reden wie Caesar. Ihre Sachlichkeit gehört den blutigsten Gegenständen. Sie bleiben förmlich in allen Darstellungen von Brutalität und Hinterlist. Darin spricht sich der Geschichtsbegriff ihres texanischen Schöpfers aus. Die Vorstellungen eines Nachfahren von Pionieren ergeben sich im Einklang mit dem psychologischen Interieur und den Kolportagen der Hollywood-Sandalenriemen.

Seelische Statur

„Die Griechen sind interessant und ganz toll wichtig, weil sie eine solche Menge von großen Einzelnen haben. Wie war das möglich?“ Das fragt Nietzsche

„Was den alten Griechen zu sagen erlaubt war, will uns zu sagen nicht mehr anstehen, und was Shakespeares kräftigen Mitmenschen durchaus anmutete, kann der Engländer von 1820 nicht mehr ertragen, so dass in der neuesten Zeit ein Family-Shakespeare ein gefühltes Bedürfnis wird.“

Das bemerkt Goethe 1824. Auch Williams unterstellt seinen Römer:innen eine - die Gegenwärtigen überragende - seelische Statur. Sie betrachten sich in einem die Welt umspannenden Zusammenhang. Ihre Existenzen sind fest verbunden mit den Geschicken des Imperiums. Ob Toga oder Tunika, Stola oder Palla - Sie selbst erscheinen als Nabel und Quellen, wenn auch wie in einer Operette.

Der Kaiser als junger Mann

Erinnerungsschübe fungieren als Rückblenden. Sie überliefern den Aufstieg Octavians vom Gefolgsmann seines Großonkels zum Mächtigsten der Welt. Der legendär uneigennützige Augustus-Vertraute Gaius Cilnius Maecenas, von seinem Familiennamen leitet sich das Wort Mäzen ab, memoriert jenes Entwicklungsstadium, in dem sein Freund noch ein Knabe neben anderen war. Der Kaiser als junger Mann wirkte auf Cilnius Maecenas „wie ein unbedarfter Jüngling“. Zum Anführer schien ihm alles zu fehlen. Doch ließ er sich drillen und bewies seine militärische Zähigkeit ohne einen Zug ins Derbe.

„Wir belagerten einen Feind, der sich ausruhen und den Bauch vollschlagen konnte, während wir vorgaben, ihn auszuhungern.“ Caesar in einem Brief

Beim Training erreicht Octavian die Nachricht vom gewaltsamen Tod seines Mentors. Der Debütant reagiert gelassen. Zum ersten Mal zeigt sich sein Format.

Niemand weiß, wer nun der Feind ist. Dazu bald mehr.

Aus der Ankündigung

Octavius, Großneffe und Adoptivsohn von Julius Caesar, später Kaiser Augustus: Williams schildert das Wirken und Leben dieses außergewöhnlichen Mannes so plastisch, so mitreißend, als würden sich die Geschehnisse in unseren Tagen ereignen. Fiktive Briefe und Notizen, Erinnerungen und Senatsprotokolle lassen die Person eines Herrschers lebendig werden, dem das Schicksal Macht und Reichtum in vorher ungekanntem Ausmaß zuspielte. Aber er, der sich zum Gott erheben ließ, sieht am Ende, von Frau und Tochter entfremdet, dem Tod so ungeschützt entgegen wie jeder Mensch – als das »arme Geschöpf, das er nun einmal ist«.

Zum Autor

John Edward Williams wuchs im Nordosten von Texas auf. Er besuchte das örtliche College und arbeitete dann als Journalist. 1942 meldete er sich widerstrebend, jedoch als Freiwilliger zu den United States Army Air Forces und schrieb in der Zeit seines Einsatzes in Burma seinen ersten Roman. Nach dem Krieg ging er nach Denver, 1950 Masterabschluss des Studiums Englische Literatur. Er erhielt zunächst einen Lehrauftrag an der Universität Missouri. 1954 kehrte er zurück an die Universität Denver, wo er bis zu seiner Emeritierung Creative Writing und Englische Literatur lehrte. Williams war vier Mal verheiratet und Vater von drei Kindern. Er verfasste fünf Romane (der letzte blieb unvollendet) und Poesie. John Williams wurde zu Lebzeiten zwar gelesen, erlangte aber keine Berühmtheit. Dank seiner Wiederentdeckung durch Edwin Frank, der 1999 die legendäre Reihe ›New York Book Review Classics‹ begründete, zählt er heute weltweit zu den Ikonen der klassischen amerikanischen Moderne.