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2023-02-24 13:54:20, Jamal

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„Das Theater ist uns kein Ersatzamt für nichtgehabte Erlebnisse.“ Bertolt Brecht

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„Das klassische Drama diente zur Bestätigung einer Welt, gegen die es entstanden war. Mit klassischen Versen verlobte man sich, erzog man seine Kinder, kannegiesserte und kegelte man. ‚Das ist das Los des Schönen auf der Erde‘, rief Vollbart und zwickte die Kellnerin.“ Herbert Ihering

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„Wenn Sie auf ein Auto mit einer alten Droschkenkutscherpeitsche einhauen, dann läuft es noch lange nicht.“ Bertolt Brecht zum Zustand des Theaters um 1928

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„Für wen schreiben Sie?“

„Für jene Gattung Leute, die einzig ihres Spaßes wegen kommen und nicht anstehen, im Theater ihre Hüte aufzubehalten.“ BB

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„Mittelmäßige ... verdienen nichts Besseres als Unsterblichkeit.“ Gary Shteyngart

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„Wir suchen überall das Unbedingte, und finden immer nur Dinge.“ Hölderlin

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„Den höchsten Grad seines poetischen Daseins erreicht der Philister bei einer Reise, Hochzeit, Kindtaufe, und in der Kirche. Hier werden seine kühnsten Wünsche befriedigt, und oft übertroffen.“ Hölderlin

Saturierte Genießer

In einem Rundfunkgespräch mit Richard Weichert und Alfred Kerr geißelt Brecht den Zustand des Theaters mit einem Rundumschlag.

Das legendäre Radioereignis fand am 15. April 1928 im Berliner Sendesaal der 1924 von Ernst Ludwig Voss gegründeten Deutschen Welle statt.

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„Achtung, Achtung, hier ist die Sendestelle Berlin Vox-Haus auf Welle 400 Meter. Meine Damen und Herren, wir machen Ihnen davon Mitteilung, dass am heutigen Tage der Unterhaltungsrundfunkdienst mit Verbreitung von Musikvorführungen auf drahtlos-telefonischem Wege beginnt.“ Die erste Rundfunksendung am 29. Oktober 1923

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Bertolt Brecht, „Unsere Hoffnung heute ist die Krise“, Interviews, herausgegeben von Noah Willumsen, Suhrkamp, 35,-

Das zeitgenössische Theater erleide nicht die Not einer Krise, sondern sei „seine(m) geistigen Bankerott“ erlegen. „Es ist ein flaches Bourgeoistheater, was sie da machen, eine Amüsierbude für geistig saturierte Geniesser (Originalschreibweise).“

„Wenn Sie auf ein Auto mit einer alten Droschkenkutscherpeitsche einhauen, dann läuft es noch lange nicht.“ BB

Brecht geht mit seiner Fundamentalkritik ins Detail. Die Protagonist:innen moderner Stücke seien „nur insoweit typisch … als sie den ganzen bürgerlichen Aberglauben des vorigen Jahrhunderts in typischer Weise vertreten“. Ihre Tragik erschöpfe sich in Hygieneproblemen und ließe sich mit „zivilisatorische(n) Maßnahmen“ abstellen.

Der donnernde Tonfall überlebt den Krieg.

Brecht 1948: „Was dieses Land (damals noch SBZ) braucht, sind zwanzig Jahre Ideologiezertrümmerung.“ Brecht will „ein Theater zur wissenschaftlichen Erzeugung von Skandalen“. Mit den Skandalen sollen „die Ideologien zerlegt“ werden. Das ist etwas anderes als „Hühneraugendramatik“ - Heiner Müller: „In der Bundesrepublik hätte ich nur Hühneraugen-Dramatik schreiben können.“

Es geht darum, die „Unklarheit“ des Menschen „in epischer Ruhe“ darzustellen. Brecht plädiert für „eine Art wissenschaftliche Haltung“, wie Menschen sie „im Planetarium und im Sportpalast“ einnehmen, dabei zumindest im Gestus den „ruhig betrachtende(n), wägende(n) und kontrollierende(n) … Techniker(n) und … Wissenschaftler(n)“ entsprechend.

Die Diskussion läuft unter dem Banner einer Zeitenwende. Weichert sieht das Theater den Zerreißproben eines europäischen Umbruchs ausgesetzt.   

Wer denkt da nicht an Henry Millers seismografische Sentenz:

„Wie immer vor einem Kriege war die Atmosphäre fiebrig. Je kürzer der Zeitraum wurde, der uns von ihm trennte, desto verzerrter wurde alles, kleine Dinge wurden größer, das Lebenstempo beschleunigte sich.“ Henry Miller, „Ein Teufel im Paradies“

Weichert kommt Brecht entgegen. Die Einschätzungen koinzidieren:

„Das Gros will im Theater Unterhaltung - hat unausrottbare Sehnsucht nach dem bürgerlichen Theater von 1913, dem erotischen Schwank, leicht hinplätscherndem Gesellschaftsstück ohne geistige Anspannung.“

Abstieg des Dramas ins Schlafzimmer

In einer Funkdebatte mit Ernst Hardt, Herbert Ihering, Fritz Sternberg und Brecht (am 11. Januar 1929) beklagt die Runde einvernehmlich den „Abstieg des Dramas ins Schlafzimmer … (und) falsche Rettungsversuche in Paris“. Als Hoffnungsschimmer am Horizont erscheint „die Geburt des epischen Dramas aus dem europäischen Roman“.

In einem weiteren Rahmen konstatieren die Neuerer, „dass unsere Klassiker in der Praxis nur noch den Wert bewunderter Schmuckstücke (besitzen)“. Sie sind unbrauchbar für die Gegenwart.

Brecht betrachtet das bürgerliche Drama als „reine Materialgrube“. Was sich aus ihr herausholen ließe, sei lediglich der „gestische Gehalt“. Er plädiert für einen unbekümmerten Umgang mit den Kanonisierten. Brecht predigt den „Materialwerk“ und wendet sich gegen „ästhetische Finessen“.

Ihering sekundiert:

„Wenn man keine Bezeichnung für Kitsch und Krampf mehr wusste, sagte man das ist erhaben. Jeder Scharlatan und jeder Reaktionär lehnte die Ummontierung der Klassiker mit dem Wort ab, dass die Größe der Charaktere vermindert, die Größe der Form zerstört würde. In Wirklichkeit wurde in allen konservativen Aufführungen, in allen pathetischen Darstellungen diese Größe unterminiert, weil sie den menschlichen Inhalt durch eine kolossalische Form diskreditierten.“ 

Weitere Perlen von Herbert Ihering:

„Im Bildungszeitalter, im neunzehnten Jahrhundert galten die Klassiker als geistiges Mobiliar des gutsituierten Bürgertums. Sie waren Schmuck seiner guten Stube, gehörten zu ihm wie die Plüschmöbel, waren anwendbar und zur Hand in allen Lebenslagen. Das klassische Drama diente zur Bestätigung einer Welt, gegen die es entstanden war.“ 

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„Mit klassischen Versen verlobte man sich, erzog man seine Kinder, kannegiesserte und kegelte man. ‚Das ist das Los des Schönen auf der Erde‘, rief Vollbart und zwickte die Kellnerin.“  

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„Man brachte es fertig, revolutionäre Werke wie ‚Räuber‘ und ‚Kabale und Liebe‘ in eine ungefährliche Ideologie umzulügen. Der Spießer entgiftete alle rebellischen Gedanken, in dem er sich mit ihnen identifizierte. Der Banause usurpierte die Revolution und konnte deshalb im Leben umso selbstzufriedener auf sie verzichten. Man plünderte den Inhalt und nutzte die Klassiker ab. Es gab keine Tradition, nur Verbrauch.“

Detailverrückt - Dritter Teil meiner Besprechung

Im Herbst und Winter 1927 begegnet der Kritiker Hans Tasiemka einem schreiend vielseitig interessierten, nach Details verrückten Brecht. Der Dramatiker verkörpert sich in „Lederjacke und Ledermütze“ als Sportsmann. Er gibt den „drahtige(n) Leichtgewichtler“. Sogar das Schreiben bezeichnet er als Sport. Die „Kriegswissenschaft“ bezeichnet er als seine „Leidenschaft“. Die Bibel erklärt er zu seinem Lieblingsbuch.

Tasiemka findet den Austausch mit Brecht besonders ergiebig. Er erfindet dem neuen Medium Rundfunk ein Format: das Interview als Erzählung und Hörspielexperiment.

„Ein junger Berliner, Hans Tasiemka, erzählt in seinem Vortrag Unter vier Augen ein Interview mit Bert Brecht.“

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Brecht lässt sich in seiner Garage dabei beobachten, wie er fachmännisch „und mit großem Eifer technische Revisionen“ an seinem Opel 4, dem Laubfrosch, vornimmt.

„Die Motordeckel (werden) aufgerissen, Rädchen und Schrauben (klirren) zur Erde“, bemerkt der Feuilletonist. Er bemerkt nicht, wie er Brecht auf den Leim geht. Der Dramatiker präsentiert sich als Eroberer der großstädtischen Gegenwart. Jedes Modernitätszeichen gefällt ihm als Wimpel und Abzeichen. In seinem spartanisch eingerichteten Atelier hängt ein Jazzplakat. Brecht suggeriert eine unbezähmbare Leidenschaft für Motoren, Marx und Muskeln.

„Das Theater ist ein Warenhaus geworden, die Darbietungen haben Waren-Charakter.“ 

Die aufreizende Wirkung des sowjetischen Kinos erklärt Brecht mit den soziologischen Perspektiven der russischen Regisseure.

Erotischer Ehrgeiz - Zwischenbemerkungen zum Fatzer-Fragment

Der erste Weltkrieg im dritten Jahr. Eine Tankbesatzung steigt aus, vier Männer desertieren. Sie landen in Mülheim an der Ruhr, Bertolt Brecht schrieb Mülheim mit unpassendem Mühlen-h. Er wurde nicht fertig mit seinem Fatzer. „The plot centers around soldiers who desert from the war and hide out in Mülheim, waiting for a revolution” (Quelle), schreibt … in einer Morgenröte der Revolutionserwartung. 

„Wendet euch um und/verwandelt den krieg der Völker in/den krieg der klassen“, fordert Fatzer. 

Brecht kam 1953 auf das Fatzer-Fragment zurück, nach dem Aufstand vom 17. Juni. Pompös quittierte er die Lage:

„Zum ersten Mal hat die Klasse gesprochen.“ 

Brecht entdeckte die Feme-Fressen von 1918 in der Erhebung. Visagen des Faschismus. Brecht sagte es so. In seinen letzten Lebensjahren fand er den Fatzer-Stoff wieder aktuell.

„Die Grundfrage lautet: Wer frisst wen?“ 

Am Ende frisst die Mannschaft den Egoisten Johann Fatzer. Am Anfang ist Fatzer Mannschaftsführer: „von uns allen bin ich / durch gehirn und physis am fähigsten / durchzukommen als einzelner“. Den kriegsmüden Kameraden ruft er zu: „jetzt nehmt eure / schädel in die hände und paßt / auf, heute am mittwoch gehe ich / fatzer und ihr büsching, koch und kaumann von diesem krieg weg, / der uns nichts mehr angeht.“  

Fatzers Trauma, das Trauma seiner Generation, war der Maschinenkrieg mit seinen Materialschlachten, Gasmasken und Geistesstörungen. Die Soldaten folgten dem obsoleten Komment der kaiserlichen Kavallerie und Infanterie in ein wie von Ufo-Besatzungen angerichtetes Inferno, das sich in der Zeitgenossenschaft gar nicht begreifen ließ. Die Schüttler und Zitterer hielt Wilhelm II. für Simulanten, und den Krieg für einen Hammer, der aus Gründen der Völkerhygiene gelegentlich aus dem royalen Werkzeugkasten geholt werden musste. Was blieb einem übrig? Man wäre als Kaiser auch lieber mit den englischen und russischen Cousins zum Segeln gefahren, anstatt ihre Kanonenboote versenken zu lassen.  

Brecht traute den Verelendeten nicht viel zu. Er schmiss die Klamotte der Verzweiflung wie eine Drehorgel an. Zirkus in der Kneipe. Heiner Müller wollte Brecht in einer Peepshow erleben. „Wenn man Brechts pornografische Gedichte liest, fällt auf, dass er immer wieder die Notwendigkeit des Duschens nach dem Beischlaf betont.“  

„Die Verbindung von Harnröhre und Geschlechtskanal - so etwas konnte nur einem Schwein einfallen.“

Klassisch kalte Weltdarstellung - Zweiter Teil

Regina Reicherówna trifft Brecht in einem Berliner „Maleratelier“. Der aufstrebende Dramatiker empfängt die Journalistin in einer Pilotenjacke. Er ist rasend zeitgenössisch; ein Permanentperformer. Heute müsste er im Astronautenanzug zur Tür eilen.

Brecht nimmt seinen Erfolg nicht auf die leichte Schulter. Er nutzt die erste Gelegenheit, um Reicherówna heimzuleuchten. Indirekt diskreditiert er sie als Repräsentantin einer Clique. Das hauptstädtische Kulturleben bezeichnet Brecht als Klüngelwirtschaft.  

Der Befragte verortet Warschau in Prag und das Ganze ist für ihn Polen. Reicherówna stellt das Mangelwissen heraus. Sie unterstreicht das Defizit, bevor sie bemerkt:

„Shakespeare war noch schlechter in Geografie.“

Sie führt den Dramatiker ein bisschen vor. Seine Mit-Pauken-und-Trompeten-Argumentation verfängt nicht.

Reicherówna wahrt Distanz, während Brecht das Bollwerk der journalistischen Unabhängigkeit unbedingt einnehmen will. Er zählt Max Reinhardt (1873 - 1943) zum alten Eisen und Arnolt Bronnen (1895 - 1959) zur Avantgarde. 

„(Bronnen) war ein Mitläufer, aber von ganz eigener Art: er lief immer mit denen mit, die dagegen waren.“ Günther Rühle, Quelle

Bronnens bizarrer Lebenslauf und seine wilde Publikationstrecke fanden in Brecht einen ausdauernden Fürsprecher. Noch als Staatsdramatiker in Ostberlin hielt er seine Hand über den in der DDR gestrandeten Irrläufer. 

„Das Theater muss wieder erreichen, dass sich jeder Zuschauer so gut unterhält, wie er es in einem mittleren amerikanischen Film tut.“ BB

Am 29. Mai 1926 hat Wolfgang Bardach „eine Unterredung mit Bert Brecht“.

Es geht um eine Theaterkrise im Rahmen aller möglichen Krisen. Brecht und Bardach sind eines Sinnes, das bestimmt den Gesprächsverlauf. Brecht skizziert Prozesse der Erosion des revolutionären und experimentellen Elans im Verlauf der 1920er Jahre. Er bricht dem forcierten Dilettantismus eine Lanze.

Das auf die lange Bank geschobene Gespräch für das von Ernst Rowohlt und Willy Haas 1925 gegründete, bis 1933 nach den Vorgaben der Herausgeber kursierende, danach gleichgeschaltete und umbenannte Periodikum Die literarische Welt führt Bernard Guillemin am 30. Juli 1926. 

„(Brecht) spricht - ohne den Fluss der Schönrednerei, vielmehr beständig mit dem Ausdruck experimentierend - eine keineswegs geschliffene, aber mit einfachen Gleichnissen durchsetzte und mit solchen Wendungen gesättigte Sprache, die aus dem eigentümlichen, unübersetzbaren Bestand – aus dem Vollen der Sprache selbst genommen sind.“

Brecht betont den „privaten Charakter“ seiner Poesie. Er konstruiert einen Gegensatz zwischen den Stimmungen, die er sich als Dichter gefallen lasse, und der objektiven, klassisch-kalten Weltdarstellung in den Dramen.

Brecht beschwert sich über die Inszenierungen seiner Stücke. Man spiele ihn konsequent falsch.

„Man hat den Lyriker aufgeführt, den man in mir zu sehen wähnte, - etwas, was ich kaum außerhalb, bestimmt nicht innerhalb meiner Dramen bin.“ 

„Für wen schreiben Sie?“

„Für jene Gattung Leute, die einzig ihres Spaßes wegen kommen und nicht anstehen, im Theater ihre Hüte aufzubehalten.“

Brecht begeistert sich für Sport. Er verehrt Paul Samson-Körner.

„Was mir bei Samson zuerst auffiel, war, dass er nach einem ganz nichtdeutschen sportlichen Prinzip zu boxen schien. Er boxte sachlich. Das hat einen großen plastischen Charme.“ 

„So kämpfte er 1919 gegen Harry Greb und Jack Johnson, USA, 1920 gegen Gene Tunney und 1921 gegen Tom Gibbons. Er gewann zwar keinen dieser Kämpfe, machte aber immer eine gute Figur.“ Quelle

Der Athlet erwidert die Zuneigung. Der Literarischen Welt vom 30. Juli 1927 meldet er: „Ich arbeite ja mit Herrn Brecht an einem Buch. Ein prächtiger Kerl, der Brecht.“ 

Zweifellos überragt Samson-Körner seine Gegenwart um mentale Längen.

„Paul Samson-Körner wog nur etwa 80 kg, bei einer Größe von 1.80 m. Er war … ein Halbschwergewichtler, aber er nahm furchtlos die schwersten Gegner an und zeigte in allen seinen Kämpfen viel Herz und Mut.“ Quelle

Unausrottbare Sehnsucht nach lascher Bourgeoisie-Bühnenerotik - Erster Teil  

Bis zu seinem Tod blieb Bertolt Brecht ein gefragter Mann. Das belegen nicht zuletzt jene - nun in einem Band versammelten - 91 Interviews, die der Dramatiker von 1926 bis 1956 gab. Das Zeitungsgespräch war eine junge journalistische Form, als Brecht 1926 von der „Literarischen Welt“ um eine publizistische Unterredung gebeten wurde. Zunächst sollte er dem Journalisten Frank Warschauer Rede und Antwort stand. Es kam anders. Warschauer sagte ab. Für ihn sprang - am 30. Juli 1926 - Bernard Guillemin ein.

Vor der Befragung probte Brecht in einem „hypothetischen Interview … die neue Technik“.

„Das Interview selbst: Neumodisch und rätselhaft bricht es als publizistische Zumutung in den Schriftstelleralltag hinein.“

Die Simulation mündete einem „komödiantischen Schlagabtausch“. Brecht erwog, wie er an den Fragen vorbei, Pointen für das Publikum am besten platzierte. Er fürchtete eine - dem Genre geschuldete - Banalisierung seiner Thesen.

Im Präsens von Damals

Das erste Interview gewährt Brecht dem Journalisten Raimondo Collino Pansa. Brecht äußert sich abfällig über den „Italiener“, der für eine Zeitung arbeitet, die Mussolini mit „enthusiastische(m) Konformismus“ dient. In einem Artikel stilisiert Pansa den deutschen Shootingstar zum Antipoden einer antiquierten Moderne. Er mach Brecht zum Duellgegner des renommiertesten Theatermannes Deutschlands.

Max Reinhardt steht in der Schusslinie. Pansa findet seine Inszenierungen pompös, „zwar überreich an Farben, doch nicht reich an Leben und Dynamik“.

Im Pelz stört die weibliche Bourgeoise die von Pansa besuchte Baal-Aufführung im Deutschen Theater (wo Brecht gerade Dramaturg ist) mit einem Trillerpfeifkonzert. Es kommt zum Handgemenge. Die Polizei muss einschreiten.

„Theaterschlachten“ (Carl Zuckmayer) sind en vogue.

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Regina Reicherówna trifft Brecht in einem hochgelegenen Maleratelier. Der Dramatiker tritt in „lederne(r) Aeronautenjacke“ auf. Die Journalistin skizziert eine Scherenschnittszene; Brechts Silhouette in dem „von Sonne durchflutete(n) Atelier“. 

Mediterrane Hotspots

Ich springe in die Exilzeit. Ein Jahr nach der nationalsozialistischen Machtergreifung besucht der beinah mittellose Walter Benjamin den im dänischen Exil noch saturierten Brecht. Der Gastgeber tritt als Hauseigentümer in einer Idylle nahe der Hafenstadt Svendborg auf.

„Das wahre Bild der Vergangenheit huscht vorbei.“ Walter Benjamin

Brechts Stücke werden diskutiert und gespielt. Der Dramatiker bezieht Tantiemen. Mit Helene Weigel und Margarete Steffin führt er eine „Ehe zu dritt“.

„Die Welt der Kanzleien und Registraturen, der muffigen verwohnten dunklen Zimmer ist Kafkas Welt.“ Walter Benjamin

Benjamin verstimmt Brechts harsche Kritik an seinem Essay über Kafka - „Zur zehnten Wiederkehr seines Todestages“. In Verkennung von Benjamins Präzision urteilt Brecht: „Die Bilder sind ja gut. Der Rest ist Geheimniskrämerei.“ Quelle

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Von April 1940 bis Mai 1941 lebt Brecht in Finnland. Wichtige Werke entstehen da. Siehe „Herr Puntila und sein Knecht Matti“, „Flüchtlingsgespräche“ und „Der Aufstieg des Arturo Ui“. Der Journalist Jarno Pennanen porträtiert den Edelexilanten für ein sozialdemokratisches Periodikum. Pennanen trifft „einen Mann … voller angestauter Kraft“ in einem vom Christlichen Verein Junger Menschen betriebenen Hospiz in Helsinki. Brecht verkündet: „Ich kann nicht sein ohne Arbeit“.

„Flüchtlingsgespräche“

„Der Pass“, so heißt es in einem fragmentarischen Ertrag des Brecht’schen Nachlasses, „ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustandkommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.“

„Man kann sagen, der Mensch ist nur der mechanische Halter eines Passes. Der Pass wird ihm in die Brusttasche gesteckt, wie die Aktienpakete in das Safe gesteckt werden, das an und für sich keinen Wert hat, aber Wertgegenstände enthält.“

Aus der Ankündigung

»Unsere Hoffnung heute ist die Krise« Interviews 1926-1956

Bertolt Brecht besaß die Gabe, wie ein Zeitgenosse einmal bemerkte, in einem »Gespräch mit präzisen, drastischen Formulierungen« zu brillieren. Wie bekämpft man die Dummheit? Ist deutsche Kultur möglich? Gehört George Orwell an die Wand gestellt? Egal welche Fragen man an Brecht hat: In diesem Buch findet man seine überraschenden Antworten.  In 75 hier erstmals versammelten, größtenteils unbekannten Interviews, die sich über 15 Länder und eine ganze Karriere erstrecken, zeigt sich der große Klassiker der Moderne als wortmächtiger Medienkünstler. Sie rücken sein Werk nicht nur in ein neues Licht - sie bilden einen unkartierten Teil dieses Werkes selber.

Zum Autor

Bertolt Brecht wurde am 10. Februar 1898 in Augsburg geboren und starb am 14. August 1956 in Berlin. Von 1917 bis 1918 studierte er an der Ludwig-Maximilians-Universität München Naturwissenschaften, Medizin und Literatur. Sein Studium musste er allerdings bereits im Jahr 1918 unterbrechen, da er in einem Augsburger Lazarett als Sanitätssoldat eingesetzt wurde. Bereits während seines Studiums begann Brecht Theaterstücke zu schreiben. Ab 1922 arbeitete er als Dramaturg an den Münchener Kammerspielen. Von 1924 bis 1926 war er Regisseur an Max Reinhardts Deutschem Theater in Berlin. 1933 verließ Brecht mit seiner Familie und Freunden Berlin und flüchtete über Prag, Wien und Zürich nach Dänemark, später nach Schweden, Finnland und in die USA. Neben Dramen schrieb Brecht auch Beiträge für mehrere Emigrantenzeitschriften in Prag, Paris und Amsterdam. 1948 kehrte er aus dem Exil nach Berlin zurück, wo er bis zu seinem Tod als Autor und Regisseur tätig war.