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Erste Bemerkungen zu Margarethe von Trottas Film „Ingeborg Bachmann - Reise in die Wüste“
1958 begegnet Ingeborg Bachmann dem Kollegen Max Frisch, den sie zunächst nur bewundert, der dann aber Paul Celan in der Rolle des Geliebten folgt. 1963 endet das Verhältnis. Die Trennung legalisiert eine frische Verbindung des Schriftstellers. Frisch beteiligt Bachmann am neuen Glück. Er verlangt geradezu ihr Einverständnis. Seine Beschreibungen der Verlassenen in Mein Name sei Gantenbein erleidet Bachmann als Entblößung, obwohl ihre tätige Aufmerksamkeit das Manuskript bis zur Publikation begleitete. Bachmann wehrt sich mit Revenge-Text. Das nicht fertig gewordene Buch Goldmann befestigt eine poröse Verteidigungslinie.
Die Schauspielerin Fanny Goldmann fühlt sich vernichtet. Das ist ihr Zustand ohne Ausweg. Da hilft keine Psychologie und nicht die von Gleichgültigkeit gesicherte Rücksicht der Vielen. Die Rücksichtslosigkeit eines Einzelnen überschattet jeden Trost. Der Einzelne heißt in dem Fragment gebliebenen Roman Marek, er schlich sich als drastischer Liebhaber in das Leben einer für die Metaphern der Hörigkeit Empfänglichen. Er meldet der Welt den kalbenden Morgengeruch und die welke Haut einer Frau, die angeblich nicht genug auf sich achtet. Er macht Prosa aus der Person, die ihm so und so erschien, jedenfalls anders, als sie ihm erscheinen wollte. Trotzdem soll dieser Anton Toni Marek zurückkommen, wenigstens in Momenten. Fanny stellt ihn sich auf einer Wallfahrt nach Canossa vor, wo sie ihren „Schlächter“ mit gemischten Gefühlen erwartet. Sie erfindet sich eine Macht, die ihr Marek gefesselt und verdroschen zuführt. Sie erschießt sich vor seinen Augen, um ihn für sich zu interessieren.
Auf diesen Ton ist Margarethe von Trottas Erzählung gestimmt. Sie zeigt ihre Heldin beherzt über weite Strecken, mitunter jedoch freidrehend im falschen Azorenhoch von Mother’s little helper.
Bachmann hält den Frieden nur für ein Echo des Krieges. Frischs literarische Indiskretionen rufen ältere Traumatisierungen auf. Die Dichterin büßt ihre Empfänglichkeit für den weißen Sack in einer Produktionslücke bis zum Tod und findet doch wieder und wieder die Kraft, die eigene Position im Geschlechterkampf offensiv zu bestimmen. So vernichtet sie das Tagebuch des „Verräters“ in einem rauschhaften Feuer-Exorzismus.
Sie setzt das Kafka-Wort von der „Scham, die uns überlebt“ ein, da sie in einem Buch „wiederlesen muss, wie sie mit ihrem Mann gelebt hatte, dann wie sie als junges Mädchen das getan oder jenes unterlassen hatte“. Sie fühlt sich ausgeschlachtet und verwurstet. Sie erkennt keinen Unterschied mehr zwischen einem Schriftsteller und einem Metzger.
„Der Verrat . . . ist … der Bruch eines Pakts auf Lebenszeit . . . Der Verrat ist … der Verrat des Vertrauens . . . Es gibt . . . den Pakt, … der wie der zwischen Gott und Teufel ist, unauflösbar.“ „Undine kehrt zurück“, Sigrid Löffler, aus DER SPIEGEL 46/1995, Quelle
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„Meine Existenz ist eine andere, ich existiere nur, wenn ich schreibe, ich bin nichts, wenn ich nicht schreibe, ich bin mir selbst vollkommen fremd, aus mir herausgefallen, wenn ich nicht schreibe … Es ist eine seltsame, absonderliche Art zu existieren, asozial, einsam, verdammt, es ist etwas verdammt daran.“ Ingeborg Bachmann
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„Ich kann mir keinen Unsinn einbilden, bloß um etwas zu erleben.“ Das sagt Walter Faber, der Held in Max Frischs Roman „Homo faber“
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„Wir brauchen aber die Bücher, die auf uns wirken wie ein Unglück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns, wie wenn wir in Wälder vorstoßen würden, von allen Menschen weg, wie ein Selbstmord, ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.“ Franz Kafka
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„Thales, heißt es, kam auf seinen Satz, indem er zu einer bestimmten Uhrzeit den Schatten, den eine der drei großen Pyramiden in Gizeh warf, mit dem eines aufrechtstehenden Menschen verglich.“ Michel Serres
Berlinale-Symbolfoto © Jamal Tuschick
Übergriffige Wahrnehmung
„Es hätte auch ganz anders kommen können.“
Darauf besteht der Ingenieur Walter Faber, ein Rationalist nach eigener Angabe. Er treibt einen Kult um den Zufall. Alles dient dem von technischen Lösungen Besessenen, seinen forcierten Ansichten Nachdruck zu verleihen.
Faber steckt voller Misogynie und Rassismus. Ihn treibt ein Mutwille, den er jederzeit dementieren würde. Seine New Yorker Geliebte denunziert er als „Kokotte“, um die Schmähung halbherzig zurückzunehmen. Sein Frauenbild ist unterirdisch. Das hat Jahrzehnte niemanden gestört. Schulbuchlektüre, dein Name sei „Homo faber“.
Der Vielflieger Faber beschließt einmal auch auf einem Schiff den Kontinent zu wechseln. Da ist dann diese junge Frau in existenzialistischer Aufmachung, die als jüngste Reisende das Interesse des Erzählers auf sich zieht. Faber reagiert angeregt. Er moussiert in seinen Beobachtungen, ob Rock, ob „Bubenhose“, ob Nackenflaum, ob „Rossschwanz“. Seine übergriffige Wahrnehmung entgeht ihm.
Zitiert aus Max Frisch, „Homo faber“, Roman, Suhrkamp, 9,-
Faber unterwirft Sabeth seiner Kritik. So ergreift er Besitz, zunächst in einem ehrgeizig rivalisierenden Verhältnis zu einem passenden jungen Mann, der selbstverständlich davon ausgeht, dass Sabeths Aufmerksamkeit ihm gehört.
April in Paris
In Margarethe von Trottas Kinoerzählung „Ingeborg Bachmann - Reise in die Wüste“ nähert sich Fabers Schöpfer auf eine intransigent-vereinnahmende Weise der zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme längst berühmten Kollegin. Das historische Ereignis vollzieht sich im Frühjahr 1958 in Paris. Der fünfzehn Jahre ältere Frisch orchestriert das Treffen mit den Posaunen seiner Bewunderung. Er regiert auf ein Hörspiel. Er hat es sogar zweimal gehört, wie er bedeutungsvoll bemerkt.
Das erste Gespräch entzündet sich an der 1959 mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichneten Funkproduktion „Der gute Gott von Manhattan“.
Vom ersten Augenblick an präsentiert sich Frisch als kultivierter Macker. Ungezwungen verkörpert er den Schweizer Biedermann, der seiner literarischen Produktion den Touch einer milden Moderne verleiht. Die degoutante Attitüde spielt Ronald Zehrfeld wunderbar heraus. Er entlarvt seine Figur, ohne sie zu denunzieren.
„Ingeborg Bachmann - Reise in die Wüste“. Regie: Margarethe von Trotta. Drehbuch: Margarethe von Trotta. Mit Vicky Krieps, Ronald Zehrfeld, Tobias Resch
Vicky Krieps zeigt Bachmann als ganz und gar poetisch-beseelte Persönlichkeit, von keinem profanen Saum begrenzt. So fragil wie integer stellt sie sich „auf diesem sehr kalten Stern“ (Ingeborg Bachmann in einem Brief an Hans Magnus Enzensberger) dem Duell mit einem Avantgarde-Spießer aus dem innersten Kreis des deutschsprachigen Jetsets und der Nachkriegskultur-Hautevolee. In diesem Arrangement ist Frisch ein Ur-Bobo, der bourgeoise Bohemien wie er im Buch steht. Bachmann enttarnt ihn mit lauter vergeblichen Bemühungen, das Niveau zu heben und das Konventionseis zu brechen.
„Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.“ Franz Kafka
Ihrem Herzen viel näher steht Hans Werner Henze, den Basil Eidenbenz als überragenden Kenner der Bachmann’schen Seelentopografie spielt. Mit Henze verbindet Bachmann eine schwärmerische Liebe zu Rom. Trotta lässt die beiden als Lichtgestalten einvernehmlich schweben. Sie existieren lyrisch, während Max Frisch als Überraschungsgast im Palazzo Sacchetti in der Via Giulia (so lautet Bachmanns erlesene Anschrift) wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen alles vermasselt.
Auf einem Nebengleis verhandelt der Film Bachmanns Abwendung von der Lyrik.
„Die Erzählerin Ingeborg Bachmann ist und bleibt … eine gefallene Lyrikerin.“ Marcel Reich-Ranicki, Quelle
Der Filmanfang nimmt das biografische Ende vorweg. Die Trennung ist 1963 endgültig, und Bachmann vernimmt nur noch ein tödlich-törichtes Gelächter des baumstark-empathielosen, mit einer fabelhaften Aussicht auf den Zürichsee residierenden Homme de lettres.
Tobias Resch spielt den österreichischen Autor Adolf Opel. Mit ihm reist Bachmann nach Ägypten. In der Wüste lässt sie sich von Opel im Sand eingraben. Später wird sie ein erzählendes Ich am Nil eine Nacht mit drei Männern erleben lassen. Im Film findet das Ereignis im Verein mit Opel statt. Er führt Ingeborg Bachmann zwei junge Männer zu. Beide begehren „junge schöne Männer“.
Angeblich ist die Ménage verbürgt, wenn auch in einer geografisch und personell anders gelagerten Konstellation.
„Allen Ernstes wird der schöne fremde Männerkörper als sexualisiertes Heiligenbild gefeiert“, schreibt Ina Hartwig in „Wer war Ingeborg Bachmann? Eine Biographie in Bruchstücken“. Den vielgliedrigen Akt bewertet die Feiernde als Triumph „des Sexus über die wortreichen Heucheleien von Jahren … über alle Biedermänner, denen ich geopfert habe, über alle Eitelkeiten und Vorstellungen, die ich selbst hatte in der Welt der Biedermänner“. Das Zitat spielt an auf Max Frischs Stück „Biedermann und die Brandstifter“.